Gender und Diabetes – eine logische Kombination

ARZT & PRAXIS: Frau Dr. Kautzky-Willer, Sie sind Österreichs erste Professorin für Gender Medicine. Wie kam es dazu?

Kautzky-Willer: Ich wurde 2010 als Professorin für Gender Medicine an die Medizinische Universität Wien berufen, die damals den ersten entsprechenden Lehrstuhl in Österreich eingerichtet hat. Zeitgleich startete der Aufbau der Gen­der Medicine Unit. Wir sind nach wie vor ein kleines, aber sehr engagiertes Team, sowohl was unsere Forschung als auch die Lehre betrifft.
Mit Einrichtung des Lehrstuhls für Gender Medicine wurde auch der „Universitätslehrgang Gender Medicine“ der MedUni Wien ins Leben gerufen. Der zweijährige Master-Lehrgang richtet sich nicht ausschließlich an Ärzte, sondern auch an Interessierte anderer Berufsgruppen, z. B. Psychologen oder Ernährungswissenschafter. Für die Zukunft gibt es Überlegungen, den Lehrgang zu modernisieren, ihn eventuell im Sinne einer Erweiterung zum bestehenden „ÖÄK-Diplom Gender Medi­cine“ neu zu strukturieren.
Neben besagtem Universitätslehrgang bieten wir auch Ringvorlesungen an der MedUni Wien zu den Themen Gender und Diversity.

 

 

Auf welche Forschungsschwerpunkte setzt die Gender Medicine Unit?

Von meiner Ausbildung her bin ich Fachärztin für Innere Medizin mit den Zusatzfächern Endokrinologie & Stoffwechsel sowie Geriatrie. Daraus ergibt sich auch mein Forschungsschwerpunkt: Diabetes.
Zur Gendermedizin bin ich über meine Forschung im Bereich des Schwangerschaftsdiabetes gekommen. Die Erkenntnisse aus dieser Forschung führten letztlich zur Aufnahme des Zuckerbelastungstests in den Mutter-Kind-Pass, um so alle Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes diagnostizieren und entsprechend behandeln zu können. Schwangerschaftsdiabetes bedeutet nicht nur während der Schwangerschaft eine große Komplikation für Mutter und Kind, sondern kann auch Auswirkungen auf die Zeit nach der Entbindung haben. Deshalb ist es wichtig, dass die betroffenen Frauen 8 Wochen nach der Geburt einen neuerlichen Zuckerbelastungstest machen, um festzustellen, ob eventuell ein bleibender Diabetes oder Prädiabetes vorliegt. Wir konnten im Rahmen des „Wiener Schwangeren-Nachuntersuchungsprojekts“ zeigen, dass das Risiko für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Komplikationen bei Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes hatten, erhöht ist im Vergleich zu Frauen, die in der Schwangerschaft unauffällig waren.
Wir interessieren uns für Biomarker, die Aufschluss darüber geben, wer gefährdet ist, Diabetes zu entwickeln. Dazu zählen bestimmte Fettgewebshormone oder Entzündungsfaktoren, aber auch ganz klassische, einfach zu bestimmende Parameter wie die Gewichtszunahme nach der Geburt oder eben der besagte Zuckerbelastungstest nach der Geburt. Mittlerweile haben wir schon eine Fülle an Biomarkern identifiziert, aus denen wir vielleicht irgendwann einen validen Score zur individuellen Abschätzung des Diabetesrisikos entwickeln können.
Ein weiteres interessantes Detail: Kinder von Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes hatten, haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Übergewicht oder Diabetes. Spannend ist, dass es hier Unterschiede zwischen Mädchen und Buben gibt – auch in diese Richtung forschen wir. Man müsste also nicht nur die betroffenen Frauen, sondern auch deren Kinder entsprechend nachbeobachten und versorgen. Eine Ausweitung des Mutter-Kind-Passes bis zum 18. Lebensjahr könnte sich in diesem Zusammenhang positiv auswirken.
Nicht zu vergessen: die Männer. Gibt es hier Risikogruppen für Diabetes? Neben Übergewicht, metabolischem Syndrom oder Fettleber untersuchen wir die Auswirkungen eines Testosteronmangels auf das Diabetesrisiko. Die erektile Dysfunktion ist ja ein bekanntes Symptom bei Typ-2-Diabetes. Diesen Zusammenhang möchten wir näher beleuchten.

Gender Medicine und Innere Medizin – eine logische Kombination?

Absolut! Meine Forschungsinteressen in beiden Bereichen decken sich gut. Auf der einen Seite der Diabetes als interdisziplinäre Herausforderung – Adipositas, Fettleber, Herz- und Nierenkomplikationen, Schlaganfall – und auf der anderen Seite die Gender Medicine, die ebenfalls fächerübergreifende Zusammenarbeit voraussetzt und psychosoziale Faktoren beachtet.
Als Fachärztin für Endokrinologie & Stoffwechsel ist es eigentlich nur logisch, dass ich mich der Gendermedizin zugewandt habe, bildet doch die Endokrinologie – die Lehre von den Hormonen – neben der Genetik die biologische Basis für die Gendermedizin.

In der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) ist aktuell „Frauenpower“ angesagt …

Seit Ende 2017 wird die ÖDG von einem Frauenteam geführt – von mir selbst als ÖDG-Präsidentin und meiner Kollegin Prof. Dr. Yvonne Winhofer-Stöckl als First Secretary der ÖDG. Das Vorstandsteam ist insgesamt sehr bunt, mit Mitgliedern aus allen Bundesländern, sowohl Klinikern als auch niedergelassenen Fachärzten. Es ist uns wichtig, alle Perspektiven einzubeziehen.

In welchen Bereichen wollen Sie im Rahmen Ihrer Präsidentschaft verstärkt Aktivitäten setzen?

Wir möchten jedenfalls die Wissenschaft wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund rücken, als das vielleicht in den letzten Jahren der Fall war, denn die Förderung und Weiterentwicklung der diabetologischen Forschung und Wissenschaft sind zentrale Aufgaben der ÖDG. Ein neuer Ausschuss soll die wissenschaftliche Zusammenarbeit in der Diabetesforschung fördern und so die Durchführung österreichweiter Projekte ermöglichen. In einem kleinen Land wie Österreich können größere Studien nur gemeinsam umgesetzt werden. Vor allem möchten wir auch junge Ärztinnen und Ärzte motivieren, sich im Bereich Diabetes wissenschaftlich zu engagieren.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Öffentlichkeitsarbeit. Hier ist in den vergangenen Jahren viel passiert und das soll auch weiterhin so bleiben. Als wichtige Stimme im gesundheitspolitischen Diskurs setzt sich die ÖDG für die bestmögliche Versorgung der Menschen mit Diabetes mellitus ein – immerhin 10 % der Bevölkerung. Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen immer weiter zu verbessern, sei es durch den Einsatz neuer Medikamente und Therapien oder durch Disease-Management-Programme (DMP) im Bereich Diabetes (Stichwort „Therapie Aktiv“).
Bereits in Arbeit ist ein Update der ÖDG-Leitlinien aus dem Jahr 2016 zur umfassenden Betreuung von Patienten mit Diabetes mellitus. Die rasche Wissensvermehrung erfordert eine Überarbeitung dieser Leitlinien: Viele neue Studien, neue Medikamente und medizintechnische Innovationen haben in der Zwischenzeit unser Behandlungsspektrum erweitert und verändert. Das Update soll im Rahmen der ÖDG-Frühjahrstagung 2019 präsentiert werden.

Die ÖDG engagiert sich auch stark im Bereich Fortbildung …

Fixpunkte sind die ÖDG-Jahrestagung im Herbst mit einer stark wissenschaftlichen Ausrichtung sowie die ÖDG-Frühjahrstagung, bei der mehr Grundlagen vermittelt werden. Im Rahmen dieser beiden Tagungen besteht auch die Möglichkeit, sich zum Therapie-Aktiv-Arzt fortzubilden. Neu ist das Format „Diabetes unplugged“, bei dem interaktive Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch im Vordergrund stehen.
Neben der ÖDG unterstützen auch andere medizinische Fachgesellschaften, die Ärztekammer und die Industrie die Fortbildung im Bereich Diabetes. Das Fortbildungsangebot ist also ein durchaus breites. Angesichts des rapiden Fortschritts in der Diabetologie – neue Technologien, neue Medikamente, personalisierte Medizin – ist regelmäßige Fortbildung gerade in unserem Fach essenziell.

 

 

 

Wie steht es – angesichts steigender Diabetikerzahlen – um die Diabetesversorgung in Österreich?

Es gibt grundsätzlich nicht viele Fachärzte mit dem Zusatzfach Endokrinologie & Diabetologie – in manchen Bundesländern, wie z. B. im Burgenland, derzeit keinen einzigen. In Ballungszentren wie Wien decken die Spitalsambulanzen viel ab. Klar ist: Die kleine Gruppe der Spezialisten kann unmöglich die große Zahl an Diabetikern versorgen.
Eine sehr wichtige Rolle spielen daher die Allgemeinmediziner. Für sie sind eine gute Ausbildung sowie regelmäßige Fortbildung im Bereich Diabetes essenziell. Eine gute Sache in diesem Zusammenhang ist das DMP „Therapie Aktiv“, das mittlerweile in jedem Bundesland ausgerollt ist. Allerdings gibt es noch bei Weitem nicht genug Therapie-Aktiv-Ärzte: Nur etwa 10 % der Diabetiker können derzeit im Rahmen dieses DMP betreut werden. Hier gibt es also noch viel Luft nach oben!
Für eine optimale Versorgung müssen jedenfalls alle Versorgungsebenen qualitativ hochwertig und evidenzbasiert abgedeckt sein – nicht nur das DMP als Basis, sondern eben auch spezialisierte Zentren, Spitalsambulanzen und die stationäre Betreuung. Hier gibt es sicherlich noch Verbesserungsbedarf. Wir möchten aber nicht nur die Gesundheit und die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus verbessern, sondern auch Neuerkrankungen nach Möglichkeit vorbeugen.

Wie sieht sinnvolle Prävention aus?

Eine umfassende Aufklärung der ­Bevölkerung über die Erkrankung Diabetes, über bekannte Risikofaktoren und Möglichkeiten zur Prävention ist essenziell.
Neuerkrankungen beugt man am besten mit gesundem Lebensstil vor. Übergewichtige sollten versuchen, das Gewicht zu reduzieren, Normalgewichtige sollten versuchen, ihr Gewicht zu halten. Der Body-Mass-Index allein ist aber nicht ausschlaggebend, es kommt auch auf die Fettverteilung an: So sind zu viel Bauch- und Leberfett mit einem erhöhten Diabetesrisiko assoziiert. Das kann man ganz einfach selber messen: Bei Frauen sollte der Bauchumfang unter 88 cm, bei Männern unter 102 cm liegen. Genauer bestimmen kann man diese Parameter mittels Ultraschall bzw. MR- oder CT-Untersuchung.
Ein gesunder Lebensstil beinhaltet regelmäßige Bewegung (Ausdauersport und Krafttraining), gesunde Ernährung, wenig Alkohol, nicht Rauchen, ausreichend Schlaf etc. – also eigentlich nichts, was wir nicht schon wissen. Schwieriger zu beeinflussen sind Risikofaktoren wie das soziale Umfeld oder die Bildung, von denen wir ebenfalls wissen, dass sie eine Rolle hinsichtlich des Diabetesrisikos spielen.

Abschließend Ihre Meinung zur kürzlich präsentierten „Österreichischen Diabetes-Strategie“?

Ich halte das ausgearbeitete Papier für ein sehr gutes und habe auch selbst daran mitgearbeitet. Der nächste wichtige Schritt ist nun die Umsetzung! Die definierten Wirkungsziele und Handlungsempfehlungen betreffen sämtliche wichtigen Bereiche, von der wissenschaftlichen Forschung bis hin zur Patientenversorgung – ich möchte hier gar nicht priorisieren, welche Projekte zuerst angegangen werden sollen.
Eine konkrete Timeline für die Umsetzung gibt es nicht, allerdings wurde die Österreichische Diabetes-Strategie in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit aufgenommen – das ist ein österreichweiter Rahmenplan zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung, den der Bund, alle Länder und die Sozialversicherung gemeinsam beschließen. Das ist sicherlich ein erster wichtiger Schritt in Richtung Umsetzung und wir werden hier als ÖDG keine Ruhe geben und hartnäckig bleiben, bis die Vorschläge aus der Österreichischen Diabetes-Strategie realisiert worden sind.

 

Fotos: Oliver Miller-Aichholz