Das intestinale Mikrobiom – Limitationen und Zukunft


Als Mikrobiom wird die Gesamtheit der den Menschen besiedelnden Mikroorganismen bezeichnet. Diese sind vor allem im Magen-Darm-Trakt, aber auch auf anderen Schleimhäuten und der Haut vorhanden (Abb.). Da viele dieser Mikroorganismen nicht mit konventionellen mikrobiologischen Methoden züchtbar sind, konnten erst moderne Analysemethoden, die sich der Hochleistungssequenzierung (Next Generation Sequenzing) bedienen, eine Untersuchung dieser Ökosysteme ermöglichen. Vor Kurzem wurden Daten des vom amerikanischen National Institutes of Health (NIH) finanzierten Human Microbiome Project (HMP) publiziert. Im Rahmen dieses Forschungskonsortiums wurde das Mikrobiom von 18 unterschiedlichen Körperregionen von 242 Probanden über einen Zeitraum von 22 Monaten untersucht. Insgesamt wurden 11.174 Proben mit unterschiedlichen Methoden auf die Zusammensetzung des entsprechenden Mikrobioms untersucht. Die bisher publizierten Daten des von der Europäischen Union (EU) geförderten MetaHIT-Projekts wurden zum Teil bestätigt, in einigen Punkten fanden sich jedoch auch unterschiedliche Ergebnisse. 

Die größte bakterielle Vielfalt (Diversität) im Vergleich zu anderen Körperregionen hat das gastrointestinale Mikrobiom, früher auch als Darmflora bezeichnet. Dies ist vor allem auf Ebene der bakteriellen Gene evident. So übertrifft die Anzahl unterschiedlicher bakterieller Gene im Mikrobiom des Gastrointestinaltrakts die Anzahl der Gene im Mikrobiom z. B. der Vagina um ein 80-Faches. Das gastrointestinale Mikrobiom wird derzeit im Zusammenhang mit der Entstehung von Autoim­munerkrankungen, Entzündungen, Infektionen, Karzinomen, metabolischen und neurolo­gischen/psychiatrischen Erkrankungen beforscht.

 

 

Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms: Das Mikrobiom des humanen Gastrointestinaltrakts zeigt starke interindividuelle Unterschiede vor allem auf taxonomischer Ebene (Unterschiede in den Bakterienarten). Es zeigen sich jedoch auch starke Unterschiede in der Varianz von Tag zu Tag in einem einzelnen Individuum. Anhand der Probanden-analyse von 272 Probanden wurden 2011 vom MetaHIT-Konsortium drei so genannte Enterotypen beschrieben, die durch das prädominante Auftreten von unterschiedlichen Bakteriengenera im intestinalen Mikrobiom geprägt sind: Prevotella, Ruminococcus und Bacteroides. Die Unterscheidung in diesen drei Enterotypen konnte in den rezenten Publikationen des HMP nicht nachvollzogen werden. So sind die gefundenen Unterschiede im intestinalen Mikrobiom zwischen den Individuen eher ein Kontinuum als klar definierte unterschiedliche Gruppen von so genannten Enterotypen. Wichtiger als die taxonomische scheint jedoch die genetisch-metabolische Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms zu sein. Das intestinale Mikrobiom jedes Individuums hat circa 600.000–800.000 Gene, die Hälfte davon wird bei 40 % aller Menschen gefunden. Es gibt jedoch über 2 Millionen bakterieller Gene, die nur bei weniger als 20 % der Menschen gefunden werden. 57 % der bakteriellen Genfamilien wurden in den Daten von beiden Forschungskonsortien (HMP, MetaHit) gefunden, während 34 % der Genfamilien nur in den HMP-Daten und 10 % nur in den MetaHIT-Daten nachgewiesen wurden. Daher wird auch die Frage nach der Repräsentativität der beiden Probandengruppen gestellt, da es sich vor allem um Personen aus hochentwickelten Ländern mit ähnlichem Lebensstil handelt. Über die Zusammensetzung des Mikrobioms von Menschen aus unterentwickelten Ländern ist nur wenig bekannt.

Entzündliche und Autoimmunerkrankungen: Den Bakterien des intestinalen Mikrobioms wird eine entscheidende Rolle in der Prägung unseres Immunsystems zugeschrieben. Diese findet vor allem im Darm mit seinem Reichtum an immunologischen Zellen statt. Da der Mensch vor der Geburt steril ist, ist wahrscheinlich die bakterielle Exposition und Besiedelung im Neugeborenen- und Kleinkindesalter ein wichtiger Faktor. Potenzielle Einflussfaktoren, die die frühkindliche Mikrobiomzusammensetzung prägen, sind Ernährung (Stillen vs. Formula-Kost), Antibiotika und andere Medikamente, das Lebensumfeld (ländlich vs. städtisch) und die Exposition zu kommensalen Umweltkeimen. Für viele immunologisch determinierte Erkrankungen wird mittlerweile ein Zusammenhang zu Störungen im intestinalen Mikrobiom postuliert. Zu diesen zählen unter anderem atopische Erkrankungen wie Asthma und atopische Dermatitis, Typ-1-Diabetes, multiple Sklerose, Zöliakie und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen gibt es bisher die beste Evidenz für einen Zusammenhang zwischen einem gestörten Mikrobiom und der Krankheitsentstehung. Für Details verweise ich jedoch auf einen kürzlich in „Universum Innere Medizin“ (Ausgabe 5, Seite 90) publizierten Beitrag.

Metabolische Erkrankungen (Typ-2-Diabetes, Adipositas): In den letzten Jahren hat sich die Bedeutung der intestinalen Mikrobiota in der Pathogenese von Erkrankungen des metabolischen Syndroms herauskristallisiert. Auf der einen Seite kann das intestinale Mikrobiom direkt durch die Diät beeinflusst werden. So konnten große Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms zwischen Kindern aus Burkina Faso (Ernährung reich an Ballaststoffen) und Kindern aus Italien mit einer westlichen Diät (hauptsächlich kurzkettige Kohlenhydrate und Fett) festgestellt werden. Das Mikrobiom letzterer wurde vor allem von dem Phylum der Firmicutes dominiert im Gegensatz zu Bacteroidetes bei Kindern aus Burkina Faso. Auch wurde zwischen den Enterotypen (so sie wirklich existieren) und Ernährungsgewohnheiten eine Assoziation gefunden. Der Prevotella-dominierte Enterotyp wird vor allem bei Menschen mit einer ballaststoffreichen Diät gefunden, während der Bacteroides-dominierte Enterotyp vor allem bei einer fett- und kohlenhydratreichen Diät gefunden wird.
Auf der anderen Seite scheint das Mikrobiom auch die Entstehung von Erkrankungen des metabolischen Syndroms direkt zu beeinflussen. Dieser Einfluss der Darmbakterien wird durch eine geänderte Aufspaltung von Kohlenhydraten, über entzündliche Reaktionen, Veränderungen von gastrointestinalen Hormonen und der Funktion des Fettgewebes vermittelt. In mehreren Tierexperimenten wurde gezeigt, dass gewisse metabolische Erkrankungen wie NASH, Adipositas und Typ-2-Diabetes mittels Transfer des Mikrobioms auf gesunde Tiere übertragen werden konnten. Mittlerweile gibt es auch eine publizierte Pilotstudie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, bei denen durch die Übertragung der Darmflora von schlanken gesunden Probanden die Insulinsensitivität gesenkt werden konnte.
Welche intestinalen Bakterien für das metabolische Syndrom verantwortlich sind, ist vorerst noch nicht geklärt. Wie ursprünglich propagiert, scheint aber nicht das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroidetes hauptsächlich ausschlaggebend zu sein. Von wichtiger Bedeutung sind vor allem die bakteriellen Gene und deren Produkte. Bei übergewichtigen Patienten wurde gehäuft eine Population von Bakterien im Darm gefunden, die eine geringe Vielfalt an bakteriellen Genen zeigt, im Gegensatz dazu wird bei schlanken Personen ein bakterielles Mikrobiom mit einer hohen genetischen Vielfalt beobachtet. Patienten mit einem Mikrobiom mit weniger genetischen Reichtum zeigen auch eine geringere Gewichtsabnahme auf eine kalorienreduzierte Diät im Vergleich zu Patienten mit einem Mikrobiom mit hohem genetischen Reichtum.

Limitationen der Mikrobiomforschung und Ausblick auf die Zukunft: Momentan ist es schwierig, gewisse Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung zur Erklärung der Entstehung von Krankheiten oder für potenzielle therapeutische Implikationen umzusetzen. Die Gründe dafür sind, dass die meisten Untersuchungen vor allem die taxonomische Zusammensetzung des Mikrobioms erforscht haben. Daraus lassen sich aber keine sicheren Rückschlüsse auf die Eigenschaften gewisser Bakterienarten ziehen. So kommt z. B. Escherichia coli oder Enterococcus faecium sowohl als pathogener als auch als kommensaler Keim mit positiven Effekten vor. Entscheidend dafür ist das Vorliegen gewisser Gene, die auch unter den Bakterien ausgetauscht werden können. Für viele bakterielle Gene sind deren Produkte mit entsprechender Wirkung jedoch unbekannt. Die Identifikation der Funktion einzelner bakterieller Gene ist jedoch sehr aufwändig und schwierig. Bisher sind auch die physiologischen und pathophysiologischen Einflüsse auf das intestinale Mikrobiom sehr schlecht erforscht. Somit können Veränderungen im Mikrobiom bei gewissen Erkrankungen in vielen Fällen nicht als ursächlich angesehen werden, sondern sind vielmehr die Folge dieser Erkrankung. Es ist daher auch noch nicht sicher geklärt, was ein „normales“ und die Gesundheit förderndes Mikrobiom ausmacht.
Die genau Identifikation bakterieller Gene und deren Produkte sowie die Untersuchung von Einflussfaktoren sind für das genaue Verständnis der Funktion des Mikrobioms von entscheidender Bedeutung. Die Forschung in diesem Feld ist bisher am Anfang, für die nächsten Jahre sind jedoch einige spannende Erkenntnisse zu erwarten.