Die klinische Pharmazeutin im therapeutischen Team – 10 Jahre interdisziplinäre Zusammenarbeit im Donauspital

FALLBERICHT einer 72-jährigen Patientin mit Vorhofflimmern und Dyspnoe

Eine 72-jährige Patientin (48 kg) wird mit tachykardem Vorhofflimmern und Dyspnoe stationär im Donauspital aufgenommen.

Anamnese:
COPD III, KHK, Hypertonie, Osteoporose, rezidivierende Stürze und Frakturen, Schmerzen, Depression, Schlafstörungen, rezidivierende Diarrhö.
Die Aufnahmeblute ergeben bei Crea 1,8 (eGFR 28 ml/min) eine Hypokaliämie (K 2,9), INR von 5,2 und erhöhte Entzündungsparameter (CRP von 80 und Leuko 11,0.)

Aufnahmemedikation:

  • Bisoprolol 5 mg 1-0-0
  • Sedacoron® 200 mg ½-1/2-0
  • Unifyl® ret. 400 mg 1-0-1
  • Lisinopril 20 mg 1-0-0
  • Adalat® eins 30 mg 1-0-0
  • Marcoumar® ½ /Tag
  • Pantoprazol 40 mg 0-1-0
  • Berodual® DA 2-2-2
  • Deflamat® 75 mg 1-0-1 (bei Schmerzen)
  • Cal-D-Vita® 1-0-0
  • Halcion® 0,25 mg 0-0-1
  • Seroquel® 25 mg 0-0-1
  • Citalopram 30 mg 0-0-1
  • Sertralin 50 mg 1-0-0
  • Cerebokan® 80 mg 1-0-1

Pharmazeutischer Check der Eingangsmedikation:
Der pharmazeutische Check der Eingangsmedikation durch die klinische Pharmazie der Anstaltsapotheke ergab folgende Hinweise:

  • Citalopram 30 mg überschreitet die zulässige Maximaldosis von 20 mg bei Patienten > 65 Jahre. Die gleichzeitige Verabreichung mit anderen QTc-verlängernden Medikamenten wie Sedacoron® und Seroquel® ist kontraindiziert. Die Hypokaliämie verstärkt noch die Gefahr von Herzrhythmusstörungen (Rote-Hand-Meldung 2012).
  • NSAR und Theophyllin setzten Phenprocoumon aus der Plasmaproteinbindung frei und können zu erhöhten INR-Werten führen. Die Blutungsgefahr ist durch die gleichzeitige Gabe von zwei SSRI mit Phenprocoumon und NSAR um mehr als das 15-Fache erhöht, auch Cerebokan® beeinflusst die Rheologie des Blutes.
  • NSAR sind bei Niereninsuffizienz kontraindiziert.
  • Kombination zweier SSRI (nach Rücksprache mit der Patientin von zwei verschiedenen Ärzten verordnet): Gefahr für ein Serotoninsyndrom steigt.
  • Sedacoron® 2 x/Tag: Teilung ist unnötiger Aufwand für Patientin bzw. Pflege bei einer Halbwertszeit von über 70 Tagen.
  • Pantoprazol 40 mg: – als Ulkusprophylaxe bei NSAR-Gabe sind 20 mg ausreichend – ½ Stunde vor dem Essen am besten resorbiert – möglicher Nachteil der PPI Dauertherapie: Risikofaktor für Osteoporose laut Osteoporoseguidelines 2010; wenn NSAR ex, dann auch PPI ex
  • Cerebokan® möglichst nicht abends (Schlafstörungen möglich), Indikation?
  • SSRI immer morgens, da eher aktivierend
  • Adalat® eins eher abends, da weniger Ödemneigung

 

Kommentar zur “Aufnahmemedikation”

Die Verabreichung von 10-15 verschiedenen Arzneimitteln, vor allem bei multimorbiden alten Patienten, ist keine Seltenheit (vgl. Fallbericht einer 72-jährigen Patientin mit
Vorhofflimmern und Dyspnoe). Bedingt durch physiologische Veränderungen der
Organe (v. a. eingeschränkte Nierenfunktion) und durch eine erhöhte Sensibilität des zentralen Nervensystems treten aber gerade bei diesen Patienten verstärkt klinisch relevante Arzneimittelnebenwirkungen auf. Ab einer Anzahl von 5 verordneten Medikamenten nimmt die Adhärenz sehr stark ab und die Patienten beginnen die Einnahme je nach Befindlichkeit zu steuern. 5-10% der stationären Aufnahmen, besonders auf internen Stationen, sind bereits iatrogen durch Arzneimittel ausgelöst bzw. mitverursacht (Schneeweiss, Eur J Clin Pharmacol 2002; Osterberg, NEJM 2005; Pirmohamed, BMJ 2004; Schuler, Wien Klin Wochenschr 2008; Albert, Drugs Aging 2010; Budnitz, NEJM 2011). Dabei spielen drei Arzneimittelgruppen eine besondere Rolle: orale Antikoagulantien, Antihypertensiva und NSAR. Vermeidbare ADR (Adverse Drug Reactions) treten insbesondere dann auf, wenn Arzneimittel ungewollt nicht bestimmungsgemäß eingesetzt werden. Das kann sich äußern in falscher Indikation, falscher Dosierung, Nichtbeachtung von Kontraindikationen oder Warnhinweisen, falscher Verabreichung oder Einnahme, Kommunikationsfehlern oder Verwechslungen.
Die Ursachen hierfür sind vielfältig und können im gesamten Medikationsprozess bei der Verordnung, der Distribution, der Abgabe oder der Applikation auftreten.

Klinische Pharmazie im Donauspital: Als Hilfestellung für Arzt und Pflege wurde vor über 10 Jahren im Donauspital ein neuer Dienstleistungsbereich der Anstaltsapotheke – die klinische Pharmazie – auf ausgewählten Abteilungen (Kardiologie, Neurologie, Psychiatrie) eingeführt. Ein Dienstleistungsbereich, der in Amerika schon seit über 30 Jahren etabliert ist und wie in zahlreichen internationalen Studien gezeigt, wesentlich zur
Qualitätssicherung der medikamentösen Gebarung beiträgt. Durch die intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit auf der Station (vom Aufnahmecheck über die
Teilnahme in der Teambesprechung und Visite bis zum Entlassungsmanagement) können viele Problemstellungen vor Ort rascher gelöst werden bzw. gemeinsam Hilfestellungen für den gezielten Einsatz von Arzneimitteln erarbeitet werden (z. B.
Schmerzfolder, Sondenliste, Wundfolder, Folder zum gezielten Einsatz von PPI).
In Kanada ist der interdisziplinäre Medikations-Check eine der landesweit eingesetzten 6 Interventionen der Kampagne “Safer Healthcare Now” zur Vermeidung von Behandlungsfehlern. In den USA ist die flächendeckende Einführung von “Medication Reconciliation” beim Wechsel des Behandlungssektors als nationales Patientensicherheitsziel definiert worden.
Gillespie untersuchte in einer randomisierten, kontrollierten Studie an Patienten > 80 Jahre den Einfluss einer pharmazeutischen Medikamentenüberprüfung mit anschließender Beratung des Arztes hinsichtlich der besten Arzneistoffe, Dosierungen und des Monitorings in der Universitätsklinik Uppsala. Die Interventionen senkten die gesamten Wiedereinweisungen ins Krankenhaus um 16%, wobei die Einweisungen in die Notaufnahme um 47% und die Wiedereinweisungen aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen um 80% sanken. Trotz der durch die Interventionen verursachten Kosten sanken die Gesamtkosten pro Patient um 230 Dollar (170 €) (Gillespie Arch Intern Med 2009).

Kommentar zu “Pharmazeutischer Check der Eingangsmedikation/Visite”

Die pharmazeutischen Anmerkungen zur Medikation werden auf einem Konsiliarschein als Beratung für die behandelnden Ärzte zusammengefasst und in der interdisziplinären Teambesprechung (Arzt-Pflege-klinische Pharmazeutin) diskutiert.
Die zusätzliche regelmäßige pharmazeutische Begleitung bei der Visite 1 x/Woche/Station dient

  • zum Erfassen möglicher relevanter Arzneimittelinteraktionen
  • zur Hilfestellung bei der optimalen Auswahl von Arzneimitteln
  • zur Verabreichung zum richtigen Zeitpunkt
  • zur Hilfestellung bei der Reduktion von Arzneimitteln
  • zum Switch von Applikationsformen

Bei der im Fallbericht geschilderten Patientin unterstützte die klinische Pharmazeutin den Arzt bei der Optimierung der COPD-Therapie und bei der Schulung der Patientin im
richtigen Umgang mit den Inhalatoren, brachte Vorschläge für eine optimale Schmerz- und Osteoporosetherapie und Antibiotikaauswahl in Abhängigkeit der Nierenschädigung.

Pharmazeutisches Entlassungsgespräch

Das pharmazeutische Entlassungsgespräch mit der Patientin/dem Patienten schließlich dient zusätzlich zum ärztlichen und pflegerischen Entlassungsgespräch der Optimierung der Weiterführung der Therapie im niedergelassenen Bereich: Information über den Einnahmemodus neu verordneter Medikamente, die mögliche Kombination mit OTC-Präparaten (OTC = Over the Counter, Verkauf rezeptfreier Medikamente). Eine enge konstruktive Zusammenarbeit mit dem chefärztlichen Dienst des Donauspitals verbessert die Adhärenz und trägt zu einer Reduktion von Versorgungslücken bei.
In 10 Jahren konstruktiver interdisziplinärer Zusammenarbeit auf der Kardiologie im Donauspital wurden von der klinischen Pharmazeutin ca. 2.400 Patientenkurven/Jahr/Station gesehen und bei mehr als 30% konnten pharmazeutische Hilfestellungen und Beratungen angeboten werden. Die Akzeptanz der Beratungsleistung durch die Ärzte lag bei über 80%.

Zusammenfassung:
Die Mitarbeit einer klinischen Pharmazeutin im therapeutischen Team einer internistischen-kardiologischen Station ist eine substanzielle Bereicherung

  • beim pharmazeutischen Aufnahmecheck
  • bei der interdisziplinären Teambesprechung
  • bei der regelmäßigen Begleitung der ärztlichen Visite
  • beim pharmazeutischen Entlassungsgespräch mit dem Patienten (als Ergänzung zum ärztlichen und pflegerischen Entlassungsmanagement)

Die Tätigkeit einer klinische Pharmazeutin/eines klinischen Pharmazeuten vor Ort und nicht in der Apotheke verbessert die Qualitätssicherheit der Arzneimittelanwendung
während des stationären Aufenthalts der Patienten und auch beim Nahtstellenmanagement. Durch Unterstützung des Arztes beim gezielten Einsatz von
Arzneimitteln leistet sie auch einen nicht zu unterschätzenden ökonomischen Beitrag.

 

Fact-Box

Die klinische Pharmazeutin unterstützt Ärzte und Pflege bei:

  • der richtigen Dosierung der Arzneimittel in Abhängigkeit von Organfunktionen
  • der Auswahl nebenwirkungsarmer Medikamente (speziell bei Polypharmazie im
    Alter)
  • dem Erkennen von Nebenwirkungen und klinisch relevanten Wechselwirkungen von Arzneimittelcocktails
  • der kritischen Betrachtung neuer Arzneimittel (Risk/Benefit auch ökonomisch gesehen)
  • der interdisziplinären Erstellung von Therapieempfehlungen
  • der Optimierung der Information der Patienten im sicheren Umgang mit den verordneten Medikamenten (Verbesserung der Adhärenz)
  • Dokumentation von klinisch relevanten Arzneimittelnebenwirkungen (Pharmakovigilanz)

 

Literatur bei den Verfassern