Wenn Sie diese Zeilen lesen, gibt es vielleicht schon eine neue Führung in Österreichs Ärztekammer. Diese konstituiert sich jedenfalls Ende Juni anlässlich des Kammertages in Bregenz. Ich werde nicht mehr zur Verfügung stehen. Über ein Jahrzehnt intensivste Arbeit in der Ärztevertretung gepaart mit der unerlässlichen Arbeit in meiner internistischen Kassenordination haben Spuren hinterlassen. Auch entwickelt sich die Kammerpolitik, ganz ähnlich der Großpolitik, zu einer ständigen, auch internen, Auseinandersetzung. So manchen – inzwischen mächtigen – Funktionären geht es kaum mehr um Sachlösungen, aber viel mehr um Machterhalt, als müsse man in einer Art ständigen Wahlkampfes seine Position sofort zu sichern beginnen, zumal man ja seine ärztliche Tätigkeit inzwischen so minimiert hat, dass man damit nicht mehr sein existenzielles Auskommen fristen kann.
Wussten Sie eigentlich, wie man Gesundheitsminister wird? Vom aktuellen Ressortchef, aber auch von seiner Vorgängerin weiß ich es. Und die Vorgänge ähneln einander sehr. Beide ahnten jedenfalls am Abend vor ihrer Nominierung noch nichts von ihrem Schicksal. Nach der Nationalratswahl 2006 suchte die ÖVP – sie hatte beim regierungsbildenden Ämterpoker das Gesundheitsresort „gewonnen“ – eine Frau mit ÖAAB-Hintergrund aus Niederösterreich. So läutete bei Frau Dr. Kdolsky spätnachts das Telefon, sie sagte nicht nein und bald danach leistet sie den Amtseid. Es endet für Frau Minister in Ärztedemonstrationen und Ordinationsschließungen. Im Sommer 2008 trat die Regierung Gusenbauer zurück und das Parlament löste sich auf.
Kanzler Gusenbauer hatte ich in diesem heißen Sommer persönlich kennengelernt, für mich enttäuschend, da wenig sensibilisiert für die ärztlichen Anliegen, aber auch für die Gesamtsituation seines Kabinetts. Erwachsen war die damalige Dramatik aus dem Versuch zweier Sozialversicherer, dem Sozialdemokraten und Chef der Wiener GKK Franz Bittner und Karlheinz Kopf, dem ÖVP-Abgeordneten und geschäftsführenden Obmann der SVA, den Hauptverband neu zu strukturieren und zu einem Holding-ähnlichen Konstrukt zu formen. Im Vorbeigehen wollten beide auch gleich die widerspenstige niedergelassene Ärzteschaft abstrafen. Plötzlich sah man sich aber gleich mit mehreren Gegnern konfrontiert. Da stand der Obmann der Beamtenversicherung und einflussreiche ÖAAB-Boss Fritz Neugebauer, da organisierte die österreichische Ärzteschaft ihren Aktionismus und auch Alois Stöger, damals Obmann der GKK Oberösterreich, wehrte sich mit Gewerkschaftsgenossen erbittert gegen den geplanten Zentralismus.
Dass mit der folgenden Regierungsbildung 2008 gerade dieser Alois Stöger in das Gesundheitsministerium einzog, gehört zu den Geschichten, die das Leben so schreibt. Übrigens wusste auch er am Vorabend seiner Nominierung nichts von dem, was da kommen sollte. Dieses Mal war die SPÖ am Zug und suchte ein Gewerkschaftsmitglied aus Oberösterreich. Der dortige Landesparteichef sagte ab und Stöger wurde Minister. Ich durfte beide so rasch und unverhofft Gekürten in deren ministeriellem Wirken erleben, kein Vergleich!
Das Verhältnis der niedergelassenen Ärzteschaft zur Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) zeigte sich über alle meine Funktionärsjahre als Bundeskurienobmann spannungsgeladen. Vor 2006 konnte der Versuch einer Fusion von den beiden ÖVP-nahen Versicherungen der Bauern und der SVA auf Kosten der Ärzteschaft erst nach unzähligen Verhandlungsrunden, trotz der ständigen Drohungen aus der damals schwarz-orangen Ecke, das „Problem“ gesetzlich zu regeln, abgewendet werden. Dennoch blieb die Lage mit diesem bundesweiten Träger ständig angespannt. So führte deren beharrliche Weigerung zu einer tarifwirksamen Honorarerhöhung im Herbst 2009 zu unserer Kündigung des Gesamtvertrages, und noch mehr brachte der 1. Juni 2010 tatsächlich den ersten vertragslosen Zustand der Ärzteschaft mit einer Sozialversicherung seit 42 Jahren! Lange Zeit hatte sich der eigentliche Obmann der SVA, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, von jeder Verhandlung ferngehalten, musste aber dann erkennen, dass es uns mit der Androhung, die gewerblichen Versicherten nur mehr als Privatpatienten zu behandeln, ernst war. Nach einer über acht Stunden dauernden Marathonverhandlung gelang uns in der Nacht vom 10. Juni immerhin eine Basiseinigung. Heute, zwei Jahre danach, finde ich das Verhältnis mit der SVA so konstruktiv wie nie zu vor. Sicher haben damit auch personelle Konsequenzen auf deren Seite zu tun.
Oft habe ich mich damals gefragt, ob es an uns gelegen war, dass die Situation so eskalierte? Aber immerhin pflegen wir seit Jahren auch Vertragsverhältnisse zu zwei anderen Sonderversicherungsträgern, BVA und VAEB, und das problemlos. Schließlich war es am Ende unserer Zustimmung zu verdanken, dass sich die damals finanzmarode Eisenbahner-Versicherung mit der des Bergbaues fusionieren konnte. Heute steht der Honorarabschluss mit der VAEB bis 2014! Auch mit der Beamtenversicherung fanden wir, trotz unterschiedlicher Sichtweisen, immer gemeinsame Lösungen.
Mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger hatten wir in all den Jahren vielfältige Berührungsflächen, ob die Vorsorge-Koloskopie, das Mammascreening, die neue Vorsorgeuntersuchung, die e-Medikation und vieles mehr. Manches brachte konstruktive Lösungen, anderes auch wieder nicht. So führten wir nach dem Crash 2008 intensivste Gespräche in vier Arbeitsgruppen, was zumindest auch teilweise zur Konsolidierung der SV-Finanzen beigetragen hat, jedenfalls aber zu einer finanziellen Stützung durch den Bund führte. Damals habe ich Bundeskanzler Faymann als einen informierten, lösungsorientierten Politiker persönlich erlebt.
Leider fühlte sich der Vorsitzende des Hauptverbandes (HV), Dr. Schelling, dann bemüßigt, einen „Masterplan“ zur Organisation und Finanzierung des heimischen Gesundheitswesens unbesprochen zu veröffentlichen. Manches darin konnte man als diskussionswürdig betrachten, anderes aber entsprach dem Gedankengut, das uns schon 2008 auf die Barrikaden brachte. Als feierten Bittners und Kopfs Ideen von einst fröhliche Urständ. Damit verstieß der (HV) auch gegen die so mühsam erarbeiteten Vereinbarungen des Jahres 2009, die gemeinsame Gesprächsbasis war dahin, und das bis heute. Natürlich kennen wir dort die ewig gestrigen Charaktere, die unablässig und unverbesserlich Zwietracht säen, aber wenig mutig jede offen Auseinandersetzung scheuen. Großteils politisch eingesetzt fristen diese aber weiter ein gesichertes Dasein.
Bis heute ist es uns aber immer noch gelungen, mit Argumenten, politischen Kontakten oder letztlich durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten die ärztliche Position zu halten. Nicht weil wir glauben, die Besten zu sein, sondern weil wir die einzige Ärzteschaft des Landes sind.