Bei der terminalen Nierenerkrankung ist die Transplantation die geeignetste Therapie, da sie einen Vorteil im Patientenüberleben und auch bezüglich der Lebensqualität hat. Diese Vorteile sind von mehreren Faktoren abhängig. In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass unter anderem die Wartezeit bis zur Transplantation ausschlaggebend ist. Solange die Patienten auf die Transplantation warten, sind sie in der Regel dialysepflichtig, und ihr Gesundheitszustand wird stetig schlechter. Das bedeutet, dass Patienten möglichst früh transplantiert werden sollten. Besonders präemptive Transplantationen haben eine gute Voraussage bezüglich des Überlebens. Jedoch ist diese Aussage bei Retransplantationen nicht mehr so klar zu machen. Es stellt sich also die Frage, wie sich die Transplantation auf die Lebenszeitspanne auswirkt.
In der Literatur wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene Studien veröffentlicht, die die lebensverlängernden Aspekte der Nierentransplantation beschrieben haben. Dabei kam es teilweise zu gegensätzlichen Aussagen. So berichtete Orandi in einer in den USA durchgeführten Studie von signifikanten Unterschieden zwischen den einzelnen Studiengruppen.1 Diese Studie teilte die Patienten in inkompatibel Transplantierte, Transplantierte oder Warteliste und nur auf der Warteliste stehende Patienten ein. Manook et al. führten 2017 eine sehr ähnliche Studie durch.2 Sie konnten keinerlei Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen. Gründe für diese konträren Aussagen dieser beiden Studien sind das Studiendesign und die Studienpopulation. Bei einem Vergleich solcher Gruppen ist besonders der „Lead Time Bias“ zu beachten. Er wird ausschlaggebend, wenn zwei zu vergleichende Gruppen unterschiedliche Startzeiten für das Risiko haben, wie es zum Beispiel beim Vergleich der Transplantationsgruppe mit der Wartelistengruppe passiert. Die Transplantationsgruppe muss schon definitionsgemäß so lange leben, dass die Transplantation stattfinden kann. Dadurch hat diese Gruppe von vornherein einen scheinbaren Vorteil gegenüber der Wartelistengruppe. Bei einer Kaplan-Meier-Analyse kann dieser Bias nicht ausgeglichen werden. Dazu werden komplexere Modelle benötigt. Zhang und Kollegen konnten in einer Beobachtungsstudie zeigen, dass sich die Überlebenszeit um ungefähr 4 Jahre auf 9 Jahre verringert, wenn für den Lead Time Bias korrigiert wird.3
Der Lead Time Bias ist aber nicht der einzige Fehler, der bei einer Überlebenszeitanalyse durch die Kaplan-Meier-Methode oder ähnliche Methoden passieren kann. Weitere Fehler sind:
Um solche Fehler zu minimieren, wurden aufwändigere Analysemethoden für Überlebenszeit-Modelle entwickelt. Eine davon ist die Methode des „emulated target trial“.4 Da eine Randomisierung zwischen Dialyse und Transplantation aus ethischen Gründen nicht möglich ist, wird bei dieser Methode eine virtuelle Studie gestartet, wenn Patienten zur Transplantation kommen (Abb.). Diese Transplantationsgruppe wird mit allen zu diesem Zeitpunkt transplantierfähigen Patienten verglichen. Dadurch wird der Lead Time Bias minimiert. Auf diese Weise haben Lenain und Kollegen in einer französischen Kohorte festgestellt, dass der Gewinn an Lebenszeit zwischen Dialyse und Transplant-Population nach 10 Jahren 6,8 Monate beträgt.5
Da die Transplantation aber nicht nur einen (moderaten) Vorteil in der Lebenszeit bringt, sondern auch die Lebensqualität erhöht, ist auch diese bei der Bewertung zu beachten. Patienten, die nicht mehr zur Dialyse müssen, sind in ihrer Zeiteinteilung freier. Andererseits müssen immunsupprimierende Medikamente genommen werden, um einen Transplantatverlust zu verhindern. Eine englische Studie, ausgerichtet von Gibbons und Kollegen, hat die Lebensqualität untersucht, indem sie einen Vergleich zwischen Studieneinschluss und einem Jahr danach gezogen haben.6 Die Patienten wurden in drei Gruppen eingeteilt: Patienten auf der Warteliste, Patienten mit Lebendspender-Transplantation und Leichenspender-Transplantation. Dabei zeigte sich, dass jene auf der Warteliste (ohne Transplantation) keine Änderung der Lebensqualität angegeben haben. Transplantierte Patienten hatten nach 12 Monaten eine höhere Lebensqualität. Jedoch hatten diese bereits bei Einschluss in die Studie einen höheren Wert für die Lebensqualität. Das galt auch für andere untersuchte Variablen wie solche, die die Gesundheit bewerteten.
Geht das erste Transplantat verloren, und es besteht die Möglichkeit der Retransplantation, sind neben dem moderaten Effekt der Lebensverlängerung auch ethische Fragen zu berücksichtigen. Die Spenderzahl ist zwar im Verhältnis zu den Menschen, die auf der Warteliste sind, im Steigen begriffen, weil die Kriterien für Spender erweitert wurden („expanded criteria donor“); trotzdem liegt die mediane Wartezeit in Österreich bei etwa 3 Jahren. Zur gleichen Zeit gibt es Patienten, die schon länger auf eine erste Transplantation warten. Warum sollte anderen Patienten bereits eine zweite oder dritte Niere zustehen? In Österreich erhalten ungefähr 30 % der Transplantierten ein zweites Transplantat. Hier wird teilweise das englisch bezeichnete „Fair Innings Argument“ diskutiert. Rivlin führt sechs Argumente an, warum das Fair Innings Argument in der Medizin nicht gelten kann.7 In seinem Artikel diskutiert er das Alter als Grenze zwischen Behandlung und Nichtbehandlung. Ähnliches würde auf die Wartezeit auf ein Transplantat umgelegt gelten. Man kann hier nicht von Fairness sprechen, da die Personen nie gleiche Bedingungen haben können, die sich auf den Erfolg – die Lebensverlängerung – der Transplantation auswirken.
Letztendlich müssen alle Faktoren in Betracht gezogen werden, und es muss zu einer individuellen Entscheidung kommen, ob eine Transplantation einer Behandlung an der Dialyse vorzuziehen ist.
Die Transplantation hat bei genauerer Betrachtung einen moderaten lebensverlängernden Effekt. Die Lebensqualität ist aber in der Regel trotz der Einnahme von immunsupprimierenden Medikamenten erhöht, sodass für die meisten Patienten –nach Berücksichtigung von Komorbiditäten und Alter – eine Transplantation als Behandlung für die terminale Niereninsuffizienz in Frage kommt.