Univ.-Prof. Dr. Axel Bauer: Das Ziel muss sein, dass die Universitätsklinik für Innere Medizin III in den jeweiligen Fachbereichen, Kardiologie und Angiologie, weiterhin universitäre Medizin auf höchstem Niveau in Forschung, Lehre und Klinik vertritt. Mein Ziel ist es einerseits, bereits etablierte Schwerpunkte und Forschungsaspekte weiter zu unterstützen bzw. zu verfolgen und andererseits natürlich mit meiner eigenen Expertise bestimmte Schwerpunkte zu setzen.
Im klinischen Bereich ist Interdisziplinarität unumgänglich. Das beinhaltet in der Kardiologie zum einen die enge Zusammenarbeit mit der Herzchirurgie, weil viel neue Techniken, insbesondere katheterbasierte und minimalinvasive, nur in Synergie zu bewältigen und voranzutreiben sind. Zum anderen ist die Einbettung innerhalb der Inneren Medizin, also der Gastroenterologie, Onkologie, Endokrinologie usw., erforderlich, weil Multimorbidität besonders bei kardiologischen Patienten eine große Rolle spielt und in Zukunft durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung auch weiter zunehmen wird. In der Forschung ist einer der Schwerpunkte, die ich setzen möchte, die digitale Medizin. Das betrifft die systematische Datenerfassung in hoher Qualität mit entsprechend intelligenter Auswertung und damit die Entwicklung von neuen Diagnose- und Therapieformen. Daneben möchte ich im Bereich der Forschung die interventionelle Kardiologie und die strukturelle Herzerkrankung betonen; das sind die ganz wesentlichen Aspekte, die in Zukunft auch eine große Rolle spielen werden, gerade weil, wie bereits angesprochen, die Bevölkerung immer älter wird und wir daher schonendere operative Verfahren brauchen werden.
Die Lehre ist ein wichtiger, dennoch leider oft unterschätzter Aspekt. Denn die Studierenden sind ja die Zukunft im medizinischen Bereich. Wir haben daher nicht nur die Verpflichtung, eine exzellente Ausbildung anzubieten, sondern darüber hinaus auch die Begeisterung der Studierenden für den Fachbereich zu wecken. Das ist auch deshalb in unserem Interesse, weil wir nur so die besten Kräfte für unseren Standort erhalten, die dann für Forschung und Klinik zur Verfügung stehen.
Meine persönlichen Forschungsinteressen liegen im Bereich der digitalen Medizin, insbesondere in der Analyse von Biosignalen. Das sind Signale, die der Mensch in irgendeiner Form generiert und die dann z. B. durch Elektroden, Drucksensoren oder auch moderne Devices wie Smartphones und Smartwatches abgeleitet werden können, um sie daraufhin entsprechend mit (eigens entwickelten) mathematischen Verfahren auszuwerten. Diese Analysen erlauben Rückschlüsse über Steuerungsprozesse im Körper, so auch am Herzen. Uns ist es in der Vergangenheit gelungen, mit solchen Technologien tatsächlich Risikopatienten zu identifizieren, die z. B. für maligne Arrhythmien ein hohes Risiko haben. In einigen gerade laufenden prospektiven Studien verknüpfen wir diese Risikostratifizierung oder -identifizierung dann mit einer neuen Art von personalisierter Medizin: Patienten wird z. B. ein Chip unter die Haut implantiert, der sie rund um die Uhr überwacht und es erlaubt, frühzeitig – so zumindest die Vision – drohende Komplikationen zu erkennen und entsprechend abzuwenden.
Eine wichtige Thematik in der Kardiologie ist der plötzliche Herztod. Eine Möglichkeit, Patienten davor zu schützen, ist der implantierbare Defibrillator (implantierbarer Kardioverter-Defibrillator [ICD], Anm.). Das Herz wird nach Implantation rund um die Uhr überwacht, und sobald eine maligne Arrhythmie auftritt, wird ein Schock abgegeben. Es ist momentan allerdings unbekannt, welche Patienten wirklich von einem ICD profitieren. Die aktuellen Leitlinien geben gewisse Vorgaben; so sagen sie, dass Patienten mit eingeschränkter Herzleistung grundsätzlich Kandidaten für eine solche prophylaktische Therapieform sind.
Deswegen haben wir einen digitalen Biomarker – „periodic repolarisation dynamics“ (periodische Repolarisationsdynamik) – entwickelt, der letztendlich EKG-basiert bestimmte Steuerungsprozesse des autonomen sympathischen Nervensystems quantifiziert und damit sozusagen abnormales Verhalten erkennen kann. In der EU-CERT-ICD-Studie haben wir prospektiv an rund 1.400 Patienten quer über Europa u. a. die Effektivität dieser Defibrillatortherapie überprüft; die war gegeben. Auch in der heutigen Zeit mit moderner medikamentöser Begleittherapie – das war nicht von vornherein klar. Außerdem konnte der neu entwickelte Biomarker tatsächlich jene Patienten identifizieren, die maßgeblich von einem ICD profitiert haben – sprich: Der Defibrillator hat ihnen das Leben gerettet.
Das öffnet natürlich eine Tür zur personalisierten Medizin in der Form, dass wir Patienten, die grundsätzlich für einen ICD in Betracht gezogen werden, besser beraten können, indem wir diese Messungen durchführen, den Biomarker bestimmen und dann uns eher für oder gegen eine solche Maßnahme aussprechen. Es sind nicht nur Kostengründe, die hier eine Rolle spielen – in der EU entstehen durch die prophylaktische ICD-Therapie jährlich Kosten in der Höhe von etwa zwei Milliarden Euro –, sondern es geht auch um den Patienten, da die Defibrillatortherapie auch ein gewisses Komplikationsrisiko birgt; grundsätzlich bereits durch die Implantation selbst, aber es kann beispielsweise in der Folge auch zu Sondeninfektionen oder -brüchen kommen, was dann mitunter inadäquate Schockabgaben zur Folge hat. Die Patienten erleben dann bei vollem Bewusstsein einen Schock mit entsprechenden psychischen Auswirkungen. Aus diesen Gründen braucht es harte, belastbare Empfehlungen, die klar ausdrücken, welche Patienten von einem ICD profitieren und welchen man eine ICD-Implantation ersparen kann. Aber dazu bedarf es weiterer Studien. Diese erste prospektive verblindete Validierung des neuen Biomarkers ist aber ein erster Ansatz zur personalisierten Therapie beim plötzlichen Herztod.
Leitlinien basieren auf Studien, die in den 2000er-Jahren publiziert wurden. Für diese Studien wurden Patienten bereits in den 1990er-Jahren eingeschlossen. Die damalige medikamentöse Begleittherapie bei Herzinsuffizienz unterschied sich wesentlich von dem heutigen Standard. Mortalität und Rhythmusneigung waren weit höher; wir können die Patienten heutzutage viel besser stabilisieren. Dennoch geben die Leitlinien diese breitflächige Empfehlung zur Implantation ab, und sie werden befolgt, weil ihnen die einzigen aktuell verfügbaren randomisierten Studien zugrunde liegen. Auf der anderen Seite übersehen wir auch viele Patienten. Das ist auch ein großes Problem.
Es gibt daher viele Stimmen in der Kardiologie, die sagen, dass man hier eine viel bessere Stratifizierung braucht, um die Patienten zu identifizieren, die tatsächlich einen ICD benötigen. Aktuell suchen wir leitliniengemäß ausschließlich nach den Patienten mit eingeschränkter Pumpleistung. Man weiß aber aus großen epidemiologischen Studien, dass zahlenmäßig die meisten plötzlichen Herztodesfälle eigentlich bei Patienten auftreten, die klinisch gar nicht sonde
rlich auffällig sind, sondern z. B. einen Infarkt hatten und deren Pumpleistung nur leichtgradig oder moderat eingeschränkt ist. Die fallen quasi durch dieses Raster der alten Kriterien.
Es ist also noch ein weiter Weg, den wir gehen müssen, um den plötzlichen Herztod wirklich in den Griff zu bekommen. Er ist nach wie vor die häufigste Einzeltodesursache in Europa und der restlichen Welt. Ich glaube, dass sich die Leitlinien in Zukunft in Richtung Personalisierung entwickeln werden, aber es ist noch ein langer Weg, den wir zu bestreiten haben. Neue randomisierte Studien – basierend auf den jetzigen Erkenntnissen zur besseren Einschätzung des individuellen Risikoprofils – müssen erst durchgeführt werden. Das ist die Voraussetzung für eine Änderung der Leitlinien.
Ich glaube, dass wir aktuell an einem Punkt sind, wo uns Kardiologen wirklich eine Vielzahl suffizienter Therapieformen zur Verfügung stehen. Medikamentös sind bei der Behandlung des Myokardinfarkts und der Herzinsuffizienz massive Fortschritte erzielt worden. Zeitgleich gab es enorme Entwicklungen bei minimalinvasiven oder katheterbasierten Therapien von Herzerkrankungen, und zwar sowohl im Bereich der KHK als auch im Bereich der Klappenerkrankungen. So können wir heutzutage viele Klappenerkrankungen mittels katheterbasierter Techniken beheben bzw. suffizient behandeln. Aber auch hier müssen wir lernen, diese Therapieformen in Zukunft zielgerichteter einzusetzen. Gerade im medikamentösen Bereich ist es oft so, dass wir breite Indikationen haben. Das führt dazu, dass wir sehr viele Patienten therapieren müssen, um einem zu helfen. Die „number-needed-to-treat“ ist sehr hoch.
Wir werden es uns aufgrund der Kostenentwicklungen im Medizinsektor schlicht und ergreifend nicht mehr leisten können, schrotschussartig jedem Patienten jede Therapie anzubieten. Wir müssen daher lernen, effizient zu therapieren, ohne an Qualität einzubüßen. Das ist ein schwieriger und neuer Weg, weil wir als Ärzte bislang nicht so gedacht haben bzw. nicht so denken mussten. Die digitale Medizin ist dabei ein wichtiges Instrument, das uns hilft, tatsächlich herauszufinden, welche Patienten zu welchem Zeitpunkt von welcher Therapie profitieren. Das ist eine der ganz wesentlichen Entwicklungen, die wir in den nächsten Jahren sehen werden.