Experten sind sich darüber einig, dass die Gefahr einer neuerlichen Grippe-Pandemie nach wie vor nicht gebannt ist. Außerdem steht die nächste alljährliche Grippesaison vor der Türe, und die Impfstoffe für die Saison 2011/2012 werden bereits produziert. In Österreich herrscht eine gewisse Müdigkeit gegenüber der Grippeimpfung, obwohl bekannt ist, dass Influenza gerade bei Patienten mit Vorerkrankungen, bei Säuglingen und Kleinkindern sowie im Alter, außerdem bei Schwangeren eine besonders hohe Rate an ernsthaften Komplikationen haben kann. Nicht unerwähnt sollte auch sein, dass die Influenza die häufigste Erkrankung ist, die im Rahmen von Reisen akquiriert wird.
Zirkulieren Influenzaviren bereits, so sind Impfstoffe und das Einhalten entsprechender Hygieneregeln die wichtigsten und effektivsten Maßnahmen, um die Verbreitung der Virusinfektion zu reduzieren. Bei der Impfstoffherstellung ist es wichtig, dass dieser möglichst frühzeitig zur Verfügung steht und schnell wirkt; gleichzeitig ist die Herstellung des Impfantigens der zeitlich limitierende Faktor in der Impfstoffproduktion. Darum wird in zahlreichen pharmazeutischen Unternehmen daran gearbeitet, neue Influenzaimpfstoffe und Technologien zu deren Applikation zu entwickeln, um eine noch effektivere Immunantwort auf möglichst geringe Dosen an Antigen zu induzieren.
Influenzaviren zur Antigenproduktion können auf verschiedenen Zelllinien gezüchtet werden, beispielsweise auf Hühnereiern oder Zellkulturen (z.B. Verozellen oder MDCK-Zellen). Um die Immunantwort auf inaktivierte Antigene zu verstärken, werden den Impfstoffen Adjuvantien beigemengt, von denen es mittlerweile eine breite Palette gibt; neben Aluminiumsalzen kommen Squalene wie MF59 und AS03 oder Virosomen zum Einsatz. Die Herstellungsverfahren können meist sowohl für pandemische als auch für interpandemische Impfstoffe verwendet werden.
Mittlerweile wird jedoch auch an Alternativen zur klassischen parenteralen Impfung gearbeitet. Es wurden und werden Präparate entwickelt, bei denen man kaum einen Stich spürt (intradermale Impfung) bzw. die auf alternativen Routen “nadelfrei” verabreicht werden können, wie zum Beispiel Nasensprays, Injektionssysteme (PharmaJet®) oder Impfpflaster.
Bei der intradermalen Impfung wird die Tatsache genutzt, dass sich in der Haut besonders viele dendritische Zellen befinden, welche die Antigenpräsentation übernehmen und für eine effektive Immunantwort essenziell sind. Nach Applikation in die Haut werden die Impfantigene direkt von dendritischen Zellen aufgenommen, prozessiert und in Assoziation mit MHC-II (Major Histocompatibility Complex II) an naive T-Zellen präsentiert. Dadurch kommt es zur Aktivierung der T-Zellen, zur klonalen Expansion und Differenzierung. Es entstehen letztendlich Effektorzellen, welche wiederum Makrophagen, B-Zellen und weitere Effektorzellen stimulieren. Gleichzeitig entstehen zytotoxische T-Zellen und T-Zellen mit “Memory”-Funktion.
Intradermale Impfstoffe haben den Vorteil, dass sie eine besonders gute Immunantwort induzieren können, rufen jedoch lokal geringfügig mehr Nebenwirkungen hervor als vergleichbare Impfstoffe zur intramuskulären Applikation. In Österreich ist der intradermale Impfstoff Intanza® der Firma SPMSD zugelassen. Hiervon gibt es zwei unterschiedliche Dosierungen für Personen zwischen 18 und 60 Jahren (9 μg) bzw. eine höhere Dosierung für Personen ab 60 Jahren (15 μg). Die Impfung wird in einem vorgefertigten Applikator geliefert und mit einer nur 1,5 mm langen Nadel injiziert. Der Stich verursacht kaum Schmerzen. Zusätzlich ist ein Vorteil bei Personen gegeben, die nicht intramuskulär geimpft werden sollen (wie z.B. oral antikoagulierte Patienten).
Intranasale Sprays sind eine weitere Applikationsform für Influenzaimpfstoffe: die Nasenschleimhaut hat stetig Kontakt zur Außenwelt, weshalb hier effektive Toleranzmechanismen vorhanden sein müssen, um überschießende Immunreaktionen zu vermeiden.
Darum sind z.B. Influenzaantigene nur in Kombination mit Adjuvantien ausreichend immunogen, um eine effektive Immunantwort auszulösen. Eine Schweizer Firma bot einen Impfstoff zur intranasalen Applikation mit inaktivierten Influenzaviren und dem mukosalen Adjuvans LT, dem hitzelabilen Toxin von E. coli an, welcher jedoch wegen einer erhöhten Rate an Facialisparesen wieder vom Markt genommen werden musste.
Influenza-Lebendimpfstoffe jedoch sind auch ohne Adjuvans ausreichend immunogen, um eine Immunantwort auszulösen, was in Form von FluMist® (Medimmune; seit 2003 in den USA am Markt) bzw. Fluenz® (AstraZeneca) realisiert wurde: das Präparat enthält kälteadaptierte, lebende Influenzaviren und wird intranasal verabreicht, was zu einer besonders effektiven Immunantwort nicht nur in Form von IgG, sondern auch zur Bildung sekretorischer IgAs führt, welche schon lokal an der Nasenschleimhaut, der Eingangspforte der Infektion, wirksam sind. Es hat sich bei diesem Impfstoff gezeigt, dass er bei Kindern und Jugendlichen effektiver ist als herkömmliche Influenzaimpfstoffe zur parenteralen Applikation, weshalb die Zulassung in Österreich für gesunde Personen zwischen 2 und 18 Jahren gegeben sein wird. Der intranasale Lebendimpfstoff wird voraussichtlich in der Saison 2012/2013 erstmals in Österreich erhältlich sein.
Obwohl nach Impfung mit FluMist® die mittels Hämagglutinations-Hemmtest messbaren Antikörperspiegel deutlich niedriger sind als nach Impfung mit herkömmlichen parenteralen Influenzavakzinen, konnte eine hohe Effektivität der Impfung beobachtet werden. Dies wird auf die Bildung von zytotoxischen T-Zellen und sIgA zurückgeführt, welche nach parenteraler Impfung kaum produziert werden. Der Impfstoff wird auf Hühnereiern produziert, muss im Kühlschrank gelagert werden und ist, wie alle Lebendimpfstoffe, temperaturempfindlich. Er wird in einem Applikator mit Sprühkopf geliefert und wird in beide Nasenlöcher bei normaler Atmung verabreicht. Bei diesem Impfstoff ist es wie bei allen Lebendimpfstoffen wichtig, dass er stark immunsupprimierten Personen nicht verabreicht werden darf; in Einzelfällen wurden Ansteckungen von Immungeschwächten beobachtet.
Applikationssystem PharmaJet®: Höchst innovativ und vielversprechend sind auch die neuen Entwicklungen im Bereich der Impfstoff-Applikationssysteme. Eines davon wurde 2011 von der FDA zugelassen: der Pharma-Jet®. Er beschleunigt mit einer mechanischen Feder Flüssigkeiten so stark, dass sie innerhalb weniger als einer Sekunde in bzw. durch die Haut befördert werden. Mit diesem Applikationsgerät können nicht nur Impfstoffe, sondern auch andere Medikamente verabreicht werden, und zwar sowohl intradermal als auch subkutan und intramuskulär. Die Verwendung von “Einmalampullen” minimiert dabei im Vergleich zu früheren “Impfpistolen” das Risiko von Infektionen durch Kontamination. PharmaJet® wurde bereits mit mehreren zugelassenen Impfstoffen, auch mit Influenzaimpfstoffen, getestet. Werden mit dem Gerät Influenzavakzinen intradermal verabreicht, so benötigt man nur ein Fünftel der Impfstoffmenge, die normalerweise intramusklär verabreicht wird, um vergleichbare Antikörperspiegel zu induzieren.
Sämtliche weitere Alternativen zur intramuskulären Applikation von Influenzavakzinen sind vorerst in klinischer Erprobung. Beispielsweise werden transdermale Impfstoffe getestet
Pflaster mit Mikronadeln: Ein sehr progressiver Ansatz ist ein neuartiges Impfpflaster mit jeweils 100 selbstauflösenden Mikronadeln aus Polyvinylpyrrolidon mit 650 μm Länge, welche mit inaktiviertem Influenzavirus bestückt sind. Die Pflaster werden mit dem Daumen an die Haut angedrückt, worauf hin die Mikronadeln 200 μm in die Haut eindringen und sich innerhalb von 5 Minuten auflösen sollen. Die Immunantwort auf das Impfpflaster soll in Tierversuchen deutlich effektiver sein als jene auf intramuskulär verabreichte Impfstoffe.
Pulver – zur Inhalation und transdermal: Es wurden zur Immunisierung gegen Influenzaviren auch Pulver kreiert und auf mehreren unterschiedlichen Routen appliziert und getestet: Eine gefriergetrocknete Subunit-Influenzavakzine gemeinsam mit einem starken Adjuvans, welche zur Inhalation vorgesehen ist, zeigte in Tierversuchen vielversprechende Ergebnisse. Es wurden jedoch noch keine Testungen an Menschen durchgeführt. Pulver können auch mit speziell entwickelten Applikatorsystemen verabreicht werden, welche die Puderpartikel mit hoher Geschwindigkeit durch die Haut “schleudern”. Mit diesem System gab es bereits erste erfolgreiche Testungen am Menschen.
Zu den mit “Virus-like Particles” beschichteten Mikronadeln gibt es Versuche, welche in Tierversuchen eine stärkere Immunantwort auslösten als herkömmliche, parenteral verabreichte Influenzavakzinen.
Orale Verabreichung: Zahlreiche unterschiedliche Ansätze zur Entwicklung von oralen Influenzavakzinen schafften es bis dato noch nicht in fortgeschrittene Phasen der Testung.
Nachsatz: Die intranasale Influenzaimpfung wird in Österreich mit Spannung erwartet. Man hofft, dass mit der nadelfreien Impfung die Durchimpfungsrate gegen Influenza bei Kindern erhöht werden kann. Dies hat insbesondere deswegen einen hohen Stellenwert, weil Kinder besonders stark zur Verbreitung der Influenzaviren beitragen.
Literatur:
– Amorij et al.; Lancet Infect Dis 2010; 10:699-711. Needle-free influenza vaccination
– Durando et al.: Adjuvants and alternative routes of administration towards the development of the ideal influenza vaccine, 2011; S7:29-40.
– www.pharmajet.com/