Wenn wir diese Frage – ob die Niere zur Achillesferse werden kann – im rein anatomischen Sinn beantworten wollen, dann ist eine solche Organumwandlung extrem unwahrscheinlich. Im metaphorischen Sinne könnte aber ein solches Phänomen durchaus stattfinden, wenn es um die Sicherheit der Therapie mit den neuen Antikoagulantien zur Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern geht. Gesundheitsbehörde und Hersteller – firma von Dabigatran weisen darauf hin, dass die Nierenfunktion beachtet werden soll und bei eingeschränkter Nierenfunktion eine Dosisanpassung zu erfolgen hat.
Nicht nur Dabigatran, sondern auch die neuen Antikoagulantien Rivaroxaban und Apixaban werden renal eliminiert. Niereninsuffizienz mit einer Kreatininclearance < 30 ml/min war bei RE-LY, ROCKET-AF und ARISTOTLE – Studien, die diese Medikamente untersuchten – ein Ausschlusskriterium, und der Anteil von Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion war in allen 3 Studien gering.
Patienten mit Vorhofflimmern leiden häufig unter Niereninsuffizienz. So fand eine Studie in Schweden mit ambulanten oral antikoa – gulierten Patienten mit Vorhofflimmern, dass 8 % der Patienten eine Kreatininclearance < 30 ml/min hatten und 23 % < 45 ml/min. Die Kreatininclearance wurde mit höherem Alter weniger. Bei den _ 75-Jährigen lag die Häufigkeit einer Kreatininclearance < 30 ml/min bei 11 %.1 Im Krankheitsverlauf kann sich die Nierenfunktion rasch ändern, wie zum Beispiel infolge akuter Infektionen, Exsikkose oder Komedikationen, die die Nierenfunktion beeinflussen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Nierenfunktion ab. Dieses Phänomen ist in Betracht zu ziehen, wenn es um eine Therapie wie die orale Antikoagulation bei Vorhofflimmern geht, eine Therapie, die über Jahre hindurch indiziert ist.
Bei Betagten ist das Insultrisiko bei Vorhofflimmern besonders hoch, und sie werden derzeit zu selten mit Vitamin-K-Antagonisten behandelt. Es ist zu bezweifeln, ob die neuen Antikoagulantien für diese bisher unterbehandelte Subgruppe eine sichere Therapie darstellen. Ob die neuen Antikoagulantien bei Patienten zum Einsatz kommen können, bei denen man sich bisher nicht zur Behandlung mit Vitamin- K-Antagonisten entschließen kann, weil sie eine Blutung hatten, häufig stürzen oder Probleme bei der Adhärenz haben, beantworten die Studien nicht, weil Patienten mit diesen Problemen ausgeschlossen worden sind.
Körpergewicht: Ein weiteres ungeklärtes Problem ist das Körpergewicht: Die in den Studien eingeschlossenen Patienten waren mit einem mittleren Körpergewicht von 83 kg bzw. einem mittleren Body-Mass-Index von 28 relativ korpulent. Ob die Dosis der neuen Antikoagulantien bei „Leichtgewichtigen“ reduziert werden soll, ist bisher nicht untersucht worden. Die enterale Absorption aller 3 neuen Antikoagulantien ist abhängig vom P-Glykoprotein. Das Cytochrom-450-System spielt zusätzlich beim Metabolismus von Apixaban und Rivaroxaban eine Rolle. Medikamenteninteraktionen der neuen Antikoagulantien sind noch kaum erforscht. Es gibt eine Fülle von Medikamenten und Nahrungsmitteln, die die Aktivität des P-Glykoproteins beeinflussen. Ob dies von Relevanz für die Wirkung der Antikoagulantien ist, wissen wir noch nicht.
Antidot: Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass es für keines der neuen Antikoagulantien ein wirksames Antidot gibt. Infolge seiner geringen Eiweißbindung ist Dabigatran dialysabel, für Apixaban und Rivaroxaban trifft dies leider nicht zu. Große Vorsicht und Umsicht sowie eine sorgfältige Beobachtung der Nierenfunktion ist beim Einsatz der neuen Antikoagulantien erforderlich. Vermutlich wird das Totenglöcklein für die Vitamin- K-Antagonisten zu früh geläutet.
1 Jönsson K.M., Wieloch M., Sterner G. et al.: Glomerular filtration rate in patients with atrial fibrillation on warfarin treatment: a subgroup analysis from the AURICULA registry in Sweden. Thromb Res 2011; 128:341-345