Die Implementierung von strukturierten landesweiten Vorsorgeuntersuchungen gekoppelt an Qualitätssicherungsprogramme war auch heuer wieder ein Schwerpunkt der United European Gastroenterology Week. Besonders interessant waren Erfahrungsberichte jener Länder, die bereits erfolgreich qualitätsgesicherte Vorsorgeprogramme entwickelt haben. Kurz zusammengefasst können große Fortschritte im Screening des kolorektalen Karzinoms (KRK) verzeichnet werden, es besteht jedoch weiterhin kein Konsens hinsichtlich der optimalen Herangehensweise.
Polen hat die Vorsorge-Koloskopie als primäres Screening-Tool und kann mittlerweile auf 18 Jahre Erfahrung zurückblicken. Zeitgleich zur opportunistischen Vorsorge-Koloskopie wurde ein nationales Register etabliert, welches derzeit von 119 Zentren mit ca. 500 Endoskopikern befüllt wird; das Datenvolumen beträgt in etwa 120.000 Koloskopien pro Jahr. Parallel zu dem opportunistischen Programm wurde 2012 ein populationsbasiertes Screening mit Einladungssystem eingeführt. Dieses hat eine geografische Flächendeckung von etwa 50 %, und derzeit folgen 17 % der Zielbevölkerung der Einladung.
Im Rahmen des Projekts konnte zwischen 2004 und 2016 ein Anstieg der Adenomentdeckungsrate von 14,2 % auf 20,2 % verzeichnet werden. Die Daten der polnischen Screening-Kohorte haben essenziell zum derzeitigen Wissensstand auf dem Gebiet des endoskopischen Darmkrebs-Screenings beigetragen; es konnte unter anderem gezeigt werden, dass eine Adenomentdeckungsrate von < 20 % signifikant mit dem Auftreten von Intervallkarzinomen assoziiert ist, die 5-Jahres-Überlebensrate seit der Implementierung des Qualitätssicherungsprogramms angestiegen ist, und dass ein Anstieg der ADR mit einer 50%igen Reduktion der Mortalität des KRK sowie einer 37%igen Reduktion der Mortalität an Intervallkarzinomen assoziiert ist.
Als Ambition für die Zukunft gilt es, die Teilnahmeraten sowie die geografische Abdeckung zu erhöhen.
Besonders beeindruckende Daten angesichts der Entwicklung eines landesweiten Screening-Programms wurden von den Niederlanden präsentiert. Es wurde auf eindrucksvolle Weise der 10 Jahre andauernde Weg zur Implantierung des FIT-basierten KRK-Screening-Programms im Jahr 2014 vorgestellt. Basierend auf der damaligen Datenlage (16 % Reduktion der KRK-Mortalität bei FOBT-Screening) wurden mehrere Pilotstudien initiiert: Eine randomisiert kontrollierte Studie aus 2006–2007 hat gezeigt, dass FIT dem FOBT in den Teilnahmeraten (60 % vs. 47 %) sowie der Entdeckungsrate fortgeschrittener Adenome überlegen ist. Weiters konnte gezeigt werden, dass die Teilnahmeraten an FIT auch nach mehreren Runden mit 60 % deutlich höher waren als am endoskopischen Screening (Sigmoidoskopie 32 %, Koloskopie 22 %).
Aufgrund dieser Ergebnisse und aufgrund umfassender Kostenanalysen wurde ein FIT-Test alle 2 Jahre für die Bevölkerung zwischen dem 55. und dem 75. Lebensjahr eingeführt. Der Test wird der Bevölkerung per Post zugeschickt und im Falle eines positiven Ergebnisses folgt eine Einladung zu einer bereits terminisierten Koloskopie. Die Daten dieser Untersuchungen werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Der initiale Grenzwert des FIT von 15 mcg Blut war bei einer Teilnahmerate von 68 % in 12 % positiv; in 7 % der Fälle wurde eine KRK entdeckt, in 33 % ein fortgeschrittenes Adenom. Die ersten unerwartet hohen positiven Ergebnisse des FIT-Tests führten zu einem nicht zu bewältigenden hohen Bedarf an Vorsorgekoloskopien. Infolge dessen wurde der Grenzwert auf 47 mcg angehoben, was den positiven Prädiktionswert dieses Tests jedoch von 41 % auf 47 % angehoben hat.
Bei der Interpretation dieser eindrucksvollen Daten gilt jedoch zu beachten, dass die Screening-Population (im Gegensatz zu manchen anderen Ländern) Patienten mit einer positiven Familienanamnese nicht ausschließt.
Bei der Vorstellung des Qualitätssicherungsprogramms in England wurde besonders auf die Wichtigkeit elektronischer Befundsysteme eingegangen. Solche Systeme sparen Zeit, erhöhen die Qualität klinischer Informationen, verbessern die Kommunikation innerhalb des Zentrums sowie unter Endoskopikern und mit den korrespondierenden Pathologen und Patienten. Weiters erleichtern elektronische Befundsysteme das Patientenmanagement sowie die Festlegung und das Management der Nachsorge und ermöglichen Qualitätssicherung.
Die Endoskopie-Daten werden in einem zentralen Register, der National Endoscopy Database (NED), gesammelt. Derzeit wird diese Datenbank von 300 der 520 endoskopierenden Stellen gespeist, die in etwa 2 Millionen Endoskopie-Daten pro Jahr übermitteln. Die Qualitätsparameter sind jederzeit abrufbar; Zugang zu den individuellen Daten haben die teilnehmenden Endoskopiker selbst sowie die Leiter der Endoskopie-Einheiten; landesweite Daten können in anonymisierter Form eingesehen werden.
Am unökonomischten ist es, nicht zu screenen! Hinsichtlich sozioökonomischer Überlegungen gilt es, eine umsichtige Nutzen-Risiko-Abwägung zu kalkulieren; sowohl für die Patienten selbst als auch für die Gesellschaft. Hier gilt es, für den individuellen Patienten die potenzielle Verhinderung eines kolorektalen Karzinoms und daraus resultierende gewonnene Lebensjahre bzw. verbesserte Lebensqualität den Auswirkungen falsch positiver Ergebnisse, der Wartezeit auf die Untersuchung bzw. deren Ergebnisse sowie möglicher Komplikationen gegenüberzustellen; für die Gesellschaft gilt es die Erhaltung von Arbeitstagen sowie der Kostenersparnis einer Karzinomtherapie den Kosten eines Screening-Programms abzuwägen.
Eine Kosten-Nutzen-Analyse der Szenarien kein Screening, jährliches FIT-Screening zwischen dem 40. und 75. Lebensjahr, jährliches FOBT-Screening zwischen dem 40. und 75. Lebensjahr sowie Vorsorgekoloskopie alle 10 Jahre zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr hat folgende Ergebnisse gezeigt: Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich gewonnener Lebensjahre zwischen der Vorsorgekoloskopie sowie einem Test auf okkultes Blut im Stuhl (sowohl FIT als auch FOBT), ebenso zeigte sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der verhinderten Fällen sowie KRK-assoziierter Todesfälle zwischen Koloskopie, FOBT und FIT, die positive Test-Rate war jedoch höher mit FOBT und FIT. Geht man von einer 100%igen Teilnahmerate an den jeweiligen Screening-Modalitäten aus, zeigte sich deutlich: Die Koloskopie ist kosteneffektiver als kein Screening, FOBT und FIT sind kosteneffektiver als Koloskopie. Die teuerste Variante ist nicht zu screenen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die korrekte Festlegung der Nachsorgeintervalle. Eine Analyse österreichischer Daten hat gezeigt, dass Nachsorgeintervalle häufig zu kurz festgelegt werden, insbesondere für Niedrig-Risiko-Patienten.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Gesellschaft durch die Implementierung eines populationsbasierten Screening-Programms, die Endoskopiker durch eine Verbesserung der Adhärenz zu den Guidelines und Patienten durch höhere Teilnahmeraten ihren Beitrag zum Kampf gegen Darmkrebs leisten können.
Abschließend noch ein Kommentar zur Resect-and-discard-Strategie für winzige Polypen, deren Implementierung auch heuer wieder diskutiert wurde. 70–80 % der Polypen sind winzig (< 5 mm), 40–50 % davon sind Adenome. Nur etwa 0,08 % der winzigen Polypen entarten maligne. In früheren Arbeiten wurde eine Resect-and-discard-Zugang empfohlen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: > 90 % Übereinstimmung in der Festlegung des Nachsorgeintervalls und > 90 % negativer Vorhersagewert der optischen Diagnose einer adenomatösen Histologie von suszipierten rektosigmoidalen hyperplastischen Polypen (PIVI-Statement).
Für die Resect-and-discard-Strategie spricht, dass Abtragung und pathologische Aufarbeitung viel Zeit und Geld beansprucht (in den USA ca. 33 Millionen Dollar pro Jahr), die Zeit zur Befundbesprechung sowie Festlegung des Nachsorgeintervalls verzögert, etwa jeder sechste winzige Polyp nach Abtragung entweder verlorengeht oder im Rahmen der histopathologischen Aufarbeitung beschädigt wird, es eine große Inter-Oberserver-Variabilität zwischen befundenen Pathologen gibt und bei erfahrenen Endoskopikern eine hohe Übereinstimmung in der optischen Diagnose besteht.
Dagegen spricht, dass die Erfüllung des PIVI-Statements außerhalb akademischer Experten-Zentren nicht gegeben, die Qualität der Bild-Dokumentation noch häufig unzureichend sowie das technische Equipment in Nichtexpertenzentren oftmals unterlegen ist. Unter Experten herrscht derzeit der Konsens: Resect and discard – ja, aber noch sind wir nicht so weit. Darüber hinaus erlaubt das österreichische Gesetz diese Strategie nicht.
Ist computerunterstützte Echtzeit-Diagnostik die Zukunft? In rezenten Arbeiten konnte mittels Artificial Intelligence für die Identifikation von Adenomen eine Sensitivität von 98 % und eine Spezifität von 83 % erreicht werden; der negative Vorhersagewert war 97 %, der positive Vorhersagewert 90 %. Es bedarf auf diesem Sektor noch weiterer Studien – und es gilt, viele offene Fragen, insbesondere nach der Haftbarkeit bei inkorrekten Diagnosen, zu klären. Computerunterstützte Echtzeit-Diagnostik wird jedoch in der Zukunft eine große Rolle spielen.