Diagnostik bei erwachsenen PatientInnen mit Blutungsneigung

PatientInnen mit einer angeborenen leichten bis mittelschweren Blutungsneigung präsentieren sich mit diversen Symptomen wie Nasenbluten, blauen Flecken, Hämatomen, verstärkten Blutungen aus kleinen Wunden oder verstärkten Menstruationsblutungen. In bestimmten Fällen können die Blutungen auch lebensgefährlich sein, wie zum Beispiel nach Operationen oder bei Geburten.1 Die Prävalenz von Blutungsneigungen ist in der Normalbevölkerung relativ hoch.2 Die häufigsten Ursachen sind Störungen der primären Hämostase (z. B. Von-Willebrand-Syndrom, Thrombozytenfunktionsstörungen) und Mangel an Gerinnungsfaktoren (z. B. Faktor-[F-]VIII-Mangel).3, 4
Schwere Blutungsstörungen wie zum Beispiel schwere Hämophilie, Von-Willebrand-Syndrom Typ 3 oder einige Thrombozytenfunktionsstörungen (wie zum Beispiel Thrombasthenie Glanzmann oder Bernard-Soulier-Syndrom) haben einen schweren Blutungsphänotyp mit Blutungsmanifestationen bereits in der Kindheit und werden daher zumeist in der ersten Lebensdekade diagnostiziert. Diese haben eine niedrigere Prävalenz in der Normalbevölkerung (Abb. 1).4, 5

 

 

Die Diagnostik bei PatientInnen mit leichter bis mittelschwerer Blutungsneigung sollte schrittweise erfolgen und sich am klinischen Schweregrad der Blutungsneigung orientieren. Ein Algorithmus zur schrittweisen Diagnostik wurde rezent in einem Consensus-Report der EHA publiziert.6

Anamnese, Blutungsscores und physikalische Untersuchung

Schleimhautblutungen sind ein häufiges Symptom bei Störungen der primären Hämostase. Späte Nachblutungen geben oft einen Hinweis auf Störungen bei der Fibrinbildungen oder Hyperfibrinolyse. Im Allgemeinen kann die Symptomatik keinen genauen Hinweis auf die definitive Blutungsstörung geben, und ausführliche Laboruntersuchungen sind immer notwendig.4
Blutungsscores wie der Vicenza Bleeding Score7 oder der ISTH-BAT8 sind Fragebögen, die systematisch die Blutungsneigung von PatientInnen quantifizieren. Sie stellen neben der ausführlichen Anamnese eine Screening-Möglichkeit dar, um mittels Cut-off-Werten „triviale“ von „echten“ Blutungsneigungen zu unterscheiden, und sind hilfreich in der Forschung, um verschiedene PatientInnengruppen miteinander vergleichen zu können.8 Da jedoch viele unterschiedliche Blutungsneigungen einen ähnlichen Phänotyp haben, haben Blutungsscores eine begrenzte Fähigkeit, bei der Diagnostik Hinweise auf die zugrundeliegende Diagnose zu geben.9 Außerdem sind sie nicht bei jeder Diagnose gleich gut anwendbar, um eine tatsächliche Blutungsneigung vorherzusagen.9 Der Blutungsscore wird zwar von der EHA als Orientierungshilfe vorgeschlagen, jedoch hängt dieser auch von diversen Expositionen wie Operationen, Zahnextraktionen oder Geburten im Laufe des Lebens ab und sollte unserer Meinung nach vor allem nicht allein ausschlaggebend für die Entscheidung der Durchführung einer genaueren Labordiagnostik sein.9
Auch eine positive Familienanamnese und Blutungsneigung seit der Kindheit können einen Hinweis geben, ob der/die PatientIn tatsächlich an einer angeborenen hämorrhagischen Diathese leidet. Des Weiteren gibt es auch erworbene Blutgerinnungsstörungen sowie viele Medikamente (z. B. Antikoagulanzien oder nichtsteroidale Antirheumatika), welche die Gerinnungsaktivität beeinflussen.4 Außerdem sollten endokrinologische Störungen (z. B. Cushing-Syndrom) sowie Leber- und Nierenfunktionsstörungen ausgeschlossen werden, da diese oft die Blutgerinnung beeinflussen.4, 6Bei der physikalischen PatientInnenuntersuchung sollte man auf blaue Flecken und Petechien achten. Wenn die Blutungsneigung nur auf eine Lokalisation beschränkt ist, muss man auch lokale Ursachen ausschließen.4

Laboruntersuchungen

PatientInnen mit einer verstärkten Blutungsneigung sollten nach einer ausführlichen Anamnese ein Standardscreening bekommen, welches Blutbild inklusive Thrombozytenzahl, aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), Prothrombinzeit (PTZ) und Fibrinogen beinhaltet. Es wird empfohlen, dass PatientInnen mit einem erhöhten Blutungsscore auch eine erweiterte Von-Willebrand- sowie Thrombozytenfunktionsdiagnostik erhalten. Basierend auf unserer Beobachtungen sind wir allerdings der Auffassung, dass alle PatientInnen, die in ein Zentrum zur Abklärung einer Blutungsneigung verwiesen werden und bei denen ein klinischer Verdacht vorliegt, eine ausführlich Diagnostik erhalten sollten.1, 9
Der genaue Algorithmus der Gerinnungsdiagnostik bei Blutungsneigungen, wie er im Consensus-Report der European Hematology Association vorgeschlagen wird6, ist in Abbildung 2 zusammengefasst. Die PTZ und die APTT geben Hinweise auf einen Mangel an Gerinnungsfaktoren. Die PTZ ist bei FVII-Mangel verlängert, die APTT ist bei FVIII-, FIX- und FXI-Mangel verlängert. Wenn sowohl PT als auch APTT verlängert sind, kann dies auf einen FII-, FV- und FX-Mangel hindeuten. Die APTT kann aber auch bei FXII-Mangel und Lupus-Antikoagulanzien verlängert sein, welche jedoch keine klinische Relevanz für die Blutungsneigung haben. FXIII-Mangel und andere leichte Faktoren-Mängel (z. B. auch leichte Verminderungen des FVIII, FIX oder FXI) sind nicht bei allen PatientInnen mit den globalen Tests nachweisbar.4

 

 

Der Einsatz weiterer globalen Tests wie Rotational Thromboelastometry (ROTEM®), Platelet Function Analyzer® (PFA-100) oder „Thrombin Generation Assays“ wird nicht mehr für die Abklärung von Blutungsneigungen empfohlen, da diese nicht für den klinischen Einsatz etabliert sind.6
Verschiedene Assays werden eingesetzt, um Von-Willebrand-Faktor-(VWF-)Antigene sowie VWF-Aktivität zu messen, VWF-Multimere werden mittels Gelelektrophorese gemessen. Die Klassifikation der 6 Typen des Von-Willebrand-Syndroms ist komplex. Es kann sich um einen Mangel (Typ 1 mit VWF unter 30 U/dl und bei Typ 3 nicht nachweisbar), aber auch um funktionelle Störungen (Typ 2A, 2B, 2N, 2M) handeln.10 VWF-Werte zwischen 30 und 50 U/dl bergen auch ein erhöhtes Blutungsrisiko und werden als „low VWF“ bezeichnet.3
Der Goldstandard der Thrombozytenfunktionsdiagnostik ist die Thrombozytenaggregometrie (Lichttransmissionsaggregometrie, LTA). Die Durchführung ist technisch herausfordernd und nicht gut standardisiert, daher vor allem spezialisierten Zentren vorbehalten.11 Dabei wird die Trübung des plättchenreichen Plasmas nach Zugabe verschiedener Agonisten untersucht; sie kann Hinweise auf veränderte Aggregation zur Norm geben.11 Bei auffälligen LTA-Ergebnissen und klinischem Verdacht kann auch die Fluoreszenz-Durchflusszytometrie angewendet werden, um eine verminderte Glykogenexpression (z. B. GPIIb/IIIa bei Glanzmann-Thrombasthenie oder GPIb/IX bei Bernard-Soulier-Syndrom) sowie um Aktivierungsmarker von Thrombozyten zu untersuchen.12
In seltenen Fällen können auch eine Hyperfibrinolyse oder vaskuläre Ursachen sowie andere seltene Erkrankungen die Ursachen für die Blutungsneigung sein.6 PatientInnen mit keiner definitiven Diagnose nach einer ausführlichen Gerinnungsdiagnostik werden als „Patients with Bleeding of Unknown Cause (BUC)“ bezeichnet.1, 13, 14 Zwischen 50 und 75 % aller PatientInnen mit milden Blutungsneigungen fallen in diese Kategorie, was in unserer Studie, der Vienna Bleeding Biobank (VIBB), beschrieben wurde.1, 13, 14 Die häufigsten Diagnosen in der VIBB sind (mögliche) Thrombozytenfunktionsstörungen, gefolgt vom Von-Willebrand-Syndrom und anderen seltenen Faktorenmängeln (FVIII, FIX, FXI, FXIII).1 Der Blutungsphänotyp von BUC-PatientInnen unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von anderen etablierten Diagnosen.1, 9 Die pathophysiologischen Mechanismen hinter BUC sind jedoch unklar und werden intensiv erforscht, können aber auch multifaktorielle Ursachen haben, wie wir das zum Beispiel auch bei der Thromboseneigung sehen.13
Genetische Untersuchungen sind hilfreich zur Verifizierung von bestimmten hämorrhagischen Diathesen, insbesondere bei der Hämophilie, aber auch beim Von-Willebrand-Syndrom und bei Thrombozytenfunktionsstörungen. Bei PatientInnen mit Blutungen unklarer Ursache konnten in einem speziellen Gen-Panel von 96 „diagnostic-grade“ Genen nur in 3,2 % genetische Variationen identifiziert werden.15 In Zukunft könnten innovative Genotyp-Phänotyp-Algorithmen zu einer besseren Diagnostik beitragen.15

Resümee

Die Diagnostik von Blutungsneigungen verlangt eine genaue Anamnese und sollte aufgrund der aufwändigen Labordiagnostik spezialisierten Zentren vorbehalten sein. In der Gerinnungsambulanz des AKH Wien (Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie) werden PatientInnen mit milden bis moderaten Blutungsneigungen ausführlich abgeklärt und können gerne zugewiesen werden. Nach Diagnose einer speziellen Blutgerinnungsstörung können PatientInnen gezielt und „personalisiert“ bei Blutungen, Verletzungen oder Operationen behandelt werden. Trotz sehr ausführlicher Untersuchungen bleibt aber ein Teil der PatientInnen ohne Diagnose, was zur Folge hat, dass nicht immer gezielt therapiert werden kann.