Individualisierte Anti-Plättchen-Therapie
 – Das Ansprechen auf die Plättchenhemmung messen


Die Plättchenaktivierung insbesondere bei Patienten mit Atherosklerose ist die unmittelbare Ursache eines akuten Koronarsyndroms. Aus diesem Grund haben die Plättcheninhibitoren einen zentralen Stellenwert in der sekundären Prävention der koronaren Herzkrankheit sowie im Management des akuten Koronarsyndroms. 


Meilenstein mit Limitationen

Die Einführung von Clopidogrel war ein Meilenstein in der Therapie atherothrombotischer Gefäßverschlüsse. Anderseits wurden aufgrund der Unzulänglichkeiten in der Pharmakokinetik von Clopidogrel alternative Substanzen mit gleichem Wirkprinzip entwickelt (Prasugrel und Ticagrelor).


Ein Problem mit Clopidogrel besteht im verzögerten Einsetzen der Plättchenhemmung mit einem Maximum erst nach 4–6 Stunden. Grund ist eine langsame Bildung des aktiven Metaboliten aus der inaktiven Prodrug Clopidogrel. Dies beruht auf dem komplexen Metabolismus der Bioaktivierung in der Leber, die zwei sequenzielle Oxidationen über Cytochrom erfordert. Als Ergebnis werden lediglich ca. 10 % der Prodrug Clopidogrel in den aktiven Metaboliten umgewandelt. Eine Konsequenz davon ist eine hohe interindividuelle Variabilität der plättchenhemmenden Wirkung: im Durchschnitt spricht jeder 4. Patient vermindert oder gar nicht auf Clopidogrel an, was mit ischämischen Ereignissen korreliert. Zu den weiteren Gründen für die Variabilität des Ansprechens auf Clopidogrel gehören Medikamenteninteraktionen, Polymorphismen des CYP2C19-Isoenzyms sowie klinische Faktoren wie akutes Koronarsyndrom, Adipositas, Diabetes und Niereninsuffizienz. Zweifellos, eine wachsende Zahl von Studien stellt die „One size fits all“-Strategie der Behandlung mit Clopidogrel in Frage.


Die Mehrzahl der veröffentlichten Daten zeigt, dass der Ausmaß der Plättchenhemmung mit Clopidrogel überwacht und individuell optimiert werden kann. Das automatische Verschreiben von neuen, sehr potenten Thrombozytenfunktionshemmern birgt das Risiko von Blutungen und ist mit hohen Medikamentenkosten verbunden.

Das Therapieansprechen messen

Sinnvoller erscheint es, das Ansprechen generell kurz nach Therapiebeginn mit Clopidogrel zu testen und basierend auf den Ergebnissen individualisiert mit einem neuen Präparat zu behandeln. Das Ansprechen auf Clopidogrel kann man mit verschiedenen Verfahren messen, z. B. mittels Vollblut Aggregometrie (Multi­plate®). Ein optimaler Tests soll benutzerfreundlich sein, vergleichbare Referenzbereiche zur Prognoseeinschätzung aufweisen sowie rasch das Ergebnis liefern, da ischämischen Ereignisse wie z. B. Stentthrombosen sehr bald nach der Stentimplantation auftreten können.

Die Wirkung steigern

Die Verstärkung der Plättchenblockade bei Patienten, die eine nicht ausreichende Plättchenhemmung mit Clopidogrel aufweisen, kann durch folgende Maßnahmen erfolgen:

  • wiederholte Gaben der Auffsättigungsdosis von Clopidogrel (bis zu 4 x 600 mg) oder/und
  • höhere Erhaltungsdosen von Clopidogrel (150 mg am Tag),
  • zusätzliche Gabe von GPIIb/IIIa-Antagonisten oder
  • Umstellung auf die potenteren P2Y12-Antagonisten Prasugrel oder Ticagrelor.

Ticagrelor soll bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom angewendet werden, die sich einer perkutanen Koronarintervention unterziehen oder konservativ behandelt werden.
Eine Kontraindikation besteht bei Patienten nach einem hämorrhagischen Schlaganfall oder bei schwerer Leberfunktionsstörung. Ein Nachteil von Ticagrelor könnte in einer schlechteren Verträglichkeit bestehen. In der PLATO-Studie war die Häufigkeit an Atemnot und Bradyarrhythmien erhöht und es kam häufiger zu einem Anstieg von Harnsäure und Kreatinin.
Prasugrel soll bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom angewendet werden, die sich einer perkutanen Koronarintervention unterziehen. Eine Kontraindikation besteht bei Patienten nach einem Schlaganfall oder nach einer transitorischen ischämischen Attacke oder bei schwerer Leberfunktionsstörung. Ferner wird die Dosis auf 5 mg/Tag bei Patienten im Alter über 75 Jahre oder bei untergewichtigen Patienten (< 60 kg) reduziert.

Bessere Prognose durch Individualisierung

Eine individuell abgestimmte Blutplättchen-hemmende Behandlung nach einer Stent-Implantation verbesserte die klinische Prognose der MADONNA-Studie zufolge, die am ESC Kongress in München vorgestellt wurde.

In der MADONNA-Studie (Multiple electrode Aggregometry in patients receiving Dual antiplatelet therapy tO guide treatmeNt with Novel platelet Antagonists) wurden 798 Patienten untersucht und je nach ihrem Ansprechen auf die Behandlung zwei Gruppen zugeordnet: individualisierte Therapie oder nicht-individualisierte Therapie. In der Gruppe der nicht-individualisierten Therapie wurde die bisherige Behandlung nicht verändert, in der Gruppe der individualisierten Therapie erhielten die Nicht-Ansprecher bis zu vier Aufsättigungsdosen von Clopidogrel oder Prasugrel.

Dies reduzierte das Risiko von Stentthrombosen um das 7,9-Fache. In der Gruppe der individualisierten Therapie erlitten nur 0,2 % der Patienten eine Stentthrombose, in der Gruppe der nicht-individualisierten Therapie 1,9 %. Darüber hinaus konnte das Risiko eines akuten Koronarsyndroms mit individualisierter Anti-Plättchen-Therapie gesenkt werden: 0 % gegenüber 2,5 %. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine Metaanalyse von 10 randomisierten Studien (4.213 Patienten): die intensivierte Anti-Plättchen-Therapie war mit einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären Mortalität assoziiert, ohne dass das Blutungsrisiko erhöht war. Die Meta-Regressionsanalyse bestätigte, dass das Nettonutzen dieses Ansatzes besonders bei Hochrisikopatienten ausgeprägt ist.

Somit unterstreichen die Studien die Bedeutung der Thrombozyten-Aggregationsmessung bei Patienten mit Stent-Implantation unter Clopidogrel-Therapie und deuten darauf hin, dass die Überwachung der Wirksamkeit von Plättchenhemmern mit anschließender Therapieoptimierung in der gleichen Weise eingesetzt werden konnte wie die Kontrolle der Wirkung von Antihypertensiva, Statinen und Antidiabetika.

Guidelines

Basierend auf den publizierten Daten haben sich die Empfehlungen verändert: Während die früheren Guidelines die Testung und individualisierte Antiplättchentherapie noch nicht befürworteten, wird sie in spezialisierten Zentren für Hochrisikopatienten, die Clopidogrel erhalten, empfohlen.