Hyperkoagulabilität bei CED: Bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wurde eine Reihe von Anomalien des Gerinnungssystems beschrieben, die zu einer Thromboseneigung führen können. Neben einer abnormen Plättchenfunktion wurden u.a. Störungen des fibrinolytischen Systems und eine endotheliale Dysfunktion mit einer Hyperkoagulabilität in Zusammenhang gebracht. Auch eine Aktivierung der Gerinnungskaskade durch die Interaktion zirkulierender Endotoxine mit inflammatorischen Zytokinen wurde in diesem Kontext diskutiert. In einer Studie von Thompson N. P. et al. wurde gezeigt, dass die Inzidenz von CED bei Patienten mit Hämophilie und Von-Willebrand- Erkrankung niedriger ist als bei Patienten ohne CED. Demgemäß würde eine herabgesetzte Koagulabilität gleichsam einen “Schutz” vor CED darstellen.
Atherogene Faktoren: Erhöhungen von atherogenen Faktoren wie Lipoprotein (a) und Homocystein wurden bei Patienten mit CED beschrieben. Papa et al. demonstrierten frühe atherosklerotische Veränderungen bei Patienten mit CED anhand einer erhöhten Intima-Media-Dicke der A. carotis.
Ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien ist gut dokumentiert. Die Inzidenz bei Patienten mit CED wird in einer Studie von Miehsler et al. (2004) mit 6,2% gegenüber 1,6% bei einer gesunden Population angegeben. Rezidivierende Thromboembolien wurden in einer Studie von Novacek et al. (2010) bei 33,4% (gegenüber 21,7% bei Individuen ohne CED) beobachtet.
Arterielles System: Vaskuläre Komplikationen im Bereich des arteriellen Systems waren bisher weniger gut belegt. Mehrere Fallberichte beschreiben thromboembolische Ereignisse im Bereich der Arterien des retinalen, renalen, zerebralen und koronaren Gefäßsystems, der Extremitäten und der Aorta.
In neueren Arbeiten wurde nun systematisch das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit CED und deren Korrelation mit Risikofaktoren untersucht.
In einer Populations-basierten Studie wurde anhand von Diagnose-Codes einer Kohorte von 8.060 CED-Patienten eine gematchte Kohorte von 80.489 Nicht-CED-Patienten gegenübergestellt und hinsichtlich der Inzidenz von arteriellen thromboembolischen Ereignissen ausgewertet. Es zeigte sich ein erhöhtes Risiko für ischämische Herzerkrankungen bei Patienten mit M. Crohn und Colitis ulcerosa (Incidence Rate Risk, IRR 1,26). Das Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse war hingegen nur bei Patienten mit M. Crohn (IRR 1,32) erhöht (Bernstein C. N. et al., 2007).
Haapamäki J. et al. (2011) zeigten anhand einer Kohorte von 2.831 CED-Patienten, dass koronare Herzerkrankungen häufiger auftraten als bei 5.662 gematchten Kontroll-Patienten. Neben weiblichem Geschlecht wurden entzündliche Aktivität und eine lange Erkrankungsdauer als Risikofaktoren identifiziert.
Die Autoren empfehlen demzufolge neben einem effizienten Management kardiovaskulärer Risikofaktoren eine optimale Kontrolle der entzündlichen Aktivität zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse.
In einer longitudinalen Studie verglichen Yarur A. J. et al. (2011) 356 CED-Patienten mit einer Vergleichsgruppe von 712 Individuen über einen Zeitraum von rund 52 Monaten. Primärer Endpunkt war das Auftreten eines kardiovaskulären Ereignisses (CAD). Dieses war definiert als akutes Koronarsyndrom (instabile Angina pectoris oder Myokardinfarkt), stiller Myokardinfarkt (Wandbewegungsstörungen im Herzecho oder pathologische Koronarszintigraphie) oder pathologische Koronarangiographie. Das Risiko für ein CAD war mit einer Hazard Ratio (HR) von 2,85 (CI 1,82-4,46) bei Patienten mit CED signifikant erhöht. Bemerkenswert war die Tatsache, dass “traditionelle Risikofaktoren” bei CED-Patienten seltener (arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Obesitas) oder nicht signifikant unterschiedlich (Nikotinabusus, chronische Nierenerkrankung, Familienanamnese) als bei der Kontrollgruppe waren. Bei Korrektur für die traditionellen Risikofaktoren lag die angepasste HR bei 4,08 (KI 2,49-6,70). Somit scheint das Vorliegen einer CED per se einen Risikofaktor für CAD darzustellen.
In einer multivariaten Analyse erwiesen sich bei Patienten mit CED lediglich arterielle Hypertonie und Leukozytose als prädisponierende Faktoren. Eine Steroidtherapie ging mit keinem erhöhten Risiko für CAD einher. Zwischen Patienten mit M. Crohn und Colitis ulcerosa wurde kein Unterschied hinsichtlich des CAD-Risikos beobachtet. Eine Subgruppenanalyse erbrachte keinen Unterschied hinsichtlich der Endpunkte Myokardinfarkt oder Revaskularisation zwischen CED-Patienten und Kontrollen. Diese Beobachtung steht im Einklang mit einer rezenten longitudinalen Kohortenstudie von Osterman M. T. et al. (2011), welche keine erhöhte Inzidenz von Myokardinfarkten bei Patienten mit CED im Vergleich zu einer Kontrollgruppe von Nicht-CED-Patienten beschreibt. Somit dürfte die koronare Herzkrankheit beim CED-Kollektiv eine milde Ausprägung aufweisen.
Kontrolle der entzündlichen Aktivität: Interessanterweise deuten die Daten von Yarur et al. darauf hin, dass traditionelle Risikofaktoren bei CED-Patienten nur einen geringen Einfluss auf das Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen haben. Lediglich die konsequente Behandlung einer arteriellen Hypertonie würde sich als präventive Intervention anbieten. Im Übrigen scheint gemäß den Beobachtungen von Haapamäki et al. die Therapie der Grunderkrankung zur Kontrolle der entzündlichen Aktivität besondere Bedeutung zu besitzen. Hierbei scheint erwähnenswert, dass mehrere in der Therapie von CED eingesetzte Substanzen neben ihren antiinflammatorischen Eigenschaften auch distinkte Wirkungen auf das Gerinnungssystem ausüben. Inhibitorische Effekte auf die Thrombozytenfunktion sind sowohl für 5-Aminosalicylsäure als auch für Thiopurine (Azathioprin/6-Mercaptopurin) beschrieben, im Falle letzterer über eine Hemmung der ADP-vermittelten Plättchenaggregation. Ferner konnte gezeigt werden, dass der TNF-alpha-Antikörper Infliximab zu einer Verbesserung der endothelialen Dysfunktion führt. Allerdings wurden bei Patienten unter Therapie mit TNF-alpha-Blockern auch spontane Thromboembolien berichtet.
Folsäuremangel: Nachdem bei Patienten mit M. Crohn ein gehäuftes Auftreten einer Hyperhomocysteinämie – verursacht durch Folsäuremangel – beobachtet wurde, sollte ggf. auf eine adäquate Folsäuresubstitution geachtet werden.
Prophylaktische Einnahme von Acetylsalicylsäure? Zwar diskutierten Yarur et al. die Möglichkeit, dass in der untersuchten CED-Kohorte eine geringere Einnahme von ASS mit der erhöhten Inzidenz von CAD in Zusammenhang stehen könnte. Dennoch muss ein prophylaktischer Einsatz von ASS als problematisch angesehen werden. Es ist hinreichend belegt, dass mit der Einnahme von NSAR ein erhöhtes Risiko von Exazerbationen verbunden ist (Felder et al., 1997; Evans J. M. et al., 2000). In einer rezenten Arbeit (Chan S. S. M. et al., 2011) wurde ferner gezeigt, dass eine deutliche Assoziation zwischen regelmäßiger ASS-Einnahme und dem Auftreten von M. Crohn (nicht aber C. ulcerosa) besteht. Demgegenüber liegen derzeit keine Daten vor, die einen möglichen Benefit von ASS zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen bei CED-Patienten belegen würden.
Antikoagulantien: Der Europäische Konsens zum Management des M. Crohn (2010) befürwortet den Einsatz von LMW-Heparin, unfraktioniertem Heparin oder Fondaparinux bei hospitalisierten Patienten mit akuter Exazerbation im Hinblick auf das erhöhte Risiko venöser Thromboembolien (i. S. einer Level-5-Empfehlung, i.e. Expertenstatement). Die aktuellen Daten bezüglich des kardiovaskulären Risikos können als Bekräftigung dieser Empfehlung aufgefasst werden.
Zusammenfassend dürfte die chronische entzündliche Aktivität an der erhöhten Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit CED beteiligt sein. In der Prävention würde demzufolge der konsequenten Kontrolle der entzündlichen Aktivität die wichtigste Rolle zukommen.
Fact-BoxM. Crohn ist mit einem moderat erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden. |
Literatur beim Verfasser