Unsicherheitsfaktor Untersucher: Professor Dr. Douglas Rex, Indiana University, betonte im AGA-Postgraduiertenkurs, dass ca. 30 % der kolorektalen Karzinome aus dem CpG Island Methylator Phenotype (CIMP) Pathway entstammen, also aus serratierten Polypen, und ca. 70 % aus dem Chromosomal Instability Phenotype (CIN) Pathway, dessen Vorgängerläsionen Adenome sind. Serratierte Polypen sind meist flach und daher schwieriger zu entdecken. Den größten Unsicherheitsfaktor in der Qualität der Vorsorgekoloskopie stellt laut Rex allerdings immer noch der Untersucher dar. So variiert der Anteil von mindestens einer serratierten Läsion um das bis zu 18-Fache je nach Untersucher. Mögliche Ursachen für diese hohe Variabilität stellen die Einhaltung von Guidelines, die Qualität der Ausbildung, das Vorhandensein neuer Technologien und nicht zuletzt die Erfahrung des koloskopierenden Arztes dar. Er schließt daraus, dass zur Prävention des kolorektalen Karzinoms die Durchführung qualitativ hochwertiger Koloskopien in den vorgeschriebenen Intervallen unbedingt notwendig ist. Aber auch, dass die Qualitätssicherung sowie das Qualitätsmonitoring der Vorsorgekoloskopie wichtige Qualitätsindikatoren sind.
Neue Studie zur Sigmoidoskopie: Schoen R. E. et al. präsentierte Studiendaten, die noch am selben Tag online im „New England Journal of Medicine“ publiziert wurden (NEJM 2012; 366:2345-2357). In dieser Studie wurde eine Senkung der Inzidenz distaler (RR 0,71; 95%-KI 0,64–0,80; p < 0,001) sowie proximaler kolorektaler Karzinome (RR 0,86; 95%-KI 0,76–0,97; p = 0,01) in einer 1:1-Randomisierung von 150.900 Patienten zu einer im Abstand von 3–5 Jahren durchgeführten Sigmoidoskopie bzw. einer „Usual Care“-Kohorte gezeigt. Zusätzlich zeigten die Autoren, im Vergleich zur „Usual Care“-Kohorte, eine Verminderung der Mortalität an distalen kolorektalen Karzinomen (relatives Risiko 0,50; 95%-KI 0,38–0,64; p < 0,001).
24-Jahres-Follow-up zur Vorsorgekoloskopie: Vorgestellt wurden ebenfalls Daten zur Senkung der Inzidenz und Mortalität kolorektaler Karzinome mittels Vorsorgekoloskopie. Dr. Peter Lochhead, Dana-Farber Cancer Institute und Harvard University, Boston, Massachusetts, präsentierte Follow-up-Daten über 24 Jahre (> 2 Millionen Patientenjahre) von 170.000 Amerikanern ohne wesentlich erhöhtes Risiko für kolorektale Karzinome. Die Daten zeigten eine Risikoreduktion von 51 %, an einem kolorektalem Karzinom zu erkranken. Im Gegensatz dazu lag die Risikoreduktion mittels Sigmoidoskopie bei 37 %. Des Weiteren zeigte eine multivariate Analyse einen kumulativen Effekt mehrerer Koloskopien mit einer Risikoreduktion von bis zu 64 % bei drei durchgeführten Koloskopien.
Vorsorgekoloskopie und Kosten: Aufgrund hoher Kosten wurde auch zunehmend über Patienten-maßgeschneiderte Screeningintervalle, angepasst an Geschlecht, familiäre Prädisposition, Rauchen, Alkohol, Gewicht, Bewegung und Diabetes mellitus, diskutiert. In einer von Dr. Ann G. Zauber, Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, präsentierten Arbeit zeigte sich die beste Kosteneffizienz einer einmaligen Vorsorgekoloskopie, wenn diese mit 50 Jahren durchgeführt wird, mit 70 gewonnenen Lebensjahren pro 1.000 durchgeführten Untersuchungen.
Madhusudhan R. et al. verglichen in einer randomisierten, kontrollierten Studie die Polyp- und Adenomentdeckungsraten beim alleinigen Abtragen von Läsionen beim Zurückziehen des Koloskops, im Vergleich zum Abtragen beim Vor- und Zurückschieben. In dieser Studie fanden sich ähnliche Polyp- (57,1 % vs. 54,1 %; p = 0,5) und Adenom-Entdeckungsraten (39,2 % vs. 38,1 %; p = 0,8) mit beiden Methoden. Die Adenomentdeckungsraten waren in der Studie allerdings sehr hoch. Die Untersuchungszeit zwischen beiden Methoden war nicht signifikant unterschiedlich.
Neue endoskopische Methoden wie NBI, FICE und Chromoendoskopie stellen eine Möglichkeit dar, schon während des Untersuchungsgangs Polypen nach ihrer Histologie zu separieren, und die so genannte „Diagnose and Discard“-Strategie war auch auf der DDW ein viel diskutiertes Thema und wurde zumindest gedanklich noch einen Schritt weiter geführt: „non resection of hyperplasia and EMR/ESD for advanced neoplasia“. Diese kühnen Überlegungen basieren auf Daten hoher Sensitivität und Spezifität in einer von Douglas Rex vorgestellten Metaanalyse über 39 Studien und 11.261 Patienten. Gezeigt wurde für alle der oben genannten Methoden eine Sensitivität von 91 %, eine Spezifität von 77–87 % und eine Genauigkeit von 87–90 %.
Zweite Nachsorgekoloskopie: Nicht nur das Auffinden und Abtragen/Nichtabtragen von Adenomen, sondern auch deren Management wurde auf der DDW diskutiert. Daten zur Risikostratifizierung für die zweite Nachsorgekoloskopie wurden von Morelli et al. vorgestellt. Patienten mit einer positiven Indexkoloskopie haben demnach im Vergleich zu Patienten mit einer negativen Indexkoloskopie ein mehr als doppelt so hohes Risiko (Odds Ratio 2,14; 95%-KI 1,36–3,37 %) für eine erneute positive erste Nachsorgekoloskopie. Im Gegensatz dazu ist das Risiko für die zweite Nachsorgekoloskopie (Odds Ratio 3,18; 95%-KI 1,59–6,38) weitestgehend vom Ausgang der ersten Nachsorgekoloskopie abhängig.
Autofahren nach Propofol-Sedierung: Das Management von Propofol-sedierten Patienten unmittelbar im Anschluss an die Koloskopie wurde ebenfalls diskutiert. Laut einer präsentierten Studie soll schon eine Stunde nach Propofol-Gabe (Mittel 60–300 mg) das gefahrlose Autofahren für Patienten möglich sein. Eine Stunde nach der letzten Verabreichung lag der Propofol-Spiegel unter 200 ng/ml. Untersucht wurde die Fahrtüchtigkeit mit Tests wie dem Stehen auf einem Bein, geradem Gehen, einem Fahrsimulator und einem Zahlenverbindungstest, jeweils vor und nach der Gabe von Propofol. Mit vergleichbaren Ergebnissen: Vor der Propofol-Gabe betrug die durchschnittliche Zeit für den Zahlenverbindungstest 32,2 Sekunden im Vergleich zu 32,7 Sekunden nach Propofol. Die mittlere Reaktionszeit im Fahrsimulator beim Beschleunigen lag vor und nach der Gabe von Propofol bei 0,65 und 0,62 Sekunden. Beim Bremsen konnten wiederum ähnliche Reaktionszeiten vor und nach Propofol erzielt werden (0,58 Sek. vor und 0,62 Sek. nach Propofol). Diese Daten sollten jedoch in größeren Studien bestätigt werden, bevor wir in Österreich das Autofahren eine Stunde nach Propofol erlauben können.
Gerinnungsstörungen bei Leberzirrhose: Auch abseits der Vorsorgekoloskopie wurden auf der diesjährigen DDW interessante Daten präsentiert. Das schwierige Management von Gerinnungsstörungen bei Patienten mit Leberzirrhose und deren pathogenetisches Potenzial für die Entwicklung einer Leberfibrose bzw. -zirrhose wurden in einer weiteren Session mit Dr. Ton Lisman, University Medical Center, Groningen, Niederlande, betont. In einer Studie zur Prävention der Portalvenenthrombose mittels Enoxaparin vs. Placebo (mit 70 Patienten) konnte im Behandlungszeitraum von 24 Monaten nicht nur eine Reduktion der Inzidenz der Portalvenen-Thrombose erzielt werden (16 % vs. 0 %), sondern auch eine Verminderung der Dekompensationsraten in der Behandlungsgruppe (52,7 % vs. 11,7 % in der Kontrollgruppe).
Früher versus „Step-up“-Einsatz von Azathioprin: Auf dem Gebiet der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) gab es bei der DDW einige spannende Präsentationen. Französische Kollegen unter Leitung von Dr. Jacques Cosnes, Hôpital St-Antoine, Paris, sind im prospektiven Studiendesign der Frage nachgegangen, ob bei rezent diagnostiziertem Morbus Crohn eine beschleunigte Azathioprin-Therapie versus konventioneller „Step-up“-Therapie einen Benefit bzgl. Remission, Biologika-Bedarf, intestinalen und perianalen Operationen bringt. Nach einem medianen Follow-up von ca. 3 Jahren zeigte sich lediglich ein Trend für eine reduzierte Rate an intestinalen und perianalen Operationen bei der Subgruppe der Patienten mit beschleunigter im Vergleich zur konventioneller Azathiopringabe. Diese Daten sind (wahrscheinlich aufgrund der niedrigen Fallzahl) im Widerspruch zu den retrospektiven Daten von Ramadas (Gut 2010 Sep; 59 (9):1200-6), wo durch den früheren und steigenden Einsatz von Azathioprin innerhalb der letzten 20 Jahre eine signifikante Reduktion der intestinalen Operationen verzeichnet werden konnte. Jener Therapiebenefit wurde rezent durch Peyrin-Biroulet (Gut 2011 Jul; 60 (7):930-6) bestätigt, wo Azathioprin eine mässige Reduktion von intestinalen Operationen bei Patienten mit Morbus Crohn erzielen konnte.
Kolorektale Neoplasien nach Lebertransplantation bei PSC: Das erhöhte Risiko für kolorektale Neoplasien bei Patienten mit Colitis ulcerosa bzw. kolonischer CED und primärer sklerosierender Cholangitis (PSC) ist seit Langem bekannt, so besteht bei ca. 80 % aller PSC-Patienten auch eine CED. Jorgensen und Kollegen beschrieben einerseits das 10- und 20-Jahres-Risiko für die Entwicklung kolorektaler Neoplasien mit 6,5 % und 17 % seit CED-Diagnose. Insbesondere fanden aber die dänischen Kollegen ein signifikantes circa 2-fach erhöhtes Risiko für kolorektale Neoplasien nach Lebertransplantation, welches die Relevanz der Surveillance-Koloskopie in diesem Setting unterstreicht.
Karzinomrisiko bei CED: Patienten mit CED haben neben den entzündungsgetriggerten kolorektalen Neoplasien durch den breiten Einsatz der Immunosuppressivatherapie auch ein erhöhtes Risiko für Lymphome und nichtmelanomartige Hautneoplasien (Basaliom, Spinaliom). Laurent Beaugerie und Kollegen aus Frankreich analysierten Daten der CESAME-Kohorte von fast 20.000 Patienten mit CED bezüglich Krebsrisiko und fanden ein circa 3,5-fach erhöhtes Karzinom-Risiko (95%-KI: 2,3–5,4) bei CED-Patienten. Dieses Risiko war insbesondere durch die Immunosuppression für „De novo“-Karzinome signifikant erhöht.