High-End-Methoden der modernen Radioonkologie

Räumliche Konformation

Intensitätsmodulierte Radiotherapie

Die Entwicklung der intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT) stellte den Quantensprung in der Formung auch sehr polyzyklisch konfigurierter Zielgebiete, wobei der Dosisabfall am Rand des Zielvolumens deutlich steiler als bei klassischen „offenen“ Techniken verläuft, sodass „Überschussvolumina“ reduziert werden. Der Begriff der IMRT umfasst alle Verfahren, bei denen die Fluenz der Photonen innerhalb eines Bestrahlungsfeldes nicht mehr gleichförmig (wie bei herkömmlichen 3-D-konformalen Techniken), sondern variabel abgegeben wird: von so genannten „Step-and-shoot“- und dynamischen Techniken bis hin zu der rezentesten Entwicklung, den volumetrischen Arc-Therapien (VMAT, rapidArc). Die Realisierung dieser Methoden erfordert äußerst komplexe Planungsvorbereitungen, die als so genannte „inverse Bestrahlungsplanung“ bezeichnet werden. Eine Sonderform stellt die Tomotherapie dar. Zurzeit liegt ein Entwicklungsschwerpunkt in der Erhöhung der Dosisrate („true beam“, FFF-Techniken), um die Abstrahlzeiten deutlich zu verkürzen. All diese Techniken bedeuten einen deutlich erhöhten Aufwand bei allen Planungsschritten und der eigentlichen Therapie und führen bei breiterer Anwendung zu einer Verknappung der aktuellen Geräteressourcen, sodass die Frage nach dem klinisch fassbaren Nutzen gegenüber Standardverfahren gerechtfertigt ist. In vergleichenden Kohortenstudien sowie randomisiert prospektiven Untersuchungen konnte eine (erwartete) signifikante Verringerung von hochrelevanten Nebenwirkungen gezeigt werden: Nach IMRT von HNO-Tumoren kann in vielen Situationen eine Speicheldrüsenfunktion aufrechterhalten werden, bei der Bestrahlung von Analkanal- und Prostatatumoren sinkt die gastrointestinale Morbidität.
Dosiseskalationen, die erwiesenermaßen zu höheren lokalen Tumorkontrollraten führen, sind erst mit der Anwendung dieser Techniken ohne zeitgleicher Erhöhung der Spätmorbidität möglich geworden (Bronchus-Ca., Prostata-Ca.).

 

 

Brachytherapie

Auch die Brachytherapie zählt unleugbar zu den hochkonformalen Verfahren, die in Zeiten der Verschränkung mit modernen bildgebenden Methoden und dadurch gezielterer Steuerung von Quellenaufenthaltspositionen und -dauer eine starke Renaissance erlebt. Darüber hinaus profitiert die Methode von der Verwendung höherer, biologisch effektiverer Einzeldosen (siehe unten). In der primären Therapie auch fortgeschrittener Tumoren, primär von gynäkologischen Karzinomen, aber auch des HNO-Bereichs, konnten permanente lokale Tumorkontrollraten deutlich gesteigert werden.

Stereotaktische Radiotherapie

Dieser Begriff wird üblicherweise auf alle so genannten nicht koplanaren Techniken angewendet, bei denen Einstrahlrichtungen aus allen Raumebenen und Winkeln frei gewählt werden können, was starke (häufig kugel- bis ellipsenförmige) Fokussierungen der Dosis erlaubt. Historisch ist hier das Gamma-Knife die Pioniermethode, heute ist diese Behandlungsform an allen modernen Linearbeschleunigern bei entsprechender Ausrüstung möglich. Das Cyberknife stellt eine sehr selektive Entwicklung in diesem Formenkreis dar.
Die stereotaktische Bestrahlung ist in der Therapie vieler zerebraler Tumoren solide Realität, wird aber in speziellen Situationen auch zunehmend extrazerebral angewendet. Neben den etablierten Anwendungen z. B. in der Metastasentherapie stellt die Behandlung früher Stadien der Bronchialkarzinome die Flaggschiff­indikation dar und leitet mancherorts einen Paradigmenwechsel in der Primärtherapie ein.

Bildgeführte Radiotherapie – der Schritt in die vierte Dimension

Gegenüber einer „Standard“-3-D-RT tolerieren hochkonformale Techniken wie IMRT und Stereotaxie in deutlich geringerem Maße Fehler bei der Positionierung des Patienten im Strahlengang und setzen darüber hinaus auch hohe Sicherheit in der Kenntnis der aktuellen Lage eines Zielgebietes bei der täglichen Bestrahlung voraus. Je besser die Konformation, desto sensibler ist die Methode gegenüber Abweichungen zur Planungsannahme – widrigenfalls wird der offensichtliche Vorteil steiler Dosisabfälle am Rande eines behandelten Volumens zur Double-Trouble-Falle: Nicht mehr der Tumor, sondern die umgebende Risikostruktur wird mit hohen Herddosen erfasst, was gleichermaßen zur Unterdosierung des Tumors und zur Überdosierung des Normalgewebes beiträgt.
Bei vielen Tumorsituationen besteht das intrinsische Problem einer Ortsungenauigkeit zwischen den täglichen Fraktionen, aber auch während der einige Minuten dauernden Therapie – z. B. hervorgerufen durch unterschiedliche Füllungszustände benachbarter Organe oder durch respiratorisch bedingte Tumorbewegungen. Modelltumor schlechthin für ein bewegliches Target im erstgenannten Sinne ist das Prostatakarzinom, für Letzteres das (peripherer gelegene) Bronchuskarzinom, aber auch das Mammakarzinom.
Die Behandlung der gesamten „Aufenthaltswahrscheinlichkeit“ eines Zielgebietes führt aber wiederum zu inakzeptabel großen Volumina mit eingeschränkter Toleranz gegenüber hohen Enddosen.
Ziel einer bildgeführten (image-guided) Radiotherapie (IGRT) ist die ortsgenaue Erfassung eines Zielvolumens vor und letztlich auch während jeder therapeutischen Bestrahlung. Dies gelingt primär mittels einer zusätzlichen Ausstattung eines Linearbeschleunigers mit speziellen Röntgenvorrichtungen, die über sterische Röntgenaufnahmen und/oder Cone Beam CT die aktuelle Lage von Leitstrukturen erfassen, Abweichungen gegenüber der Planungssituation trajektoriell berechnen und somit die Grundlage für Nachjustierungen liefern. Die IGRT bildet somit die Grundvoraussetzung für die Anwendung adaptiver, hochkonformaler Bestrahlungen.
Eine besondere Herausforderung besteht im Falle einer relevanten Positionsänderung während der laufenden Bestrahlung. Modellsituation: die Exkursion eines peripher gelegenen Bronchuskarzinoms während eines Atemzyklus. Zwei verschiedene Lösungswege werden technisch erarbeitet: Die Bestrahlung erfolgt lediglich innerhalb einer definierten Atemzyklusperiode (so genanntes „gating“), oder aber das tatsächliche Verfolgen der Position des Tumors („tracking“) durch Nachführung des Strahles. Beide Verfahren werden u. a. durch das Einbringen von röntgendichten Markern in das Zielvolumen optimal vorbereitet.
Gerade das Bronchuskarzinom galt aufgrund limitierter Toleranzen von Risikoorganen (Lunge, Ösophagus, Trachea, Myelon) lange Zeit als nicht suffizient mit erforderlichen Dosen bestrahlbar. Durch die bildgeführte Durchführung hochkonformaler Techniken sind mittlerweile Dosierungen bis 90 Gy möglich geworden, die mit einem sprunghaften Anstieg der erzielbaren lokalen Tumorkontrollraten assoziiert sind, auch bei regionär fortgeschrittener Erkrankung.
Weiters haben Gating-Verfahren nachweislich zur erheblichen Reduktion von eventuellen Herzbelastungen im Rahmen von linksseitigen Ganzbrustbestrahlungen geführt.

Biologische Konformation

Individualisierte Strahlentherapie: In zunehmendem Maße werden Methoden der biologischen Bildgebung in die Teletherapieplanung integriert. In etlichen Studien konnte gezeigt werden, dass beispielsweise bei der primären Radiotherapie von ZNS-, Bronchus- und HNO-Tumoren die zusätzliche Information aus PET-basierten Verfahren ein hohes Potenzial zur Optimierung von Zielvolumina aufweist, deren Ausdehnung ansonsten unterschätzt worden wäre. In Analogie zur Teletherapieplanung wird dabei das Potenzial von 4-D-PET-CT beforscht. Aus Sicht der Radioonkologie ist die Entwicklung von speziellen Hypoxiemarkern mit dem Ziel einer besseren Erfassung von Zonen unterschiedlicher Radiosensibilität hilfreich. Fernziel ist eine Therapieplanung auf der Basis biologischer Informationen, um unterschiedliche Tumorstoffwechselaktivitäten in die tägliche Dosisverteilung einfließen zu lassen („dose painting“).
Kernspinspektrographische Methoden haben den Vorteil der höheren Ortsauflösung und sollen nicht nur helfen, die lokoregionäre Ausdehnung besser zu identifizieren, sondern auch ein Monitoring des Behandlungserfolges frühzeitig zu ermöglichen. Diffusionsgewichtete MR-Sequenzen werden zurzeit auf ihr Potenzial im Response Assessment von HNO-Tumoren untersucht.
Prädiktive Modelle bedienen sich aber auch der quantitativen Untersuchung von Tumorstammzellen mit dem Ziel der frühzeitigen Erkennung resistenter Tumoren und der zeitgerechten Adaptierung multimodaler Konzepte unter Einschluss von biologisch aggressiveren Fraktionierungen und Dosis-Intensifikationen.

 

 

Biologische Konformation durch geänderte Fraktionierung

Hypofraktionierung: die Rückkehr hoher Einzeldosen? Die Entwicklung von Hochpräzisionsbestrahlungen fördert zwangsläufig die Wiederbeforschung der Potenziale hoher Einzeldosen, nachdem Normalgewebsschonung in bislang unerreichtem Maße möglich geworden ist. Als Hypofraktionierung bezeichnet man eine fraktioniert durchgeführte Bestrahlung mit Einzeldosen > 2 Gy bei aufgrund der reduzierten Fraktionszahl insgesamt verkürzter Bestrahlungszeit. Hypofraktionierung ist eine in der stereotaktischen Radiotherapie bestens etablierte Methode, etwa in der Radiochirurgie von Hirnmetastasen und Angiomen (AVM) oder der Bestrahlung von Akustikusneurinomen. Die Entwicklung extrakorporaler stereotaktischer Verfahren ermöglichte die hypofraktionierte Bestrahlung kleiner Bronchialkarzinome. Die berichteten Tumorkontrollraten zeigen das Potenzial einer echten Therapiealternative zur primären OP.

Intraoperative Radiotherapie

Intraoperative Radiotherapie (IORT) ist Hypofraktionierung par excellence unter höchstkonformalen Bedingungen und unter maximaler Zeitnähe zur OP, was Tumorzellrepopulation hintanhält – eine Triple-win-Konstellation. Die breitere Etablierung dieses zwar investiv aufwändigeren, im laufenden Betrieb aber gut integrierbaren Prinzips der sofortigen Bestrahlung von Regionen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer subklinischen Tumorzellkontamination gelang trotz bestechender Logik nur schleppend. Einen definitiven Durchbruch erlebt die Methode möglicherweise durch die boomende Anwendung beim konservativ operierten Mammakarzinom. Die Langzeitergebnisse nach IORT des Mammakarzinoms (v. a. im „boost setting“) imponieren durch bislang mit anderen Vorgangsweisen nicht erreichten lokalen Tumorkontrollraten und stellen letztlich die klinische Ernte angewandter Prinzipien der Hochkonformation dar.

Partikeltherapie: neue Horizonte

Die Partikeltherapie ist in den letzten Jahren international massiv ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Schwerionen zeigen gegenüber Photonen, deren Dosis bis 3–4 cm nach Eindringen in das Gewebe am höchsten ist, ein inverses Tiefendosisprofil. Protonen oder Kohlenstoffionen geben ihre Hauptdosis erst gegen Ende ihrer Bahn im so genannten „Bragg-Peak“ ab. Das bringt im Falle von Protonen vor allem ballistische Vorteile, da die Exitstrahlung nach dem Energietransfer im Bragg-Peak niedriger ist als im Falle einer – auch hochkonformal applizierten – Photonentherapie. Klinisch bringt dies in selektierten Fällen zusätzliche Vorteile, z. B. bei kindlichen Tumoren oder im Falle von Rebestrahlungen bei stark vorbelasteten Regionen. Die biologische Effektivität der Protonen ist mit den Photonen in etwa gleichzusetzen.
Kohlenstoffionen zeigen darüber hinaus eine deutlich stärkere biologische Wirkung an der Tumorzelle durch ihre Eigenschaft, primär irreparable Doppelstrangbrüche zu setzen. Vor allem ihnen gilt die Hoffnung der radioonkologischen Gemeinschaft weltweilt, bislang als radioresistent eingestufte Tumoren kontrollierbar zu machen. Rezente Erfahrungen aus Heidelberg an ZNS-Tumoren sind vielversprechend. In Europa ist ein Netzwerk von Großforschungsanlagen im Entstehen, um im multizentrischen Ansatz diese Upfront-Technologien auf ihr klinisches Potenzial zu prüfen. Eine der modernsten Anlagen weltweit, das MedAustron in Wiener Neustadt, wird ab 2016 in den klinischen Betrieb gehen und stellt eine einzigartige Bereicherung im Portfolio der österreichischen Radioonkologie dar.

Resümee

Citius, altius, fortius: Die Radioonkologie des nächsten Jahrzehnts wird in bislang nicht gekanntem Ausmaß der olympischen Maxime folgen können. Kürzere Behandlungszeiten, höhere Dosen, stärkere Effekte. Der kontinuierliche Fortschritt in adaptiver Dosis-Konformation ermöglicht letztlich die Echtzeitverfolgung eines Tumors während der Bestrahlung, sowohl hinsichtlich seiner geometrischen Position als auch seines biologischen Verhaltens. Dies wird zu einer weiteren Steigerung der Effizienz der Strahlentherapie führen, bei zeitgleicher – dramatischer – Reduktion von Normalgewebsreaktionen. Bislang als radioresistent eingestufte Tumoren werden durch den Einsatz von Partikelstrahlen neue Behandlungsoptionen erfahren.

Literatur beim Verfasser