Typ-1-Diabetes-Komplikationsvermeidung bei Kindern und Jugendlichen

Akutkomplikationen

Hypoglykämien: Das Risiko für Hypoglykämien ist ein kritischer Faktor im Management des Diabetes: Schwere Hypoglykämien und die Angst davor sind sowohl bei Kindern als auch bei ihren Eltern limitierende Faktoren, um eine “nahe-normoglykämische” Stoffwechseleinstellung zu erreichen.
Hypoglykämiesymptome bei Kindern unterscheiden sich von Symptomen der Erwachsenen. Je jünger das Kind ist, desto eher zeigt es neurologische Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten als autonome Symptome. Ein weiteres Problem bei kleinen Kindern ist das “Nicht-Wahrnehmen” von hypoglykämischen Symptomen, was wiederum mit einem höheren Risiko für schwere Hypoglykämien und für nächtliche Hypoglykämien (welche oft asymptomatisch und prolongiert sind) assoziiert ist. Sehr kleine Kinder können ihre Hypoglykämiesymptome oft auch noch nicht verbalisieren.
Metaanalysen über die Inzidenz von schweren Hypoglykämien in der Pädiatrie ergeben eine Frequenz von 10-20 Episoden pro 100 Patientenjahre an, wobei jüngere Kinder (< 4 Jahren) häufiger betroffen sind. Obwohl die Daten teilweise kontrovers diskutiert werden, konnten folgende Risikofaktoren erarbeitet werden:

  • niedriges HbA1c
  • jüngeres Alter
  • ängere Diabetesdauer
  • Insulinmenge
  • vorangegangene Hypoglykämien

Eine verminderte Nahrungszufuhr mit reduzierter Kohlenhydratmenge ist die häufigste Ursache für Hypoglykämien. Zweithäufigste Ursache ist die vermehrte körperliche Betätigung. Die Insulinüberdosierung als Ursache für Hypoglykämien ist eher selten. Durch den Einsatz von Insulinpumpentherapien und auch den Einsatz von (sowohl lang wirksamen als auch kurz wirksamen) Insulinanaloga konnte eine Reduktion von schweren Hypoglykämien und nächtlichen Hypoglykämien bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes erzielt werden.

Diabetische Ketoazidose (DKA): Die DKA ist die Hauptursache für die Mortalität und Morbidität von Kindern mit Typ-1-Diabetes. Sie wird verursacht durch einen Insulinmangel und der zusätzlich vermehrten Ausschüttung von kontrainsulinären Hormonen.
Symptome der DKA sind zunächst Polyurie, Polydipsie und Gewichtsverlust, später treten Zeichen der hypertonen Dehydratation hinzu. Zeichen für das Vorliegen einer Ketoazidose sind Azetongeruch und eine Kussmaul- bzw. Azidoseatmung.
Die DKA tritt bei Kindern und Jugend lichen sowohl bei Manifestation der Erkrankung als auch als Komplikation bei bereits bestehendem Diabetes auf.
Die Frequenz der DKA bei Erstmanifestation variiert stark und wird mit 15-67% angegeben. Die Inzidenzraten der DKA korrelieren invers mit der regionalen Diabetesinzidenzrate. Das bedeutet, dass Länder mit einer hohen Diabetesinzidenz eine niedrigere DKA-Rate haben. Weiters konnte gezeigt werden, dass die Ketoazidoserate bei Erstmanifestation bei kleinen Kindern (< 4 Jahren), bei Kindern ohne Verwandte ersten Grades mit Typ-1-Diabetes und in Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status erhöht ist.
Das Risiko einer DKA bei Patienten mit bekanntem Diabetes beträgt 1-10% pro Patient und Jahr. Es ist erhöht bei Kindern mit schlechter Stoffwechselkontrolle oder vorangegangener DKA, bei jugendlichen Mädchen, Kindern mit psychiatrischen Erkrankungen (inklusive Essstörungen) und bei Kinder und Jugendlichen mit schwierigen Familienumständen. Selten tritt eine DKA auch durch ein Fehlverhalten während einer Erkrankung auf (inadäquate Insulinanpassung).
Eine DKA bei bekanntem Diabetes tritt also fast ausschließlich bei absichtlichem oder durch Nachlässigkeit verursachtem therapeutischen Fehlverhalten auf. In einer Präventionsstudie mit einer speziellen Kampagne durch Ärzte und Lehrer, die besonders auf 6-14-Jährige ausgerichtet war, konnte die DKA-Rate in 6 Jahren von 78% auf fast 0% gesenkt werden. Deshalb muss es unser Ziel sein, dass durch vermehrte Öffentlichkeitsarbeit, Eltern, Lehrer und Betreuungspersonen die Zeichen und Symptome des Diabetes frühzeitig erkennen, um durch frühere Diagnosestellung schwere DKA zu vermeiden.

Spätkomplikationen

Seit der Einführung von Insulin ist der Typ-1-Diabetes zwar prinzipiell behandelbar, aber, wie schon Frederick Banting in seiner Nobelpreisrede 1924 feststellte: “Insulin is a treatment, but not a cure”. Und Spätkomplikationen wie Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie und makrovaskuläre Komplikationen sind heute bestimmend für das Lebensschicksal von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes.
Schon früh wurde gezeigt, dass vaskuläre Komplikationen eine gewisse Erkrankungsdauer benötigen, weshalb sie als “Spätkomplikationen” bezeichnet wurden, und es wurde vermutet, dass das Auftreten dieser Komplikationen mit der Stoffwechselkontrolle in Zusammenhang steht.
Der Diabetes Control and Complication Trial (DCCT) konnte dann eindeutig zeigen, dass die intensivierte Insulintherapie durch eine Verbesserung der Stoffwechselkontrolle (HbA1c < 7,5 %) zu einer signifikanten Senkung der mikrovaskulären Komplikationen, verglichen zur konventionellen Insulintherapie, führte. Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung von Spätkomplikationen sind längere Diabetesdauer, Pubertät, Rauchen, Hypertonie, hoher Body Mass Index (BMI) und Dyslipidämie (Tab.).
Besonders in der Kinder- und Jugendheilkunde muss, um Spätkomplikationen zu vermeiden, das Augenmerk auf Prävention und auf Screeninguntersuchungen gelegt werden.
Zielwerte, um das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen zu verringern, sind: HbA1c < 7,5%, Normalisierung der Blutfette, Blutdruck < 90. Perzentile (bezogen auf Alter, Geschlecht und Größe), BMI < 95. Perzentile, kein Rauchen und vermehrte körperliche Aktivität. Bezüglich Screening wird folgendes Vorgehen empfohlen: Das Screening auf Retinopathie und Mikroalbuminurie sollte nach dem 11. Lebensjahr und 2 Jahren Diabetesdauer bzw. ab dem 9. Lebensjahr und 5 Jahren Diabetesdauer begonnen werden. Danach sollten Screeninguntersuchungen jährlich durchgeführt werden. Blutdruckmessungen sollten regelmäßig durchgeführt werden und die Blutfette sollten kurz nach Diagnosestellung bei allen Kindern, die älter als 12 Jahre sind, bestimmt werden. Sind die Blutfette normal, genügen 5-jährige Kontrolluntersuchungen.

 

Tab.: Screeningmethode, Risikofaktoren und consensus guidelines 2009).

Screening-Methoden

Risikofaktoren

Intervention

Retinopathie

Fundusphotografie Ophthalmoskpie ( E)

Hyperglykämie (A) Hoher RR (B) Lipidabnormalitäten (B) Hoher BMI ( C)

Verbesserung metabol. Kontrolle (A) Lasertherapie (A)

Nephropathie

U Albumin/Kreatinin Ratio Morgenharn-Albumin Konzentration ( E)

Hoher RR (B) Lipidabnormalitäten (B) Rauchen (B)

Verbesserung metabol. Kontrolle (A) ACEI und AIIRA (A) Blutdrucksenkung (B)

Neuropathie

Anamnese Physikalische Untersuchung

Hyperglykämie (A)
Hoher BMI (C)

Verbesserung metabol. Kontrolle (A)

Makrovaskuläre Erkrankungen

Lipidprofil alle 5 Jahre
RR jährlich

Hyperglykämie (A)
Hoher RR (A) Lipidabnormalitäten (B) Hoher BMI ( B) Rauchen (B)

Verbesserung
metabol. Kontrolle (A) Blutdruck-Kontrolle (B) Statine (A)

Fact-Box
Das Risiko für Hypoglykämien ist ein kritischer Faktor im Management des Diabetes. Schwere Hpoglykämien und die Angst davor sind sowohl bei Kindern als auch bei ihren Eltern limitierende Faktoren, um eine “nahe-normoglykämische” Stoffwechseleinstellung zu erreichen.
Die diabetische Ketoazidose (DKA) ist die Hauptursache für die Mortalität und Morbidität von Kindern mit Typ-1-Diabetes.
Spätkomplikationen wie Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie und makrovaskuläre Komplikationen sind heute bestimmend für das Lebensschicksal von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes.

 

Literatur:
– Hürter P., Danne T.: Diabetes bei Kindern und Jugendlichen. Springer Verlag 2005
– Clarke W. et al., Pediatr Diabetes 2009; 10 (Suppl. 12):134
– Dunger D.B. et al., Pediatrics 2004; 113:133
– Wolfsdorf J. et al., Pediatr Diabetes 2009; 10 (Suppl. 12):118
– DCCT Research Group, New Engl J Med 1993; 329:977
– Donaghue K.C. et al., Pediatr Diabetes 2009; 10 (Suppl. 12):195ff.
– Chiarelli F. et al. (eds): Diabetes in childhood and adolescence: Pediatr Adolesc Med, Vol 10, Basel Karger 2005
– Nordwall M. et al., Pediatr Diabetes 2009; 10:168