Die neuen ESC/ESH-Guidelines zum Management der arteriellen Hypertonie1 forcieren insgesamt strengere Zielwerte bei der Blutdruckeinstellung. Bei alten Menschen ist die arterielle Hypertonie besonders häufig; auch sie profitieren von einer guten Blutdruckeinstellung. Alte Patienten sind aber auch besonders anfällig für Nebenwirkungen der antihypertensiven Therapie; das macht das optimale Management der arteriellen Hypertonie im Alter zur Herausforderung.
Der Zusammenhang zwischen erhöhtem Blutdruck und kardiovaskulären Ereignissen ist unbestritten.2, 3 Es liegen zahlreiche Studien vor, in denen eine effektive Blutdrucksenkung kardiovaskuläre Morbidität sowie Mortalität reduzierte.4, 5 Dennoch erreichen nur sehr wenige Patienten ihren Zielblutdruck. Insgesamt werden nur 40 % aller hypertensiven Patienten behandelt, und nur 35 % der Behandelten erreichen einen Blutdruck von < 140/90 mmHg.6 Die arterielle Hypertonie bleibt eine der häufigsten vermeidbaren Ursachen für kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall und ist für etwa 10 Millionen Tode und 200 Millionen Disability-adjusted Life Years (DALYS) pro Jahr verantwortlich.2
Ältere Patienten stellen bei der Behandlung der Hypertonie eine besondere Herausforderung dar: Einerseits ist die arterielle Hypertonie eine typische Erkrankung des Alters6 (etwa 60 % der über 60-Jährigen und 75 % der über 75-Jährigen sind betroffen), andererseits leiden ältere Patienten oft an zahlreichen Komorbiditäten und reagieren gehäuft mit Nebenwirkungen auf blutdrucksenkende Maßnahmen. Wichtig ist es, zu berücksichtigen, dass die Gruppe der über 65-Jährigen eine sehr heterogene Patientenpopulation darstellt; ältere Menschen brauchen individuell unterschiedliche Therapieregime. Die aktuellen ESC/ESH-Guidelines zum Management der arteriellen Hypertonie aus dem Jahr 2018 enthalten einige Neuerungen für diese Patientengruppe und geben konkrete Empfehlungen für die klinische Praxis.
Generelle Neuerungen: Die Klassifikation der Hypertonie gilt unverändert für alle Patienten unabhängig vom Alter und wird unterteilt in optimalen, normalen, hochnormalen Blutdruck sowie in Hypertonie Grad I bis III. Neu wird betont, dass die Diagnosestellung durch zumindest mehrere Messungen in der Ordination oder ambulante Blutdruckmessungen (Selbstmessungen oder Langzeitblutdruckmessung) gestellt werden soll. Es wird die Bedeutung von korrektem Messen des Blutdrucks betont (u. a. Messung in Ruhe, nach mind. 5 Minuten Sitzen, zumindest 3 Messungen, es soll der Mittelwert der letzten 2 Messungen gewertet werden).
Bezüglich der Blutdruckzielwerte und des Zeitpunktes des Therapiebeginns forcieren die neuen Guidelines insgesamt ein etwas strengeres Regime als bisher. Schon bei hochnormalem Blutdruck (120–129/85–89 mmHg) kann eine medikamentöse Therapie erwogen werden, wenn ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko aufgrund einer etablierten atherosklerotischen Erkrankung vorliegt und eine Änderung des Lebensstils keinen Erfolgt gebracht hat.7 Für Patienten mit Hypertonie Grad I besteht eine klare Therapieempfehlung, selbst dann, wenn nur ein niedriges kardiovaskuläres Risiko besteht und keine Hinweise auf Endorganschäden vorliegen.8, 9 Weiter gilt für alle initial ein Zielblutdruck von < 140/90 mmHg, in der Folge sollte bei guter Verträglichkeit jedoch bei den meisten Patienten eine weitere Senkung auf < 130/80 mmHg angestrebt werden. Für die meisten Patienten < 65 Jahre wird ein systolischer Zielblutdruck von 120–129 mmHg empfohlen. Für alle Patienten soll gemäß den aktuellen ESC-Leitlinien ein diastolisches Blutdruckziel < 80 mmHg erwogen werden.10, 11
Im Allgemeinen wird ein Therapiebeginn mit einer Kombination zweier antihypertensiver Wirkstoffe empfohlen, vorzugsweise in einem Kombinationspräparat.12 Ausnahmen von dieser Empfehlung sind Patienten mit niedrigem Risiko und Grad-I-Hypertonie sowie gebrechliche, ältere Menschen. Bei therapieresistenter Hypertonie unter einer Dreifachtherapie mit ACE-Hemmer/AT1-Antagonisten + Kalziumkanalblocker + Diuretikum wird die zusätzliche Gabe von niedrig dosiertem Spironolacton empfohlen.
Spezifische Neuerungen für ältere Menschen: Die Interpretation der verfügbaren Evidenz und damit die Ableitung von Behandlungsempfehlungen ist dadurch erschwert, dass die verschiedenen Studien unterschiedliche Altersgrenzen für die Einstufung als älterer Mensch herangezogen haben. Die ESC definiert für die aktuellen Guidelines über 65-Jährige als ältere Menschen und über 80-Jährige als sehr alte Menschen. Im Gegensatz zu manchen früheren Annahmen ist eine effektive Blutdrucktherapie im Alter besonders wichtig, um Morbidität und Mortalität zu reduzieren.13, 14 Ältere Patienten haben jedoch oft zahlreiche Komorbiditäten mit entsprechend relevanten Begleitmedikationen und sind besonders empfindlich für Nebenwirkungen der Therapie wie z. B. lageabhängige Hypotonie, Schwindel und Reduktion der Nierenfunktion. Daher sind kurzfristige Kontrollen zur Prüfung der Verträglichkeit essenziell.
Wie immer in der Betreuung älterer Menschen ist zu beachten, dass der funktionelle Status des Patienten (selbstständig/hilfsbedürftig/pflegebedürftig) bei der Therapieentscheidung eine wichtigere Rolle spielt als das chronologische Alter per se. Rezente Studien konnten nämlich auch für sehr alte, selbstständige Menschen einen Benefit durch Blutdrucksenkung nachweisen. Gebrechliche und pflegegebedürftige Patienten sind in diesen Untersuchungen jedoch kaum repräsentiert. Inwieweit die Ergebnisse für diese Gruppe in Anbetracht ihrer Komorbiditäten und reduzierten Lebenserwartung gelten, bleibt offen.
Konkret empfiehlt die ESC, dass alle älteren und sehr alten Patienten ab Hypertonie Grad II (systolischer Blutdruck > 160 mmHg) eine Therapie erhalten sollen.15, 16 Bei Hypertonie Grad I (systolischer Blutdruck 140–160 mmHg) besteht eine Therapieempfehlung für Ältere über 65, aber nicht für sehr alte Menschen über 80 Jahre.5, 9 Für beide Altersgruppen liegt der anzustrebende Zielbereich bei 130–139/70–80 mmHg, wobei bei über 80-Jährigen besonders auf die Verträglichkeit zu achten ist.17 Es wird betont, dass die Therapie nicht alleine aufgrund des Alters beendet werden sollte, wenn die Therapie gut vertragen wird.18
Im Hinblick auf Diagnose und Klassifikation gelten für ältere Patienten dieselben Empfehlungen wie für junge Patienten. Neben Anamnese und klinischer Untersuchung sollten zumindest eine Laboruntersuchung inkl. Nierenfunktion und Albumin-Kreatinin-Ratio im Harn sowie ein EKG durchgeführt werden. Eine Fundoskopie kann bei allen hypertensiven Patienten erwogen werden und wird mit einer Klasse-I-Empfehlung für Patienten mit Hypertonie Grad II–III sowie für hypertensive Patienten mit Diabetes empfohlen. Bei hypertensiven Patienten mit neurologischen Symptomen oder kognitivem Abbau sollte ein MRT oder CT des Gehirns erwogen werden. Ungünstige Lebensstilfaktoren sollen erhoben, andere kardiovaskuläre Risikofaktoren und Begleiterkrankungen identifiziert werden.
Kognitive Einschränkungen und Demenz gehören zu den größten Sorgen alternder Menschen; sie sind mit Hypertonie assoziiert. Ein erhöhter Blutdruck im mittleren Lebensalter zeigt ein höheres Risiko einer späteren Entwicklung von kognitiven Defiziten an.19 Anders als bei kardiovaskulären Erkrankungen wurde bis jetzt noch nicht zweifelsfrei bewiesen, dass eine Blutdrucksenkung die Entwicklung dieser Erkrankungen verhindern oder verzögern kann. Obwohl ein Trend in diese Richtung erkennbar ist, sind weitere Untersuchungen dazu notwendig.
Lebensstilmodifikation: Ältere Patienten sollten trotz möglicher Limitationen (z. B. eingeschränkte Bewegungsmöglichkeit bei orthopädischen Leiden, Visusminderung, Gebrechlichkeit) zu Lebensstilverbesserungen motiviert werden.
An erster Stelle des Blutdruckmanagements stehen auch für sie Empfehlungen zum Lebensstil. Dazu gehören eine Restriktion der Salzzufuhr (< 5 g/d) sowie Alkoholrestriktion, Nikotinstopp, regelmäßige Bewegung (5-mal pro Woche moderate Aktivität à 30 Minuten), Normalisierung des Körpergewichts (BMI 20–25 kg/m2) sowie eine ausgewogene Ernährung reich an Gemüse, Obst, ungesättigten Fettsäuren und Fisch. Vorsicht ist aber bei Empfehlungen zur Gewichtsabnahme geboten, da sehr alte oder gebrechliche Patienten oft ohnehin zu Gewichtsabnahme und Sarkopenie neigen.
Die Blutdruckwerte, ab denen eine medikamentöse Therapie empfohlen wird, sind oben ausgeführt – auch bei sehr alten Menschen bei systolischem Blutdruck > 160 mmHg; bei Menschen > 65 Jahren bei Hypertonie Grad I, also bei systolischem Blutdruck von 140–160 mmHg.
Die Zielwerte liegen für ältere und sehr alte Menschen mit 130–139/70–80 mmHg etwas höher als bei jüngeren Patienten (120–129/< 80 mmHg), wobei bei über 80-Jährigen die Verträglichkeit besonders zu prüfen ist.
Die medikamentöse Therapie fußt primär auf den Medikamentengruppen ACE-Hemmer/Angiotensinrezeptorblocker, Kalziumkanalblockerblocker und Diuretika (Thiazid und thiazidähnliche Substanzen).20 First-Line-Therapie ist für die meisten Patienten unter 80 Jahren ein duales Kombinationspräparat (ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker plus Kalziumkanalblocker oder plus Diuretikum). Reicht dies nicht aus, soll eine Triple-Kombination aus ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker plus Kalziumkanalblocker und Diuretikum begonnen werden. Bei Therapieresistenz können im nächsten Schritt Spironolacton, ein Betablocker, ein Alphablocker oder andere Diuretika eingesetzt werden. Betablocker und Schleifendiuretika können früher in das Therapieregime aufgenommen werden, falls entsprechende Komorbiditäten vorliegen (z. B. Herzinsuffizienz mit eingeschränkter systolischer Linksventrikelfunktion, tachykardes Vorhofflimmern, koronare Herzerkrankung). Invasive Maßnahmen wie eine renale Denervierung oder Barorezeptorstimulation werden generell nicht empfohlen.
Jedenfalls ist, solange möglich, die Gabe eines Kombinationspräparates in einer Tablette anzustreben, um die Adhärenz zu optimieren. Gerade bei älteren Patienten sollte mit der niedrigsten Dosis begonnen und vorsichtig auftitriert werden. Bei über 80-jährigen oder gebrechlichen Patienten wird primär eine Monotherapie empfohlen. Engmaschige Kontrollen mit Fokus auf mögliche Nebenwirkungen sowie Kontrollen der Nierenfunktion sind obligat. Falls nicht unbedingt notwendig, sollten Alphablocker und Schleifen-Diuretika vermieden werden.21
Zusätzlich Statintherapie erwägen: Wichtig ist es, in der Therapie der Hypertonie zu bedenken, dass auch die beste Blutdrucktherapie allein das kardiovaskuläre Risiko noch nicht optimal reduziert. Die allermeisten hypertensiven Patienten profitieren zusätzlich von einer Statintherapie22; dies gilt aufgrund ihres höheren absoluten Risikos ganz besonders für ältere Menschen, solange in Anbetracht des Gesamtzustandes und der Lebenserwartung die Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse ein therapeutisches Ziel darstellt.
Arterielle Hypertonie ist bei geriatrischen Patienten häufig, und auch bei alten Menschen ist die Therapie eines erhöhten Blutdrucks wichtig. Die neuen Empfehlungen der ESC geben basierend auf der aktuellen Evidenzlage Empfehlungen zur antihypertensiven Therapie, im Besonderen auch für ältere und sehr alte Menschen. Die Blutdruckwerte, ab denen medikamentös behandelt werden soll, sind ebenso wie die Zielwerte für geriatrische Patienten etwas höher als für jüngere Patienten, aber insgesamt strenger als in früheren Empfehlungen.