„Es geht darum, etwas zurückzugeben“

Dr. Karl Jurik engagiert sich seit vielen Jahren in der medizinischen Versorgung von Randgruppen, indem er einerseits den genannten Organisationen seine Zeit und ärztliche Expertise zur Verfügung stellt (aktuell bei AmberMed), andererseits ärztliche Fortbildung zum Thema niederschwellige Medizin anbietet. Seine Erfahrungen teilt er im Interview mit UNIVERSUM INNERE MEDIZIN.

UNIVERSUM INNERE MEDIZIN: Herr Dr. Jurik, Sie sind ehrenamtlich bei AmberMed tätig. Was sind Ihre Beweggründe, sich in der medizinischen Versorgung nichtversicherter Patienten zu engagieren?

Jurik: Nach meiner Pensionierung 2015 hatte ich eigentlich geplant, ein Jahr Pause von meiner Tätigkeit als Arzt und der Medizin im Allgemeinen zu nehmen. Ich war mein erwachsenes Leben lang zu 80–90 % Arzt gewesen, für den Menschen war oft wenig Zeit geblieben. Aber die Flüchtlingsbewegung 2015 änderte meine Pläne: Als Anfang September immer mehr Schutzsuchende nach Österreich kamen, entschied ich mich spontan, das Projekt „Train of Hope“ zu unterstützten, das u. a. für die medizinische Erstversorgung der am Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlinge sorgte. Für das Projekt wurden Ärzte gesucht, und ich hatte Zeit – so hat mein Engagement in der medizinischen Versorgung von Randgruppen begonnen, das mich über verschiedene Stationen zu AmberMed geführt hat. Warum ich das mache? Ich selber hatte großes Glück, was den Ort und die Zeit meiner Geburt betrifft. Dieses Geschenk, wie ich es nenne, ist eigentlich die Grundlage für alles, was ich mir erarbeiten konnte. Ich möchte der Gesellschaft und vor allem jenen Menschen, die es nicht so gut haben, etwas zurückgeben.

Durch welche Besonderheiten zeichnet sich die ärztliche Tätigkeit in den Randbereichen der Gesellschaft aus?

Die Auseinandersetzung mit dem Patienten ist in der niederschwelligen Medizin unmittelbarer und direkter. Generell suchen diese Patienten meist spät und sicher nicht wegen Bagatellen ärztliche Hilfe. Zunächst gilt es herauszufinden, was dem Patienten fehlt, was er will und welche Möglichkeiten er hat. Danach richten sich weitere diagnostische Maßnahmen und therapeutische Optionen. Im normalen Krankenhausbetrieb werden gleich bei der Aufnahme viele Untersuchungen routinemäßig veranlasst: Blutbild, Röntgen etc. Auch bei AmberMed ist prinzipiell alles möglich, aber wir überlegen gut, was notwendig ist und was der Patient davon hat; nicht zuletzt weil uns alle diese Leistungen – vom Labor bis zum Röntgen – von anderen zur Verfügung gestellt werden. Es geht um eine bewusste Medizin. Bei der Wahl der Behandlung ist darauf Rücksicht zu nehmen, was für den Patienten in seiner Situation überhaupt möglich ist. Hat er z. B. einen festen Wohnsitz? Für einen Obdachlosen ist es kaum möglich, mehrere Medikamente aufzubewahren und täglich zu bestimmten Zeiten einzunehmen. Wir Ärzte müssen uns immer fragen: Was kann ich dem Patienten zur Verfügung stellen, das sein Schicksal, sein Leben und seine Gesundheit bessert bzw. seine Krankheit abmildert?

Vor zwei Jahren haben Sie den Qualitätszirkel „Niederschwellige Medizin“ ins Leben gerufen. Mit welchem Ziel?

Bei meiner ärztlichen Tätigkeit in den verschiedenen Wiener Einrichtungen – AmberMed, Louisebus, neunerhaus – ist mir aufgefallen, wie wichtig der Erfahrungstausch mit anderen in diesem Bereich tätigen Kollegen ist. Niederschwellige Medizin kann man nicht theoretisch lernen, man muss sie durch Erfahrung lernen. Gelegenheit dazu bietet der von mir geleitete Qualitätszirkel „Niederschwellige Medizin“, dessen Ziel es letztlich ist, die Qualität des Arbeitens zu verbessern. Immer mit Bezug auf unsere spezielle Klientel – also Patienten, die von der regulären Krankenbehandlung und den Gesundheitsleistungen ausgeschlossen sind – werden verschiedene Herangehensweisen an medizinische Probleme diskutiert. Jeder ist eingeladen, sich einzubringen. Richtig oder falsch gibt es dabei nicht. Es ist der Austausch der persönlichen Herangehensweisen an eine konkrete Problemstellung, der neue Wege und Lösungsmöglichkeiten eröffnet.Positiver Nebeneffekt: Da unser Qualitätszirkel offen als Fortbildung ausgeschrieben ist, sind unter den Teilnehmern immer auch Ärzte, die noch nicht konkret in einer der drei genannten Institutionen arbeiten, sich aber für eine solche Tätigkeit interessieren. In diesem Sinne ist der Qualitätszirkel auch eine wertvolle Quelle für neue ärztliche Mitarbeiter.