Die so genannte Fibromyalgie erfüllt die Kriterien einer somatoformen Schmerzstörung und ist oft nach häufig ausgiebiger vorangegangener frustraner Diagnostik einer Schmerzsymptomatik am Bewegungsapparat eine „Ausschlussdiagnose“. Sowohl für den Gutachterarzt als auch für behandelnde Ärzte stellen chronische Schmerzzustände ohne fassbares, pathologisches Substrat ein großes Problem dar.
Ein Fibromyalgie-Syndrom beeinträchtigt häufig nicht nur die persönliche soziale Situation, oft treten krankenstandsbedingt Probleme die Arbeitssituation betreffend auf, mit Arbeitslosigkeit nach längeren Krankenständen und folgender Antragsstellung auf Berufsunfähigkeits-, Invaliditäts- bzw. Erwerbsunfähigkeitspension.
Im Jahresbericht 2009 der Pensionsversicherungsanstalt werden die Neuzugänge bei Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen angeführt (Tab.). Dabei liegen psychiatrische Krankheiten bereits vor den Krankheiten des Skeletts, Muskel-, Bindegewebes gefolgt von onkologischen und Herzerkrankungen (Abb.).
Vom Gutachterarzt wird seitens des Gerichts eine exakte Beurteilung des noch zumutbaren Leistungskalküls verlangt. Die Fibromyalgie stellt kein Krankheitsbild dar, welches „automatisch“ zu einer krankheitsbedingten Pensionierung führt, absolut nicht „zielführend“ ist die befristete Zuerkennung einer Pension. Damit werden Werte, die für das Selbstbewusstsein und für ein strukturiertes tägliches Leben nötig sind, vergeben, ebenso Motivationen zur Setzung einer Krankheitsbewältigung wie Psychotherapie zur Akzeptanz der Schmerzstörung.
Die Fibromyalgie kann gutachterlich nicht im Sinne der ICD-Klassifizierung beurteilt werden, die Zurhilfenahme der ICF-Klassifizierung (International Classification of Functioning, Disability and Health) erscheint günstiger. Das biopsychosoziale Modell ist, unter Beachtung des Schmerzes (Befindlichkeit), als mehrdimensionales Phänomen zu begreifen. Nicht die Diagnose, sondern die Befindlichkeit stellt die Beurteilungsgrundlage für die vom Gericht gestellten Fragen dar.
Das entscheidende Kriterium zu Leistungsbeurteilung ist die zumeist verminderte Belastbarkeit, verbunden mit einem eingeschränkten Durchsetzungsvermögen, wobei zumeist auch Nacht- oder Schichtdienste Probleme verursachen sowie auch die Erbringung von Überstunden. Einzubeziehen sind auch Antriebsstörungen. Bezüglich der körperlichen Belastbarkeit ist darauf zu achten, inwieweit es sich um einen Trainingsverlust bedingt durch die depressive Verstimmung handelt, der wieder kompensierbar ist, oder um eine dauernde Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit. Ein Problem stellt häufig eine unnötige analgetische Medikation mit Opiaten dar, die zusätzliche Leistungsdämpfungen bedingen können.
Ergänzende Fachbeurteilungen: In die gutachterliche Beurteilung im Fall der Fibromylagie sollte immer ein internistisches bzw. internistisch-rheumatologisches Sachverständigengutachten einbezogen sein, um eine entzündlich-rheumatologische Erkrankung oder eine andere internistische Erkrankung mit sekundären Beschwerden am Bewegungsapparat auszuschließen. Bei entsprechenden Befindlichkeitsstörungen muss auch eine orthopädische Fachbeurteilung vorgenommen werden.
Vom Ablauf zu empfehlen wäre abschließend ein neuropsychiatrisches Gutachten, mit entsprechenden Testverfahren hinsichtlich der Wertigkeit der depressiven Komponente sowie der Somatisierungsstörung. Sinnvoll erscheint es, einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie mit der Erstellung eines Gesamtgutachtens zu betrauen.
Studiendaten: Gervais (Gervais R. O. et al., 2001) zeigte im Gedächtnistest auf, dass Fibromyalgie-Patienten mit einem Rentebegehren in 44 % Simulationshinweise aufwiesen, während Fibromyalgie-Patienten ohne Rentenbegehren keine Störungen in Gedächtnistests zeigten. Suchenwirth et al. (2000) und Hausotter (2002) haben in Untersuchungen festgestellt, dass „eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten bei Fibromyalgie-Patienten in der Regel erhalten bleibt“, in Ausführungen von Wolfe F. and the Vancouver Fibromyalgia Consensus Group (1996) ist „nur eine Minderheit der Patienten nicht mehr in der Lage zu arbeiten“. Zusätzlich kann zur Objektivierung des subjektiven Leidensdrucks die medikamentöse Compliance beurteilt werden. Bei 50 % all jener Probanden, die eine Einnahme von trizyklischen Antidepressiva (Griebnitz E., 3. 12. 2010; 17. Forensisch-psychiatrische Tagung) berichten, wurde ein diesbezüglich negativer Harnbefund festgestellt.
Zusammenfassend ist die Frage der psychophysischen Leistungsfähigkeit beim so genannten Fibromyalgie-Syndrom nicht durch die Diagnose, sondern durch die vorliegenden Befindlichkeitsstörungen im Sinne des biopsychosozialen Modells zu beurteilen. Durch ein Fibromyalgie-Syndrom lässt sich eine vorzeitige krankheitsbedingte Pensionierung in den seltensten Fällen begründen. Die Zusammenarbeit des internistischen Rheumatologen, des Orthopäden und Neuropsychiaters ist zur objektiven Beurteilung einer somatoformen Schmerzstörung, wie es die „Fibromyalgie“ darstellt, unabdingbar.