ESC-Guidelines – Welche Antiplättchentherapie für welchen NSTEMI-Patienten?

Die aktuellen ESC-Guidelines für das Management des akuten Koronarsyndroms ohne persistierende ST-Hebung (NSTEMI-ACS)1 sehen den möglichst raschen Beginn einer Antiplättchentherapie vor, um akute ischämische Komplikationen und rezidivierende atherothrombotische Ereignisse zu verhindern.

Acetylsalicylsäure: Aspirin hat weiterhin eine IA-Empfehlung und sollte bei allen Patienten ohne Kontraindikationen unabhängig von der Therapiestrategie eingesetzt werden (Loading- Dose 150–300 mg, langfristige Gabe von 75–100 mg täglich).
Aspirin führt über Hemmung der Cyclooxygenase 1 (COX-1) zu einer funktionellen, permanenten Plättchenhemmung. Um Koronarthrombosen effektiv zu verhindern, ist es jedoch nötig, weitere komplementäre Pathways der Plättchenaggregation zu inhibieren. Ein solcher wichtiger Weg ist die Bindung von ADP an den P2Y12-Rezeptor, der die primäre Plättchenreaktion auf einen Gefäßschaden beeinflusst. Als erster klinisch breit eingesetzter P2Y12-Rezeptor-Inhibitor war Clopidogrel lange der Goldstandard in der Antiplättchentherapie des ACS. Das davor entwickelte Ticlopidin war aufgrund der Nebenwirkungen durch Clopidogrel ersetzt worden. Mittlerweile sind neben Clopidogrel mit Prasugrel und Ticagrelor zwei noch potentere P2Y12-Rezeptor-Inhibitoren verfügbar, die sich in ihrer Pharmakokinetik und Pharmakodynamik geringfügig voneinander unterscheiden (> Tab.).
Die beiden Thienopyridine Prasugrel und Clopidogrel sind Prodrugs, die nach aktiver Biotransformation irreversibel an den P2Y12-Rezeptor binden, während das Pyrimidinderivat Ticagrelor ohne Metabolisierungsschritt reversibel an den P2Y12-Rezeptor bindet und so das ADP-Signalling und die Plättchenaktivierung hemmt.

 

Clopidogrel verringert in Kombination mit Aspirin signifikant die Myokardinfarktinzidenz im Vergleich zu Aspirin alleine. Diesem in der CURE-Studie gezeigten Nutzen steht ein geringfügig erhöhtes Blutungsrisiko gegenüber, wobei lebensbedrohende oder tödliche Blutungen unter der Kombinationstherapie nicht häufiger waren als unter einer Aspirin-Monotherapie. Ein Hauptproblem in der klinischen Anwendung von Clopidogrel ist die hohe Variabilität im Ansprechen. Genetische Variationen beeinflussen nicht nur das für die Aktivierung von Clopidogrel nötige CYP2C19, sondern auch das in die Absorption im Darm involvierte P-Glykoprotein. Zusätzlichen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit von Clopidogrel haben Alter, ein bestehender Diabetes und auch die Nierenfunktion. In einigen Untersuchungen waren ABCB1- und CYP2C19-Single-Nukleotid-Polymorphismen mit einer verringerten Plättchenaggregationshemmung und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert. Die Dosistitration auf Basis von Plättchenfunktionstests wird in den aktuellen ESCGuide lines für NSTEMI in der klinischen Routine nicht empfohlen.

Prasugrel: Das Ansprechen auf Prasugrel unterliegt keinen genetischen Einflüssen und erfolgt rascher als auf Clopidogrel. Auch CYPInhibitoren dürften die Wirksamkeit nicht signifikant beeinflussen. Prasugrel wurde in der TRITON-TIMI-38-Studie bei invasiv behandelten Patienten mit STEMI und NSTEMI untersucht und verringerte die Herzinfarktinzidenz im Vergleich zu Clopidogrel signifikant (7,1 % vs. 9,2 %). In Hinblick auf nicht-tödliche Insulte oder die kardiovaskuläre Mortalität zeigte sich kein signifikanter Vorteil. Unter Prasugrel war das Risiko für nicht-CABG-assoziierte schwere Blutungen (2,4 % vs. 1,8 %) und für lebensbedrohende Blutungen (1,4 % vs. 0,9 %) signifikant erhöht. Bei Patienten mit vorangegangenen zerebrovaskulären Ereignissen war das Outcome unter Prasugrel insgesamt negativ. Bei Patienten über 75 Jahre und bei Patienten mit einem Körpergewicht unter 60 kg hatte Prasugrel keinen Vorteil gegenüber Clopidogrel. Diabetiker hatten hingegen einen besonders großen Nutzen von Prasugrel, dies ohne zusätzliches Blutungsrisiko.

Ticagrelor wirkt ebenfalls deutlich rascher als Clopidogrel. Ticagrelor wurde in der PLATO- Studie bei konservativ und invasiv behandelten Patienten mit STEMI und NSTEMI untersucht. Im Vergleich zu Clopidogrel verringerte Ticagrelor die kardiovaskuläre Mortalität (4,0 % vs. 5,1%) und die Myokardinfarktinzidenz (5,8 % vs. 6,9 %) signifikant, nicht aber die Insultrate. Die Gesamtblutungsrate war unter Ticagrelor nicht signifikant höher als unter Clopidogrel. Nicht CABG-abhängige schwere Blutungen traten unter Ticagrelor signifikant häufiger auf (4,5 % vs. 3,8 %). Tödliche Blutungen waren in beiden Gruppen vergleichbar häufig. Ticagrelor war in allen untersuchten Subgruppen vergleichbar wirksam.

Aktuelle ESC-Empfehlungen

Gemäß aktuellen ESC-Guidelines sollten P2Y12- Inhibitoren bei Patienten mit NSTEMI-ACS so früh wie möglich zusätzlich zu Aspirin für einen Zeitraum von 12 Monaten gegeben werden (IA). Ausgenommen sind lediglich Patienten mit Kontraindikationen, wie z. B. einem exzessiven Blutungsrisiko (IA). Ein längeres oder dauerhaftes Absetzen des P2Y12-Inhibitors innerhalb der 12 Monate nach dem Ereignis wird außer bei klinischer Indikation nicht empfohlen (IC).

Ticagrelor (Loading-Dose: 180 mg; Erhaltungsdosis: 90 mg 2 x täglich) wird für alle Patienten mit moderatem bis hohem Risiko für ischämische Ereignisse (z. B. Troponinerhöhung) unabhängig von der initialen Therapiestrategie und auch nach Clopidogrel-Vorbehandlung empfohlen. Clopidogrel sollte abgesetzt werden, sobald mit der Ticagrelor- Therapie begonnen wird (IB).

Prasugrel (Loading-Dose: 60 mg; Erhaltungsdosis: 10 mg 1 x täglich) wird für P2Y12-Inhibitor- naive Patienten (speziell Diabetiker) empfohlen, deren Koronaranatomie bekannt ist und die für eine PCI vorgesehen sind, wenn sie kein erhöhtes Risiko für lebensbedrohende Blutungen oder andere Kontraindikationen aufweisen (IB).

Clopidogrel (Loading-Dose 300 mg, Erhaltungsdosis 75 mg) ist für Patienten empfohlen, die Ticagrelor oder Prasugrel nicht erhalten können (IA). Ist bei diesen Patienten eine invasive Strategie vorgesehen, dann wird eine Loading-Dose von 600 mg bzw. eine zusätzliche Dosis von 300 mg bei der PCI nach einer initialen Loading-Dose von 300 mg empfohlen (IB). Bei Patienten mit PCI und ohne erhöhtes Blutungsrisiko sollte innerhalb der ersten 7 Tage eine Erhaltungsdosis von 150 mg täglich erwogen werden (IIaB). Ticagrelor und Clopidogrel sollten nach Möglichkeit 5 Tage vor einem elektiven Eingriff (inklusive CABG) abgesetzt werden, Prasugrel 7 Tage davor (IIaB).

1 Hamm C. W. et al., Eur Heart J 2011; 32 (23):2999-3054

Wesentlich schnellere Thrombozytenfunktionshemmung

UNIVERSUM INNERE MEDIZIN: Herr Professor Eber, welche sind die entscheidenden Vorteile von Prasugrel und Ticagrelor im Vergleich zu Clopidogrel?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernd Eber:
Beide Substanzen haben bei akutem Koronarsyndrom (ACS) Vorteile bezüglich neuer kardialer Events bei insgesamt etwas erhöhter Blutungsneigung. Dazu zählt auch die nach Stentimplantation gefürchtete Stentthrombose, die durch beide Präparate signifikant reduziert werden kann. Der „net clinical benefit“ aus den entsprechenden publizierten Studien spricht jedenfalls für diese neueren Thrombozytenaggregationshemmer (TAH). Nach ACS sollten diese, wenn begonnen, ein Jahr lang eingesetzt werden.

Welchen Stellenwert hat Clopidogrel heute?
Ich denke, dass Clopidogrel noch lange nicht gänzlich durch modernere TAH ersetzt werden kann. Bei stabilen Patienten mit KHK mit oder ohne Intervention fehlen Daten zu Prasugrel und Ticagrelor völlig. Clopidogrel sollte bevorzugt bei sehr alten Menschen eingesetzt werden, durchaus auch bei jenen mit erhöhter Blutungsneigung, aber auch wenn die modernen TAH nicht verfügbar sind (wie in den Guidelines erwähnt). Zurzeit wird in den einzelnen Notarztsystemen Österreichs heftig diskutiert, ob prähospital überhaupt eine TAH durchgeführt werden soll, ob Clopidogrel weiter der Standard bleibt oder eine Differenzialtherapie auch mit neueren TAH gemacht wird. Die Meinungen dazu sind derzeit in den Bundesländern durchaus kontrovers.

Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl des TAH bei Patienten mit NSTEMI? Ist die Vortherapie ein Entscheidungskriterium?
Wenn man den publizierten Studien mit Prasugrel und Ticagrelor Glauben schenkt, kann Ticagrelor bei diagnostiziertem NSTEMI recht großzügig verabreicht werden, bei Prasugrel sollte man doch die Koronarmorphologie kennen beziehungsweise vor einer Akutintervention abschätzen können. Bei Beginn mit Clopidogrel kann jederzeit auf Prasugrel oder Ticagrelor geswitcht werden (dazu gibt es jeweils Studien), ein Switchen von Prasugrel zu Ticagrelor oder umgekehrt halte ich derzeit für einen Unsinn.

Wann sollte mit der Antiplättchentherapie begonnen werden? Prähospital? Im Spital?
Prinzipiell sollte damit nach entsprechender Diagnostik so frühzeitig wie möglich gestartet werden. Das weiß man bereits, seit ASA, aber auch Clopidogrel bei ACS eingesetzt wird. Der Vorteil der modernen Substanzen liegt im wesentlich schnelleren Wirkungsbeginn, sodass viel schneller als bisher eine entsprechende Thrombozytenaggregationshemmung und damit eine sicherere akute perkutane Intervention (PCI) stattfinden kann. Je nach Situation kann daher auch im Spital noch von Clopidogrel zu Prasugrel oder Ticagrelor ge – switcht werden. Wichtig erscheint mir vor allem die Bemerkung, dass ein Rück-Switchen bei Patienten mit ACS zu Clopidogrel extrem gefährlich ist, da durch den langsamen Wirkungseintritt eine Zeit ohne TAH-Schutz von mehreren Tagen besteht (außer es wird wiederum ein Clopidogrel- Bolus verabreicht).

Welche Kontraindikationen sind beim Einsatz von Prasugrel bzw. Ticagrelor zu beachten?
Prasugrel sollte bei ACS nicht bei Zustand nach Insult oder TIA eingesetzt werden, weiters nicht bei Personen unter 60 kg Körpergewicht. Ältere Menschen über 75 Jahre scheinen von Prasugrel nicht gegenüber Clopidogrel zu profitieren. Bei erhöhter Blutungsneigung (z. B. nach Hirn- oder gastrointestinaler Blutung) dürfen beide Substanzen nicht verabreicht werden. Zu Beginn einer Ticagrelor- Therapie sollten Patienten wegen einer möglichen Bradykardie und Dyspnoe monitorisiert werden, auch wenn wir in der Praxis diese beschriebenen Nebenwirkungen bisher kaum und wenn nur in ganz leichter Ausprägung beobachten konnten.