Geriatrisches Screening in der Notfallaufnahme – Unterstützung für eine rasche und richtige Entscheidungsfindung

Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass die Notfallaufnahme-Einheiten größerer Krankenhäuser mit einem beträchtlichen Prozentsatz an hochbetagten Patientinnen und Patienten konfrontiert sind.
Dies bringt eine überproportionale Belastung für die Aufnahmeteams mit sich, da sich Hochbetagte in aller Regel mit einer komplexen Problematik präsentieren. Ferner sind die heutigen Notaufnahmeeinheiten weder räumlich noch von den Abläufen her auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe abgestimmt.

Problemstellung

Multimorbidität, Polypharmazie: Die Ausgangssituation dieser Patienten ist normalerweise durch Multimorbidität und damit verbundene Polypharmazie gekennzeichnet und die aktuellen Krankheitssymptome sind oft sehr diskret oder atypisch. Im Vordergrund stehen häufig neu aufgetretene funktionelle Probleme, die dem labormäßig erfassbaren Krankheitsgeschehen bis zu 48 Stunden vorausgehen können und Ausdruck der erhöhten Vulnerabilität dieser Patientengruppe sind.

Informationsdefizit: Auch sehr erfahrene Ärzte können zu Fehlentscheidungen verleitet werden, die entweder zu prompten Wiederaufnahmen oder schlechteren Outcomes führen.
Dazu tragen vor allem zwei Faktorengruppen bei: einerseits unterscheidet sich das Vorgehen bei der Situationseinschätzung älterer Patienten nicht von jenem bei Jüngeren und nimmt daher kaum Rücksicht auf die veränderte Krankheitspräsentation und andererseits oft ein Mangel an plausibel scheinenden Informationen über den Zustand vor Beginn des aktuellen Geschehens (keine informierte Begleitperson, Auskünfte des Patienten selbst wirken nicht ausreichend verlässlich).

Atypische Symptomatik: Erhöhtes Risiko besteht für geriatrische Patientinnen und Patienten in Notaufnahmen in mehrfacher Hinsicht: Fehlinterpretation des Krankheitsbildes aufgrund der die milden oder atypischen Symptomatik kann zu Entlassung und rascher Wiederaufnahme führen oder bei erhöhtem Patientenaufkommen zu längerer Wartezeit in der Notaufnahmeeinheit. Dies ist bei Vorliegen raschen Handlungsbedarfs von offensichtlichem Nachteil. Es kann für geriatrische Patientinnen und Patienten aber auch die Wartezeit im üblichen – für Patienten unübersichtlichen und daher verwirrenden – Ambiente einer Notaufnahme ein zusätzlicher Kofaktor für die Entwicklung eines Delirs darstellen.

Maßnahme

Die besten Informationen zu Entscheidungsfindungen bei der Behandlung älterer Patientinnen und Patienten liefert ein strukturiertes geriatrisches Assessment. Aufgrund des nötigen Zeitaufwands (bei optimalem Ablauf mindestens eine halbe Stunde) ist das für das Setting einer Notfallaufnahme jedoch eindeutig ungeeignet.
Daher bedarf es eines kompakten Screening-Instruments, das rasch Entscheidungshilfe bietet, was mit älteren Menschen in der Notaufnahme weiter geschehen soll.
In den letzten Jahren wurden mehrere derartige Screening-Instrumente entwickelt, die unterschiedlich aufwändig sind. Es gibt einige vergleichende Studien zur Aussagekraft dieser Tools, die Vor- und Nachteile aufzeigen, aber bisher zu keiner völlig einheitlichen Empfehlung führten.

Screening-Instrument: Die meisten Untersuchungen gibt es mittlerweile zu einem in Kanada entwickelten Instrument – „Identification of Seniors at Risk“ (ISAR) –, das in vergleichenden Untersuchungen die beste Diskriminierung von Patienten mit Risiko funktioneller Verschlechterung gezeigt hat und rasch und einfach anwendbar ist.
Es umfasst 6 Fragen zu Multimorbidität (Zahl der regelmäßig eingenommenen Medikamente, ev. Krankenhausaufenthalt im letzten halben Jahr) und Autonomie (Sehfähigkeit, ev. Gedächtnisproblemen, dem üblichen Hilfsbedarf im Alltag und einer allfälligen Zunahme dieses Hilfsbedarfs im Rahmen der akuten Erkrankung). Falls der Patient keine Begleitperson hat, die die Angaben bestätigen kann, ist zusätzlich die zeitliche und örtliche Orientierung des Patienten zu überprüfen. Ein kognitiver Test wie z.B. MMSE ist nicht nötig. Mehr als ein Ja bedeutet positives Screening und weiteres geriatrisches Follow-up ist indiziert.

Belegter Benefit: Es gibt mittlerweile sehr gute Evidenz, dass geriatrische Patientinnen und Patienten, die als akute Notfälle in Krankenhäusern aufgenommen werden müssen, nach der Behandlung in einer Akutgeriatrie auf Basis eines geriatrischen Assessments in besserem funktionellen Zustand sind als nach Behandlung auf konventionellen internistischen Stationen – und das bis zu 18 Monate nach Entlassung.