Gesundheit für alle – auch für ÄrztInnen!

Betrachtet man die Berufsrealität von Ärzten, so unterliegt diese einem drastischen Wandel, der in Zukunft maßgeblich das Berufsbild verändern und einen negativen Effekt auf die Lebensqualität der Ärzte und ihre Gesundheit haben könnte. Treibende Kraft dieses Wandels ist im Besonderen die fortschreitende Verknappung der momentanen Ressourcen und die damit verbundenen zunehmenden finanziellen Restriktionen.
Weiters beeinflussen auch der rasante medizinische Fortschritt und dessen Umsetzung wie auch neue Erwartungen in der Leistungserbringung, etwa im Zusammenhang mit der Evidence-based Medicine, und auch bürokratisch kontrollierte Einschränkungen, etwa bei ärztlichen Therapieverordnungen, das ärztliche Berufsbild.
Es ist zwar allseits bekannt, dass dieser Wandel nur durch Mithilfe der Ärzteschaft möglich ist, der Arzt wird jedoch als Person nur auf einen Funktionsträger innerhalb des Gesundheitssystems reduziert.
Politisch vollkommen unberücksichtigt bleibt die Fragestellung, welchen Einfluss der Wandel der ärztlichen Arbeitsbedingungen und des professionellen Selbstverständnisses auf die Gesundheit der Ärzte, auf die Attraktivität des ärztlichen Berufes und letztendlich auf die medizinische Versorgung der Patienten hat.

Gesundheitsreformen – für ÄrztInnen krankheitsfördernd? Die Entscheidungsfindung für Veränderungen bei wissenschaftlichen wie auch gesundheitspolitischen Themen basiert auf einem rein mechanistischen, entpersonalisierten Konzept. Individuelle Handlungsmotivation des Arztes wird nur akzeptiert, sofern diese den ökonomischen Grundlagen folgt. Es entsteht dadurch in zunehmendem Maße ein Verlust der Autonomie, eine verstärkte externe Kontrolle, der Kosten- und Zeitdruck steigen, berufsfremde Tätigkeiten wie vermehrter Verwaltungsaufwand reduzieren den Spielraum in der individuellen Arzt-Patient-Beziehung und im ärztlichen Handeln. Die Motivation wird im Besonderen noch durch die fehlende Einbindung in die Entscheidungsprozesse verringert.
Dieses „mechanistische“ Konzept erhöht den psychosozialen Stress. Im Durchschnitt arbeiten die Ärztinnen und Ärzte im angestellten Arbeitsverhältnis wie auch im niedergelassenen Bereich 55 bis 60 Wochenstunden und verbringen im Monat nur 2(–3) Wochenenden ohne berufsassoziierte Arbeit. Die Folgen dieser Fehlentwicklung sind Enttäuschung, vermehrte Unzufriedenheit, Suchtverhalten, Burn-out-Symptomatik und auch ernsthafte körperliche Krankheit. Glückliche Menschen leben nicht nur zufrieden, sondern haben auch nachweislich eine höhere Lebenserwartung. Es besteht eine dringende Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen zum Erhalt der ärztlichen Gesundheit in Österreich zu verändern.

Nicht dem individuellen ärzlichen Handeln das Wasser abgraben: Das wichtigste und wohl auch schwierigste Ziel ist es, das rein mechanistisch- ökonomisch ausgerichtete Handlungskonzept im Gesundheitssystem aufzubrechen und verbindliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um sowohl individuelles ärztliches Handeln als auch individuelle Patientenbetreuung zu gewährleisten. Notwendigerweise muss hierfür der Ärzteschaft eine gleichwertige Stellung innerhalb des gesundheitspolitischen Entscheidungsprozesses zukommen.
Ein weiteres Ziel ist die Minimierung berufsfremder Tätigkeiten. Es darf keine weitere Einflussnahme von „außen“in Form bürokratischer Belastungen erfolgen, die in keiner Weise zu einer Sicherung der Qualität in der medizinischen Versorgung beitragen.

Nicht beim „Personal“ sparen: Eine andere Rahmenbedingung wäre, die prinzipielle „Sparreform“ im Gesundheitswesen zu beenden. Das Gesundheitssystem kann nicht wie ein industrieller Großbetrieb geführt werden. Hier gelten andere Maßstäbe mit humanistischen Prinzipien, die nicht mit „mechanistischen“, rein wirtschaftlichen Kriterien beurteilt werden können. Das eigenverantwortliche Handeln und der empathische Umgang erfordern einen individuellen zeitlichen Spielraum, der nicht z. B. einer Fließbandproduktion eines Autos gleichgesetzt werden kann. Folglich müssen bei Strukturreformen personalpolitische Sparmaßnahmen „unterlassen“ und die frei werdenden finanziellen Kapazitäten für eine Vermehrung des ärztlichen Personals im Spitalsbereich und zur adäquaten Aufstockung der Planstellen im niedergelassenen Bereich, im Besonderen in der ländlichen Region, eingesetzt werden.
Die Kapazitäten des ärztlichen Handelns sind längst überschritten, und die bestehenden Arbeitsbedingungen führen zu stressorientierten Krankheiten.

Demotivierende Ausbildungsstruktur: Vollkommen unberücksichtigt bleibt derzeit die Rahmenbedingung der ärztlichen Ausbildung. Nach einem theoretischen Medizinstudium von durchschnittlich 6 bis 7 Jahren und nach einer sinnlosen Wartezeit von 2 bis 3 Jahren auf die zwischen 3 bis 8 Jahre dauernde praktische Ausbildung können hierzulande Allgemeinmediziner oder Fachärzte erst nach 12 bis 17 Jahren den gewollten Beruf selbstständig ausüben. Diese einzigartig lange Ausbildungszeit ist keine gesunde Basis für einen zufriedenen ärztlichen Berufsweg. Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf. In naher Zukunft wird durch die demografische Entwicklung ein weitaus größerer Bedarf an praktizierenden Ärzten bestehen als heute.

Auch Ärzte brauchen Hilfe! Zuletzt möchte ich noch auf eine weniger komplexe Rahmenbedingung der Ärzte aufmerksam machen: Es besteht ein dringender Bedarf an der Schaffung von spitalsinternen Anlaufstellen und regional leicht erreichbaren Institutionen, die Kollegen im Falle von Mobbing, stressbedingtem Suchtverhalten oder Burn-out-Situationen adäquat, unkompliziert und „anonym“ Hilfe anbieten. In anderen Ländern wie beispielsweise in den USA oder Kanada ist dies weit verbreitet, nur in Österreich schweigt man lieber.