Der zweite „Lockdown“ zeigt es erneut: Die Ordinationen der niedergelassenen Ärzte, speziell auch der Internisten, bleiben offen. Die Anschuldigungen, wonach Ärzte quasi bei „Gefahr in Verzug“ sofort zusperren würden, hatten sich schon bei der ersten Stilllegung des öffentlichen Lebens wegen SARS-CoV-2 im März dieses Jahres als völlig haltlos erwiesen. 90 % der Praxen hatten zu jedem Zeitpunkt weitergearbeitet. Das bewiesen die ELGA-Daten – und an denen ist wohl nicht zu rütteln.
„Das Gleiche galt und gilt für die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern. Und man muss sich für alle von uns ständig im Bewusstsein halten, dass jeder im österreichischen Gesundheitswesen Tätige bisher unter stark erschwerten Bedingungen durchgehalten hat und durchhält“, sagte Dr. Lothar Fiedler, Bundesfachgruppenobmann Innere Medizin in der Österreichischen Ärztekammer.
Das alles hat laut dem Bundesfachgruppenobmann aber auch – bei allen Schwierigkeiten – positive Aspekte gezeitigt. „Unter dem Druck der Ereignisse rund um die Pandemie auf allen Ebenen unserer beruflichen Tätigkeiten kam es eindeutig zu einem Zusammenrücken aller Berufsgruppen. Ohne das tolle Engagement aller Teams wäre das Aufrechterhalten eines funktionierenden Systems nie möglich gewesen, wäre nie möglich“, sagte Dr. Fiedler.
Umstellung auf Telemedizin, andere Terminvergaben, Anpassung aller Abläufe zur Vermeidung von SARS-CoV-2-Infektionen in den Ordinationen, in Ambulanzen und selbstverständlich auch in der stationären Versorgung, Quarantänemaßnahmen, Diagnostik, Therapie und Nachbehandlung unter diesen erschwerten und stressigen Bedingungen – das hat alle Beteiligten zusammengeschweißt.
„Wir sollten diesen Schub an Kooperation für die Zukunft mitnehmen. Es geht um Wertschätzung, um respektvollen Umgang miteinander, um Zusammenarbeit über künstlich aufrechterhaltene Standesgrenzen und Standesdünkel hinweg. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder und langmächtig in von der Gesundheitspolitik eingerichteten Gremien über die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen diskutiert und ‚verhandelt‘. Oft hat man – das war manchmal durchaus ideologisch bedingt – dabei einfach vergessen, dass der Letztverantwortliche für das Wohl des Patienten immer der Arzt ist. Man wollte die Bedeutung der Ärztinnen und Ärzte herunterspielen“, betonte der Bundesfachgruppenobmann.
Es ist Zeit für eine Neubesinnung, meinte Dr. Fiedler. „Die Stärke unseres Gesundheitswesens liegt in der Teambildung. Da muss jeder mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet sein, nimmt seinen Platz ein. Verantwortlichkeiten sind geregelt, gegenseitige Wertschätzung ist gelebte Praxis. Wer die Erfahrung miteinander durchgestandener Krisensituationen gemacht hat, reagiert auch in der Zukunft anders – kooperativer.“
Unter diesen Auspizien ließen sich auch für die Zukunft neue Aufgabenverteilungen finden, die einer besseren umfassenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung dienen. „Längst nicht alles muss der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin abdecken. Gesundheits- und Krankenpflegepersonal kann im Rahmen von vom verantwortlichen Arzt delegierten Tätigkeiten viele Funktionen ausüben“, erklärte der Bundesfachgruppenobmann.
„Es muss halt immer ein Dienst am Patienten sein, nicht das Ausfüllen von Positionen in irgendwelchen Hierarchien“, sagte Dr. Fiedler. „Mehrwert“ für die Patienten ist gefragt. „Es stellt sich – besonders in den Spitälern – schon seit längerer Zeit die Frage, ob die vielen ‚Häuptlinge‘ in Leitungsfunktionen wirklich Entscheidendes verbessern. Wir brauchen Qualität beim Patienten, nicht zuvorderst Höchstqualifizierte für eine überbordende Bürokratie.“
Auch in der niedergelassenen Praxis sollte dieser neue Schub an Solidarität im Zuge der Bewältigung der COVID-19-Krise genutzt werden. „Wir benötigen einen verstärkten Fokus auf gut funktionierende Modelle der Zusammenarbeit. Das sind die Sprechstundenhilfen, diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal, verbesserte Kooperation mit den ambulanten Diensten und mit Gesundheitsberufen wie Physiotherapeuten etc. Als Ärzte sind wir offen für alles, was den Patienten hilft. Jetzt wäre es an der Zeit – auch für die Gesundheitspolitik –, die Ereignisse der vergangenen Monate zu analysieren und das Gute an neuen Errungenschaften für die Zukunft mitzunehmen – auch den Teamgeist, ohne den es nicht geht“, sagte Dr. Fiedler.