Langzeitmanagement der Pulmonalembolie – Neue ACCP-Guidelines (American College of Chest Physicians)

Zur Initialtherapie der akuten Pulmonalembolie werden parenterale Antikoagulantien (niedermolekulare Heparine, unfraktionierte Heparine oder Fondaparinux) verwendet. Der Standard für die Erhaltungstherapie ist die Gabe von Vitamin-K-Antagonisten. Ziel dieser ist einerseits eine Komplettierung der Therapie des Akutereignisses einer VTE, vor allem in den ersten 3 Monaten, sowie die Prävention eines Rezidivs als vorrangiges Ziel der verlängerten Erhaltungstherapie.

Rezidivrisiko vs. Blutungsrisiko

Über die Dauer der Antikoagulation wird viel diskutiert. Sie richtet sich einerseits nach dem individuellen Rezidivrisiko als auch nach dem individuellen Blutungsrisiko unter oraler Antikoagulation.

Rezidivrisiko: Antikoagulantien sind sehr effektiv darin, Rezidive zu verhindern, solange die Patienten die Therapie erhalten. Es hat sich jedoch gezeigt, dass nach Absetzen der Antikoagulation das Rezidivrisiko für Patienten, die 3 Monate die Therapie erhalten haben, das gleiche ist wie für Patienten, welche länger als 3 Monate antikoaguliert waren.
Die Unterscheidung, ob es sich um eine idiopathische venöse Thromboembolie handelt oder ob diese durch einen reversiblen Risikofaktor ausgelöst wurde bzw. ob eine aktive maligne Grunderkrankung vorliegt, wird als wichtigstes Kriterium zur Abschätzung des Rezidivrisikos angesehen. Die Empfehlungen zur Dauer der Antikoagulation richten sich nach diesen primären individuellen Rezidivrisiko-Faktoren.
Es gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche ein höheres Rezidivrisiko vorhersagen könnten: so hat sich gezeigt, dass ein erhöhtes D-Dimer, als laborchemischer Parameter einer Bereitschaft zur Thrombusbildung, einen Monat nach Absetzen der Antikoagulation
mit einem erhöhten Rezidivrisiko assoziiert ist. Weiterhin scheinen Männer ein höheres Rezidivrisiko zu haben als Frauen. Weitere Faktoren für ein höheres Risiko sind: Antiphospholipid-Antikörper, eine hereditäre Thrombophilie oder eine Residualthrombose in den proximalen tiefen Beinvenen. Diese Faktoren werden jedoch in den ACCP-Guidelines nicht als überzeugend und konsistent genug angesehen, um die Empfehlungen hinsichtlich der Dauer der Antikoagulation zu beeinflussen.

Blutungsrisiko: Studien haben gezeigt, dass eine verlängerte Erhaltungstherapie mit Antikoagulantien mit einer ca. 2,6-fachen Erhöhung von Majorblutungen assoziiert ist. Es gibt bisher kein validiertes Mittel, um das Risiko für Majorblutungen unter einer verlängerten Antikoagulation, speziell bei Patienten mit einer venösen Thromboembolie, vorhersagen zu können. Gewisse Faktoren scheinen jedoch das Blutungsrisiko zu erhöhen (> Tab.).

Therapiedauer: Empfehlungen nach klinischer Situation

Die Entscheidung über den Nutzen und die Risiken einer verlängerten Erhaltungstherapie mit Vitamin-K-Antagonisten kann nur durch das Abschätzen des Rezidivrisikos und des Blutungsrisikos erfolgen. Für beide gibt es jedoch kein validiertes Vorhersagemodell. Als
Alternative wurden in den aktuellen ACCP-Guidelines die Empfehlungen nach den 4 primären Risikogruppen für ein Rezidiv einer VTE (1. VTE ausgelöst durch einen chirurgischen Eingriff; 2. VTE ausgelöst durch einen reversiblen Risikofaktor, ausgenommen einer Operation; 3. idiopathische VTE; 4. VTE und aktive maligne Tumorerkrankung) und nach 3 Risikogruppen für Majorblutungen (> Tab.) stratifiziert.
Alle Patienten, die eine verlängerte Therapie erhalten, sollten regelmäßig (jährlich) reevaluiert werden, um sich zu vergewissern, dass der Nutzen der Antikoagulation weiterhin höher ist als das Blutungsrisiko.

Erstereignis einer venösen Thromboembolie, ausgelöst durch einen chirurgischen Eingriff: Das Rezidivrisiko für eine venöse Thromboembolie, ausgelöst durch einen chirurgischen Eingriff, nach Absetzen der Antikoagulation beträgt 1% nach einem Jahr und 3% nach 5 Jahren.
Für diese Patienten wird eine orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten für 3 Monate empfohlen. Die Ziel-INR unter einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten sollte 2,5 (2,0-3,0) betragen.

Erstereignis einer venösen Thromboembolie, ausgelöst durch einen nicht-chirurgischen, reversiblen Risikofaktor, z. B. Schwangerschaft, Östrogeneinnahme, Flugreise > 8 Stunden etc.: Das Rezidivrisiko für Patienten mit
einer venösen Thromboembolie infolge eines reversiblen Risikofaktors, ausgenommen einer Operation, beträgt 5% nach einem Jahr und 15% nach 5 Jahren.
Eine Antikoagulation wird für 3 Monate empfohlen. Speziell bei hohem Blutungsrisiko
gilt die Empfehlung für eine zeitlich begrenzte Antikoagulation für 3 Monate
anstelle einer längerfristigen Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (Grad 1B).
Aber auch bei niedrigem oder moderatem Blutungsrisiko wird der zeitlich
begrenzten Antikoagulation für 3 Monate der Vorzug gegeben (Grad 2B).

Erstereignis einer idiopathischen venösen Thromboembolie ohne eruierbaren temporären Risikofaktor: Patienten mit einem Erstereignis einer idiopathischen venösen Thromboembolie, d. h. bei denen kein reversibler Triggerfaktor eruierbar ist, weisen ein hohes Rezidivrisiko auf (10% nach einem Jahr, 30% nach 5 Jahren). Viele Studien belegen, dass Rezidive durch eine verlängerte Erhaltungstherapie verhindert werden können. Auf der anderen Seite bringt eine Fortführung der Antikoagulation ein Blutungsrisiko mit sich. Die Rate an Majorblutungen bei Patienten mit einer venösen Thromboembolie unter einer verlängerten Antikoagulation beträgt ca. 1-3% pro Jahr.
Bezüglich der Dauer der Antikoagulation empfehlen die neuen Guidelines für Patienten mit einer ersten Episode einer venösen Thromboembolie ohne temporären Risikofaktor eine Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten für mindestens 3 Monate. Danach sollte bei all diesen Patienten eine Nutzen-Risiko-Abwägung hinsichtlich einer längerfristigen Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten erfolgen. Für alle Patienten mit einer ersten idiopathischen venösen Thromboembolie, welche sich in Form einer proximalen tiefen Beinvenenthrombose oder einer Pulmonalembolie präsentiert, und einem niedrigen oder moderaten Blutungsrisiko gilt der Vorschlag einer verlängerten Antikoagulation (Grad 2B). Für Patienten mit einem Erstereignis einer idiopathischen venösen Thromboembolie und hohem Blutungsrisiko wird die Empfehlung einer begrenzten Antikoagulation für 3 Monate anstelle einer Langzeit-Therapie gegeben (Grad 1B).
Die Dosis der Vitamin-K-Antagonisten sollte auf eine Ziel-INR von 2,5 (2,0-3,0) adjustiert werden.

Zweitereignis einer venösen Thromboembolie: Für Patienten mit einer 2. Episode
einer idiopathischen venösen Thromboembolie wird bei niedrigem Blutungsrisiko eine längerfristige Antikoagulation empfohlen (Grad 1B). Auch bei moderatem Blutungsrisiko wird eine Langzeittherapie vorgeschlagen (Grad 2B).
Sollte ein hohes Blutungsrisiko vorliegen, wird einer begrenzten Antikoagulation für 3 Monate anstelle einer längerfristigen Therapie der Vorzug gegeben (Grad 2B).

Venöse Thromboembolie und aktive maligne Tumorerkrankung: Eine aktive
maligne Tumorerkrankung ist ein großer Risikofaktor für ein Rezidiv einer venösen Thromboembolie. Schätzungen belaufen sich auf eine jährliche Rezidivrate von ca. 15%. Daher sind diese Patienten Kandidaten für eine Antikoagulation auf unbestimmte Zeit.
Die ACCP-Guidelines empfehlen für Patienten mit einer venösen Thromboembolie und einer aktiven malignen Grunderkrankung eine längerfristige Antikoagulation bei niedrigem oder moderatem Blutungsrisiko (Grad 1B), aber auch bei hohem Blutungsrisiko wird eine Langzeittherapie vorgeschlagen (Grad 2B).
In den Empfehlungen wird für die gesamte Therapiedauer bei Patienten mit einer aktiven malignen Tumorerkrankung den niedermolekularen Heparinen subkutan gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten der Vorzug gegeben (Grad 2B).

Fact-Box

  • Für Patienten mit einer ersten VTE mit transientem Risikofaktor wird eine orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten mit einer Ziel-INR von 2,5 für 3 Monate empfohlen.
  • Patienten mit einer ersten VTE idiopathischer Genese sollten eine Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten mit einer Ziel-INR von 2,5 für mindestens 3 Monate
    erhalten. Danach sollte eine Evaluierung des Nutzens einer verlängerten Erhaltungstherapie zur Rezidivprophylaxe und des Blutungsrisikos erfolgen.
    Unter einer verlängerten Antikoagulation wird eine Reevaluierung in regelmäßigen Intervallen (jährlich) empfohlen.

 

1) Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Antithrombotic Therapy and Prevention
of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based
Clinical Practice Guidelines. Chest 2012; 141;e419S-e494S