Fußulzera entstehen bei 2,5 bis 11 % der Patienten mit Diabetes mellitus infolge diabetischer Neuropathie. Meist liegen sie an den gewichtsbelasteten Arealen der Planta pedis. Der Schweregrad diabetischer Fußulzera wird nach Wagner in die Grade 1–5 bzw. nach Armstrong in die Stadien A–D eingeteilt (Tab.).1, 2 Die jährliche Inzidenz von Amputationen beiträgt im Schnitt rund 1 %, deren kumulative 5-Jahres-Inzidenzrate liegt bei 12 %.3 Zentrale Therapiemaßnahmen sind optimierte Diabeteseinstellung, Entlastung durch orthopädisches Schuhwerk und Lokaltherapie inklusive chirurgisches Débridement. Je nach Infektsituation sind Antibiotika indiziert. Hyperbare Sauerstofftherapie kann bei selektionierten Patienten mit Erfolg additiv eingesetzt werden.
Hyperbare Sauerstofftherapie (hyperbare Oxygenation; HBO) ist eine pharmakologische Therapie. Bei 100 % Sauerstoffatmung unter erhöhtem Umgebungsdruck in einer Therapiedruckkammer löst sich entsprechend dem Gesetz von Henry der eingeatmete Sauerstoff physikalisch im Plasma – weit über das physiologische Niveau hinaus. Gegenüber den rund 100 mmHg paO2 unter Raumluftatmung und maximal 600 mmHg bei Atmung von 100 % Sauerstoff unter normobaren Bedingungen erhöht sich der gelöste Sauerstoffanteil bei 2 absoluten Atmosphären auf rund 1.300 mmHg und bei 3 absoluten Atmosphären auf rund 2.000 mmHg. Unter diesen Bedingungen werden über komplexe molekulare Mechanismen inflammatorische Geschehen gestoppt und Regenerationsprozesse eingeleitet. Die Gewebssauerstoffspiegel bleiben mehrere Stunden nach Ende einer Therapiesitzung erhöht.4 Darüber hinaus hat die HBO einen unspezifischen antibakteriellen Effekt und inhibiert die Toxinbildung vor allem von anaeroben Bakterien.5 Bei diabetischen Fußulzera der Wagner-Grade 3 bzw. 4 wurden während der 1-monatigen Therapieserie ein Anstieg des VEGF („vascular endothelial growth factors“), Adiponectin und Interleukin-6 sowie ein Abfall von Interferon-γ als Ausdruck immunmodulatorischer Phänomene beobachtet.6
HBO wird bereits seit vielen Jahren in der Behandlung diabetischer Fußulzera eingesetzt. Dabei werden Drucke zwischen 2 und 2,4 Atmosphären verwendet. Die täglichen Therapiesitzungen dauern je nach Therapieprogramm zwischen rund 90 und 120 min.3, 7 Die Indikationen umfassen die Grade 1–3 nach Wagner.8–10 Bei entsprechend sorgfältiger Indikationsstellung sind in Einzelfällen auch bei Grad 4 Erfolge zu verzeichnen.3 Abgesehen vom „Grading“ nach Wagner ist bei der Patientenselektion die Perfusion zu berücksichtigen. Perfusionsrelevante Makroangiopathie auf dem Niveau der iliakalen bzw. femoralen Arterien muss vor einer allfälligen HBO rekanalisiert werden, während Stenosen auf Unterschenkelniveau keine Relevanz haben.9, 11, 12
Im Vergleich zu Kontrollgruppen in randomisierten Studien verkleinerten sich die mit HBO behandelten Ulzera im Schnitt rascher, und deren Tiefe nahm stärker ab. Die Unterschiede waren statistisch signifikant.10, 13, 14 Die Heilungsrate der diabetischen Fußulzera korrelierte dabei mit prätherapeutisch transkutan gemessener Sauerstoffspannung im Gewebe in der unmittelbaren Umgebung des Ulkus. Bei nichtischämischen Läsionen war eine Verdopplung der Heilungsgeschwindigkeit im Vergleich zur Gruppe ohne HBO zu beobachten.8 Bei Werten unter 25 mmHg war die Ansprechrate gering.15, 16 Auch das gleichzeitige bzw. anamnestische Vorliegen von koronarer Herzkrankheit, Insult oder Retinopathie war mit geringerem Therapieerfolg der HBO verbunden.12 Demgegenüber hatten weder der Ankle-Brachial-Index noch der an den Zehen gemessene Blutdruck einen Einfluss.15 In einem großen, systematischen Review17 wurden 14 Studien, davon 12 randomisiert und 2 „case-controlled“, mit insgesamt 768 Patienten retrospektiv analysiert. HBO bewirkte eine höhere Rate an vollständiger Abheilung von Ulzera und eine Reduktion der Notwendigkeit von Major-Amputationen. Kaplan et al. definierten die Dauer der Diabeteserkrankung, das Wagner-Grading und unbeherrschbare Wundinfektion als Risikofaktoren für Amputationen trotz HBO-Therapie.18
Auch im Langzeit-Follow-up überzeugte die HBO in einer prospektiven Studie. Sowohl die HBO- als auch die Kontrollgruppe hatten einen basalen, transkutanen paO2 unter 40 mmHg, der unter normobarer Sauerstoffatmung auf zumindest 100 mmHg anstieg. Die HBO-Gruppe erhielt 40–60 Therapiesitzungen bei 2,5 Atmosphären. Nach 3 Jahren lag bei 76 % der mit HBO therapierten Patienten intakte Haut vor, während dies nur bei 48 % der konventionell therapierten Vergleichsgruppe der Fall war. Nur 12 % der mit HBO therapierten Patienten benötigten Amputationen, während dies bei 33 % der konventionellen Gruppe der Fall war.14 Darüber hinaus zeigte eine randomisierte Studie basierend auf dem SF-36-Fragebogen signifikant bessere gesundheitsbezogene Quality-of-Life-Daten bei mit HBO therapierten Patienten mit chronischem diabetischem Fußulkus.19 Trotz ihres neuroregenerativen Potenzials hat die HBO keinen Einfluss auf die diabetische Neuropathie.20 In einer rezenten Publikation wurden hingegen positive Effekte der HBO auf diabetische Nephropathie im Rahmen der Therapie des Fußsyndroms nachgewiesen.21
Von Seiten der Patienten wird die Therapie sowohl gut toleriert als auch gut angenommen. Die Compliance ist trotz der Notwendigkeit täglicher Therapiesitzungen für 4 bis 6 Wochen bei fast allen Patienten sehr hoch. Sie basiert nicht zuletzt auf den von den Patienten subjektiv wahrgenommenen positiven Effekten auf die Heilung des Ulkus.22 Nebenwirkungen sind selten und betreffen in erster Linie die Auswirkungen des Druckwechsels auf die pneumatisierten Höhlen (Mittelohr, Nasennebenhöhlen). Die Möglichkeit des Druckausgleichs muss seitens der Patienten gegeben sein. Der hyperbare Sauerstoff per se führt bei den für diabetische Fußulzera angewandten Drucken extrem selten zu Nebenwirkungen, die sich als rasch reversible Krampfanfälle manifestieren. Yildiz et al. fanden bei 2,4 ATA eine Inzidenz von 2.4 pro 100.000, Plafki et al. beobachteten 4 Fälle von 11.376 mit dem gleichen Therapieprotokoll, ähnlich wie Hampson et al., die 6 zentralnervöse Nebenwirkungen bei 20.328 Therapiesitzungen beschrieben.23 Unsere eigenen Beobachtungen mit 3 pro 32.426 Einzelkompressionen ergeben eine noch geringere Inzidenzrate.Ein Nebeneffekt der HBO bei Diabetes mellitus ist die Erhöhung der Sensitivität auf Insulin.24, 25 Die Patienten müssen darauf hingewiesen werden, ihren Blutzucker häufig zu kontrollieren, da die gewohnte Insulindosis während der hyperbaren Oxygenierungsserie zu Hypoglykämie führen kann.
In der Großdruckkammeranlage der Klinischen Abteilung für Thorax- und Hyperbare Chirurgie am LKH-Universitätsklinikum Graz, einer der größten derartigen Einrichtungen in Europa, können bis zu 20 Patienten gleichzeitig behandelt werden. Pro Jahr erfolgen rund 1.300 Kompressionen, entsprechend rund 5.000 Einzeltherapiesitzungen, für von internationalen Fachgesellschaften anerkannte Indikationen. Die Patientenselektion für die HBO beim diabetischen Ulkus erfolgt interdisziplinär und nach strengen Kriterien. Innerhalb der letzten 20 Jahre wurden jährlich rund 15 Patienten mit chronischem therapierefraktärem diabetischem Ulkus der Wagner-Grade 1–4 behandelt. Die durchschnittliche Zahl an Therapiesitzungen war 29. Major-Amputationen wurden bei 92 % der Patienten vermieden, bei 81 % erfolgte eine dauerhafte Abheilung des Ulkus.
Bei korrekter Patientenselektion (Ausschluss bzw. vorherige Rekanalisation perfusionsrelevanter Stenosen auf iliakalem bzw. femoralem Niveau) kann die hyperbare Sauerstofftherapie als additive Maßnahme zur konventionellen Ulkusbehandlung zur Abheilung chronischer diabetischer Fußulzera der Wagner-Grade 1–3 (in Einzelfällen Grad 4) führen und große Amputationen verhindern. Unter der Voraussetzung guter Diabeteseinstellung und orthopädischer Versorgung der betroffenen Extremität ist das Ergebnis dauerhaft. Die nebenwirkungsarme Therapie wird in täglichen Sitzungen von 90–120 Minuten auf 2,4 bis 2,5 absoluten Atmosphären über die Dauer von 5 bis 6 Wochen hindurch appliziert.