Inhalative Antibiotikatherapie bei Nicht-CF-Bronchiektasien

Dem rationalen Einsatz von Antibiotika kommt eine wichtige Rolle bei chronischen Atemwegserkrankungen mit häufigen bakteriellen Infektionen zu. Die inhalative Antibiotikatherapie stellt eine etablierte Applikationsvariante im Management pulmonaler Infektionen bei Patienten mit zystischer Fib – rose (CF) dar. Im Verlauf der CF-Erkrankung kommt es in den Atemwegen aufgrund der Störung im Ionentransport zur Sekretion von zähem Schleim (daher auch Mukoviszidose, lat. mucus: Schleim, lat. viscidus: zäh) und schließlich zur Bildung von Bronchiektasien. Diese sind irreversible Erweiterungen der dis talen Bronchien und Bronchiolen, können angeboren oder erworben sein (> Abb. 1). In den letzten Jahren hat das Interesse an der Verabreichung inhalativer Antibiotika auch bei Nicht-CF-Bronchiektasien bzw. bei Erkrankungen mit chronisch-bakterieller Kolonisation wie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), aber auch in der Prophylaxe und Therapie der Ventilator-assoziierten Pneumonie bei intubierten Patienten, zugenommen. Dieser Beitrag handelt von der Applikation vernebelter Antibiotikalösungen mit Augenmerk auf Nicht-CF-Bronchiek – tasien.

Gefahrenpotenzial von Bronchiektasien

Der Entstehung erworbener Bronchiektasien liegt ein Stau von Bronchialsekret zugrunde. Nach Infektion kommt es zu einer entzündlichen Schädigung der Bronchialwand und konsekutiven Erweiterung der Bronchialbaum – äs te. Die häufigste Ursache für Bronchiek – tasien in der westlichen Welt ist die CF, der häufigste Grund nicht-CF-assoziierter Bronchiektasien (Nicht-CF-Bronchiektasien) sind chronische bakterielle Infektionen.1

Kolonisation und Infektion: Die Atemwege von Patienten mit Bronchiektasien sind mit potenziell pathogenen Keimen kolonisiert und der Krankheitsverlauf durch eine chronische Infektion gekennzeichnet, die rezidivierend zu klinisch manifesten Exazerbationen führt (> Abb. 2). Klinisch äußern sich Bronchiektasien durch eine bronchitische Symptomatik mit vor allem morgendlicher Sputumexpektoration.
An dieser Stelle seien zwei wichtige Begriffsdefinitionen erwähnt, nämlich Kolonisation definiert als Persistenz und Vermehrung von Mikroorganismen ohne Gewebspenetration oder -schädigung, während die Infektion als Gewebepenetration und Vermehrung pathogener Mikroorganismen mit darauf folgendem Gewebeschaden und manifester Erkrankung definiert ist.
Ob eine chronisch-bakterielle Kolonisation eine Atemwegsentzündung bei klinisch stabilen Patienten verursacht, ist nach wie vor Gegenstand kontroversieller Diskussionen (siehe Quellenangaben: pro2–4; contra5–7). Dass die Atemwege von CF-Patienten, aber auch chronischen Bronchitikern nicht nur Mikroorganismen, sondern auch Entzündungsmediatoren wie neutrophile Granulozyten enthalten, impliziert einen grundlegend pathogenen Charakter der Mikroben bei diesen Erkrankungen. Dies beeinträchtigt nachhaltig die Lebensqualität der Patienten, führt zu krankheitsbedingten Ausfällen der Erwerbstätigkeit mit stationären Krankenhausaufenthalten, verbunden mit entsprechenden Kosten.

Therapiemanagement: Generelle Maßnahmen in der Behandlung von Patienten mit Bronchiektasien beinhalten die Atem- und Physiotherapie einschließlich sekretmobilisierender Maßnahmen, Therapie von Exazerbationen und bronchialer Obstruktion bzw. die Behandlung der Grunderkrankung, z. B. Immunglobulin- Substitution bei Immunglobulinmangel- Syndrom. Inhalativ verabreichte Antibiotika sind eine therapeutische Option in der Behandlung von Infektionen bei chronischen Atemwegserkrankungen. Die bisweilen am besten dokumentierte Anwendung inhalativer Antibiotika betrifft CF-Patienten mit Pseudomonas- aeruginosa-Infektionen. In dieser Indikation ist die Evidenzlage eine eindeutig vorteilhafte mit Reduktion der Exazerbationshäufigkeit, Verbesserung der Lungenfunktion und Lebensqualität. Grundsätzlich kann die Anwendung der Antibiotika bei CF in Exazerbationstherapie, chronisch suppressive und Eradikationstherapie unterteilt werden.

Pro und kontra Aerosol-Antibiotika

Die Prämisse zur Verwendung antimikrobieller Substanzen als Aerosol ist deren Erreichen des Infektionsortes und Bindung an die Zielstruktur der pathogenen Erreger und deren Abtötung. Die Anwendung vernebelter Antibiotika ist eine attraktive Option im Management von Atemwegsinfektionen mit dem Vorteil hoher lokaler Konzentrationen in den Atemwegen mit minimaler systemischer Resorption und daher kaum systemischen Nebenwirkungen. Allerdings sind bisher wenige antimikrobielle Substanzen speziell für die inhalative Anwendung entwickelt worden. In der Praxis werden daher zum Teil die für die intravenöse Verabreichung formulierten Lösungen zur Vernebelung verwendet. Die Antibiotikalösungen haben nicht immer optimale Eigenschaften für die Verwendung als Aerosol, im Speziellen was Osmolarität, Oberflächenspannung und pH-Wert betrifft. Unerwünschte Wirkungen beruhen großteils auf lokaler (Schleimhaut-)Irritation, wie Husten und bronchiale Obstruktion. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Größe, nämlich der Durchmesser der Aerosolpartikel, der durch den Vernebler erzeugt wird. Die ideale Größe dabei liegt zwischen 1 und 5 Mikrometer, da kleinere Partikel durch die Ausatmung großteils wieder eliminiert werden, größere Partikel sich im Oropharynx ablagern.
Dem Vorteil topischer Verabreichung vernebelter Antibiotika gegenüber stehen auch Nachteile. Dazu zählen der als unangenehm empfundene Geschmack mancher Antibiotikalösungen, Zeitaufwand der Inhalation, lokale Nebenwirkungen wie oben genannt, Hämoptysen, Thoraxschmerzen und nicht zuletzt der Kostenfaktor. Seltene beschriebene schwere Nebenwirkungen beinhalten die lebensbedrohliche Bronchoobstruktion8 und das akute Nierenversagen9. Als weiterer Nachteil kann unsachgemäßer Umgang in der Reinigung und Desinfektion des Inhaliergerätes zu bakterieller Kontamination führen.
Zu den am häufigsten als Aerosol verabreichten Antibiotika zählen Aminoglykoside (v. a. Gentamicin und Tobramycin) und das Polypeptid-Antibiotikum Colistin (> Tab.). Weitere verwendete Antibiotika sind Beta – laktame (Aztreonam, Carbenicillin, Ticarcillin, Ceftazidim) und Chinolone (Levofloxacin), aber auch Antimykotika wie Amphothericin B zur Prophylaxe und Therapie bei lungen- und knochenmarktransplantierten Patienten. Die Inhalation von vernebeltem Pentamidin als Prophylaxe gegen Pneumocystis-jirovecii- Pneumonien bei HIV-positiven und knochenmarktransplantierten Patienten ist hingegen weitgehend in den Hintergrund getreten. Neuerdings sind inhalative Antibiotika in Entwicklung und klinischer Erprobung, die in Form von Trockenpulverinhalatoren zur Verabreichung keines Verneblers mehr bedürfen und in naher Zukunft auf den Markt kommen werden.

 

Wichtige Voraussetzungen für eine inhalative Antibiotikatherapie sind der kulturelle Erregernachweis (aus Sputum oder bronchoalveolärer Lavage, für das Antibiogramm), Beherrschung der richtigen Inhalationstechnik sowie hygienisch einwandfreier Umgang in der Zubereitung der Inhalationslösung und Reinigung des Gerätes.

Einsatz bei Nicht-CF-Bronchiektasien

Bronchiektasien bei COPD: Mit zunehmendem Schweregrad der COPD, gemessen an der lungenfunktionellen Beeinträchtigung, nimmt die bakterielle Kolonisation durch potenziell pathogene Mikroorganismen als auch Infektexazerbationen, in ca. der Hälfte der Fälle durch Bakterien ausgelöst, zu. Dies ist auch die pathophysiologische Grundlage nach Art eines Circulus vitiosus für das Entstehen lungenstruktureller Umbauvorgänge, sodass die Prävalenz von Bronchiektasien in diesem Patientenkollektiv ebenfalls zunimmt und bei moderater (FEV1 _ 70 %) bis schwerer (FEV1 _ 50 %) COPD bis zu über 50 % beträgt. 10–12 Es gilt daher das Vorliegen von Bronchiektasien bei Patienten mit persistierendem produktiven Husten in Betracht zu ziehen und ein HR-CT des Thorax als Goldstandard in der Bronchiektasie-Diagnostik durchzuführen.13

Inhalative Antibiotikatherapie als Alternative zur systemischen Gabe: Bronchiektasien sind eine ideale Nische für mikrobielle Kolonisatoren, die als Auslöser bzw. Unterhalter der chronisch schwelenden Atemwegsentzündung mitverantwortlich gemacht werden, und stellen einen potenziellen Angriffspunkt für eine therapeutische Intervention dar. Die Behandlungskonzepte bei Nicht-CF-Bronchiektasien orientieren sich an den Erfahrungen bei CF. Aktuell ist die Datenlage zur Therapieempfehlung noch unzureichend, um evidenzbasierte Empfehlungen abzugeben.
Es ist aus der Literatur von chronischen respiratorischen Erkrankungen bekannt, dass Exazerbationen mit einem zunehmenden Funktionsverlust der Lunge, beeinträchtigter Lebensqualität und letztlich erhöhter Mortalität einhergehen. In zuletzt veröffentlichten Studien führten systemisch verabreichte Antibiotika (Azithromycin) über einen längeren Zeitraum zu einer Reduktion der Exazerbationshäufigkeit. Die längerfristige orale Antibiotikagabe war mit einem – wenn auch geringen – Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen vergesellschaftet und beinhaltet das Risiko einer Veränderung bzw. Zunahme im Resistenzverhalten gegenüber dem verwendeten Antibiotikum.14, 15
Als Alternative bzw. Ergänzung zur systemischen Antibiotikagabe gilt die Verabreichung inhalativer antimikrobieller Substanzen, ähnlich wie bei CF-Patienten nach dem so genannten On-off-Prinzip, d. h. mit therapeutischer Pause in der Verabreichung. Dies stellt eine mögliche Interventionsmöglichkeit dar, mit dem Ziel einer Minimierung der Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Verminderung der Exazerbationshäufigkeit und der damit einhergehenden negativen Folgen.

Datenlage zu inhalativ verwendeten Antibiotika: Patienten mit Nicht-CF-Bronchiektasien können durch verschiedene potenzielle Pathogene besiedelt sein. Dazu zählen in erster Linie Hämophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae und bei fortgeschrittener COPD gramnegative Problemkeime einschließlich Pseudomonas aeruginosa.
Die bisher bescheidene Datenlage über inhalative Antibiotikatherapien bei Nicht-CFBronchiektasien betreffen vorwiegend Patienten mit chronischer Pseudomonasaeruginosa- Infektion. Obwohl signifikante Verbesserungen der mikrobiologischen Parameter (Abnahme in der Bakterienzellzahl) erzielt wurden, war dies im Gegensatz zu CFPatienten nicht mit einer Verbesserung der Lungenfunktion oder Lebensqualität vergesellschaftet. Auch scheinen lokale Nebenwirkungen wie Dyspnoe und bronchiale Obstruktion häufiger bei (Erwachsenen mit) Nicht- CF-Bronchiektasien als bei CF-Patienten aufzutreten.
Die Patientenzahlen in den bisher publizierten Studien betrugen 15 bis maximal 74, die meisten Patienten hatten Pseudomonasaeruginosa- Infektionen. Die am häufigsten inhalativ verwendeten Antibiotika waren Tobramycin16– 19 und Colistin20, 21, eine Studie verwendete Tobramycin und Ceftazidim22, eine weitere rezente Studie Gentamicin23. Inte – ressant in diesen Studien war zudem die Beobachtung des relativ geringen Aufkommens bakterieller Resistenzen trotz länger er durchschnittlicher Anwendungsdauer, die längste davon betrug 41 Monate bei Colistin.20

Auch bei fibrosierenden interstitiellen Lungenerkrankungen? Neben der Anwendung der inhalativen Antibiotikatherapie bei CFund Nicht-CF-Bronchiektasien wäre auch denkbar, Patienten mit fibrosierenden interstitiellen Lungenerkrankungen und entsprechenden mikrobiologischen Befunden damit zu behandeln. Ähnlich wie bei der CF und COPD kommt es auch bei letzteren Krankheitsentitäten mit zunehmendem Fortschreiten der Erkrankung zu (Traktions-)Bronchiektasien. 24

ZUSAMMENFASSUNG: Bei der COPD (aber auch bei fibrosierenden interstitiellen Lungenerkrankungen) kann es mit zunehmendem Fortschreiten zu Bronchiektasien mit infektiologischen Komplikationen kommen. Als Aerosol topisch verabreichte Antibiotika könnten hierbei zukünftig eine therapeutische Option in der antimikrobiellen Behandlungsstrategie darstellen. Ähnlich wie bei CF-Patienten ist das Ziel der antimikrobiellen Therapie bei Nicht-CF-Bronchiektasien aktive Infektionen bzw. Exazerbationen zu behandeln, manifeste Infektionen in kolonisierten Patienten zu verhindern und kolonisierende Erreger zu eradizieren. Neben physiotherapeutischen und atemgymnastischen Maßnahmen muss auf eine korrekte Inhalationstechnik und Hygiene bei der inhalativen Antibiotikatherapie unbedingt geachtet werden.

 

 

1 Sethi et al., N Engl J Med 2008
2 Hill et al., Q J Med 1988
3 Lin et al., Am J Respir Crit Care Med 1997
4 Murray et al., Am J Respir Crit Care Med 2011
5 Tsang et al., Eur Respir J 1999
6 Brit Thoracic Soc, Guideline for non-CF bronchiectasis, Thorax 2010
7 Cochrane Review, Prolonged antibiotics for purulent bronchiectasis in children and adults, 2011
8 Melani and DiGreggio, Monaldi Arch Chest Dis 1998
9 Hoffmann et al., Pediatr Pulmonol 2002
10 O’Brian et al., Thorax 2000
11 Patel et al., Am J Respir Crit Care Med 2004
12 Martínez-García et al., Chest 2011
13 Naidich et al., J Comput Assist Tomogr 1982
14 Albert et al., N Engl J Med 2011
15 Pomares et al., Int J COPD 2011
16 Barker et al., Am J Respir Crit Care Med 2000
17 Couch et al., Chest 2001
18 Drobnic et al., Ann Pharmacother 2005
19 Scheinberg et al., Chest 2005
20 Steinfort & Steinfort, Intern Med J 2007
21 Dhar et al., Thorax 2010
22 Orriols et al., Respir Med 1999
23 Murray et al., Am J Respir Crit Care Med 2011
24 Edey et al., Eur Radiol 2011