Differenzialdiagnose bei Raynaud-Syndrom – Manchmal mehr als nur weiße Finger


Das Raynaud-Syndrom (RS) ist in der Mehrzahl der Fälle eine funktionelle Störung mit ungeklärter Pathophysiologie. Es kann aber sowohl Prädiktor als auch Symptom bei zugrunde liegenden Erkrankungen unterschiedlichster Pathogenese sein. Die Differenzialdia­gnose dient somit der Erfassung jener Patienten, bei denen das RS mehr als nur weiße Finger bedeutet.


Einteilung

Primäres RS: Es zeichnet sich durch einen symmetrischen Befall der Finger, durch Manifestation ohne trophische Störung und durch keine zugrunde liegende identifizierbare Ursache aus. Die Symptome bestehen länger als 2 Jahre. Die Ätiologie ist unbekannt.

Sekundäres RS: RS assoziiert mit einer zugrunde liegenden Erkrankung (Erkrankung mit etabliertem kausalen Zusammenhang) oder infolge mechanischer, chemischer oder toxischer Traumen.

Suspektes sekundäres RS: Es finden sich Hinweise auf eine zugrunde liegende Erkrankung (z. B. inzipiente Verhärtung der Haut der Finger, pathologische Kapillarmikroskopie, positive ANA), eine solche kann aber (noch) nicht etabliert werden.

Ursachen des sekundären Raynaud-Syndroms

Systemische Erkrankungen: Klassische zugrunde liegende Erkrankungen sind Kollagenosen. Ca. 80 % aller Patienten mit Sklerodermie präsentieren sich, oft als Erstsymptom, mit RS; bei Mischkollagenosen (Mixed Connective Tissue Disease – MCTD) sind es 85 %, bei systemischen Lupus erythematodes 40 % und bei M. Sjögren etwa 30 %. Geringer ausgeprägt ist der Anteil von Raynaud-Sym­ptomatik bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Dermatomyositis oder rheumatoider Arthritis. Zahlreiche hämatologische Erkrankungen wie Kryoglobulinämie, Kälteagglutininerkrankungen, Kryofibrinogenämie, Plasmozytom und andere Erkrankung mit Paraproteinämien, Leukämie und Polycythaemia vera können eine Raynaud-Sym­ptomatik aufweisen.

Gefäßerkrankungen: Alle Erkrankungen mit Digitalarterienverschlüssen können ein Raynaud-Syndrom induzieren. Bei jüngeren Patienten ist häufig eine Thrombangitis obliterans als Grundkrankheit vorhanden oder Embolien in die Peripherie aus Läsionen der A. subclavia bei einem Thoracic-Outlet-Syndrom. Bei älteren Patienten ist an kardiale Embolien, an Embolien aus stenotischen Veränderungen der großen Extremitätenarterien oder an eine digitale Arteriensklerose zu denken. Aber auch entzündliche Gefäßerkrankungen wie Takayasu-Syndrom oder Riesenzellarteriitis führen durch die Verschlusssymptomatik im meist abgangsnahen Bereich der oberen Extremitätenarterien zu einer Ischämiesymptomatik.

Medikamente: Zahlreiche Medikamente können ein RS auslösen oder eine vorhandene vasospastische Symptomatik verschlechtern. Am häufigsten gilt dies für Betablocker, weiters für Amphetamine, Kokain, Ergotamine, Interferon und zahlreiche Chemotherapeutika, vor allem Bleomycin.

Mechanische Traumata: Geräte oder Maschinen, die in einem Frequenzbereich von 100 bis 200 Hertz schwingen, können das so genannte Vibrationssyndrom erzeugen. Zu den ebenfalls berufsbedingten Erkrankungen gehört das Hypothenar-Hammer-Syndrom. Durch den Gebrauch von Werkzeugen, die zu rezidivierenden Traumen im Bereich der A. ulnaris am Übergang zum Hohlhandbogen führen, kommt es in diesem Bereich zu Gefäßokklusionen und auch distalen Fingerarterienembolien.

Endokrine Erkrankungen: Selten findet sich bei Hypothyreose, Phäochromozytom oder Karzinoidsyndrom eine vasospastische Komponente.

Sonstige Ursachen: Raynaud-Anfälle finden sich bei Dialysepatienten, durch den Shunt kommt es an der Dialysehand zu einem Steal-Phänomen. Weiters wird auch ein RS als paraneoplastische Symptomatik, vor allem im Zusammenhang mit hämatologischer Grunderkrankung beschrieben.

Diagnostischer Algorithmus zur Differenzialdiagnostik

Abb. 1 zeigt ein im Alltag bewährtes Schema. Das Screeningprogramm beinhaltet eine ausführliche Anamnese, eine klinische Untersuchung, eine angiologische nicht-invasive Basisdiagnostik, Blutbefunde inkl. aller Autoimmunparameter, ein Handröntgen, ein Lungenröntgen und eine Vitalmikroskopie der Nagelfalzkapillaren.

 

 

Oft schon kann durch die klinische Diagnostik zumindest der Verdacht auf ein sekundäres RS geäußert werden. Abb. 2 zeigt den typischen Unterschied eines Raynaud-Anfalls bei primärem RS (symmetrischer Befall aller Finger beider Hände) und bei sekundärem RS (Befall einzelner Finger). Zur weiteren Dia­gnostik gehören eine ausführliche Anamnese, vor allem Berufs- und Medikamentenanamnese, Pulspalpation, Durchführung eines Allen-Tests, Inspektion von Händen und Füßen auf Schwellungen, Hautveränderungen wie Indurationen oder Sklerosierungen oder Läsionen. Die Inspektion muss sich auch auf Mund (z. B. verkürztes Zungenbändchen), Gesicht und andere Hautareale erstrecken.

 

 

Die nicht-invasive angiologische Basisdiagnostik soll zwischen vasospastischer und okklusiver Angiopathie unterscheiden. Verschiedene Techniken stehen hierfür zu Verfügung (Oszillografie, Thermografie, Doppler-Ultraschall). Für eine vasospastische Komponente spricht, wenn spontan normale akrale Befunde vor­liegen oder es zu einer Normalisierung der oszillografischen Kurven, nach einem Wärmebad oder nach Gabe eines Vasodilatators kommt. Persistierende Vasospasmen ergeben den Verdacht auf eine okklusive Komponente. In diesem Fall wird eine weiterführende angiologische Diagnostik mittels Doppler-Ultraschall und Duplexsonografie durchgeführt. Nur wenn diese Methoden keinen eindeutigen Befund ergeben, sollten Schnittbildverfahren ergänzend eingesetzt werden.
Die Labordiagnostik umfasst Entzündungsparameter, Leber- und Nierenparameter sowie einen Harnbefund. Diese Laborwerte sind unspezifisch für die Diagnostik, sind allerdings zur Messung der Inflammationsaktivität und für die Erfassung einer eventuellen Organbeteiligung wichtig. Spezifischer sind die Bestimmung von Biomarkern wie antinukleäre Antikörper zur Differenzialdiagnose von Kollagenosen, Rheumafaktor zur Differenzialdiagnose einer rheumatischen Arthritis, Kryoglobuline zum Beweis einer kryoglobulinämischen Vaskulitis und ANCA-Antikörper als Beweis einer ANCA-assoziierten Vaskulitis.
Lungenröntgen und Handröntgen können Frühformen von Bindegewebserkankungen oder rheumatischen Erkrankungen zeigen.
Eine besonders wichtige Rolle im Screeningprogramm kommt der Kapillarmikroskopie zu. Diese ist ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel zur Differenzierung zwischen primärem und sekundärem RS. Vor allem bei Kollagenosen, insbesondere bei Sklerodermie, gibt es ein charakteristisches Kapillarbild mit z. B. Megakapillaren, kapillären Blutungen und avaskulären Feldern, die auch zur Einteilung des Aktivitätsstadiums der Erkrankung nützlich sind.
Sind alle Screeningbefunde negativ, lautet die Diagnose auf primäres RS, die Kontrolluntersuchungen erfolgen nach klinischer Einschätzung und Wunsch des Patienten alle 1 bis 2 Jahre.
Positive Befunde bei der Screeninguntersuchung führen zur Diagnose suspektes sekundäres RS. In solchen Fällen erfolgt eine weiterführende Diagnostik, die sich nach den vorhandenen pathologischen Befunden richtet und das Ziel hat, eine Grunderkrankung zu identifizieren. Ist dies beim ersten Mal nicht möglich, verbleibt der Patient im Status eines suspekten sekundären RS, die weiterführende Diagnostik wird jährlich wiederholt, so lange, bis eine Grundkrankheit identifiziert werden kann.

Vorgeschlagenes Procedere im klinischen Alltag

Die Prävalenz und Inzidenz des sekundären RS in der Gesamtbevölkerung ist schwierig zu schätzen. Epidemiologische Daten ergeben, dass Zahlen, die an Spitalskollektiven ermittelt wurden (Prävalenz des sekundären RS zwischen 5 bis 20 %, jährliche Inzidenz ca. 2 %), zumindest 10fach höher sind als Zahlen, die außerhalb des Spitals zu erwarten wären.
Es muss also die Balance gewahrt werden zwischen der Tatsache, dass die Prävalenz einer SRS bei jungen und sonst gesunden Menschen, die manchmal nur als Nebenbefund ihre Raynaud-Symptomatik schildern, als sehr gering einzuschätzen ist. Andererseits sind Patienten, die wegen Raynaud-Symptomatik eine ärztliche Konsultation aufsuchen, vermutlich jene mit schwereren Symptomen. Die Schwere der Symptomatik ist aber ein wichtiger Prädiktor für die Entstehung eines sekundären RS.
Weitere klinische Prädiktoren sind Auftreten im späteren Lebensalter und vorher geschilderte klinische Auffälligkeiten. Diese Patienten sollten dann das erwähnte komplette Screeningprogramm erfahren.


ZUSAMMENFASSEND kann gesagt werden, dass eine Überweisung von Raynaud-Patienten an ein Spezialzentrum dann erfolgen sollte, wenn die Diagnose unklar ist, wenn Verdacht auf eine sekundäre Ursache besteht, wenn der Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht, wenn digitale Ulzerationen vorhanden sind und wenn Symptome unter konservativer Therapie nicht ausreichend behandelt sind.