Anlässlich der Pandemie mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 spricht der Leiter der AG Leber, Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas Reiberger, Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, unter anderem über die Immunsuppression nach einer Lebertransplantation oder der antiviralen Therapie bei chronischer Hepatitis – sind bestehende Therapien fortzuführen oder sollen diese abgesetzt werden? Zudem informiert der Experte, ob es Risikogruppen für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung gibt oder ob bestimmte Patienten ein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion aufweisen. Aktuell wird daran gearbeitet, den „normalen“ Spitalsbetrieb wieder hochzufahren, um das Risiko potenzieller Kollateralschäden bei Patienten mit hepatologischen Erkrankungen, die derzeit nicht im direkten Kontakt kontrolliert und monitiert werden können, zu minimieren.
Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas Reiberger: Es liegen derzeit keine evidenzbasierten Daten vor, dass Patienten mit Leberkrankungen einem höheren Infektionsrisiko oder auch einem schwereren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung ausgesetzt sind. Risikogruppen an sich können aufgrund der mangelnden Datenlage zwar nicht definiert werden, anzunehmen ist allerdings, dass Patienten mit fortgeschrittener Zirrhose, mit Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise einer Autoimmunhepatitis oder nach einer Lebertransplantation einem höheren Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 ausgesetzt sind. Diese Patienten sollten bei Auftreten von Symptomen priorisiert auf COVID-19 getestet werden.
Patienten mit Leberkrankungen müssen mit denselben Symptomen rechnen wie nichtlebererkrankte Patienten. Größtenteils zeigt die Erkrankung bei den Betroffenen einen milden Verlauf, wobei doch Fieber, trockener Husten und gegebenenfalls Kurzatmigkeit auftreten können. Weiters sind zudem gastrointestinale Symptome wie Durchfall und Übelkeit zu beobachten. Sind diese Symptome nicht durch eine andere Erkrankung erklärbar, besteht der Verdacht auf eine COVID-19-Erkrankung, und es sollte eine PCR-Testung mittels Abstrich durchgeführt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob Patienten mit zugrundeliegender Lebererkrankung eine andere Symptomatik aufweisen als Patienten ohne Lebererkrankung. Allerdings ist zu erwähnen, dass Patienten mit der seltenen Lebererkrankung Alpha-1-Antitrypsin-Mangel häufiger schwerwiegendere Lungensymptome entwickeln. Bei Patienten unter Immunsuppression können Symptome der Erkrankung, die bei schweren Verläufen auftreten (z. B. hohes Fieber, starkes Krankheitsgefühl, schwere Lungenentzündung), zudem weniger stark ausgeprägt sein, und somit bleiben diese Patienten oft länger asymptomatisch und dürften erfreulicherweise auch einen milderen Verlauf zeigen.
Daten belegen, dass bei einer SARS-CoV-2-Infektion bei bis zu 50 % der Patienten die Leberwerte ansteigen können. Diese Erhöhungen sind zumeist sehr mild (unterhalb der Verdoppelung des Normalwertes) und klinisch nicht relevant. Festgehalten werden müssen hierbei zwei Faktoren: 1. Auch andere Infektionen, insbesondere Virusinfektionen, gehen mit einem Anstieg der Leberwerte einher. 2. Bei der Behandlung von COVID-19 werden Medikamente eingesetzt, die auch zu Leberwerterhöhungen führen können. Schwerere COVID-19-Erkrankungsverläufe weisen häufiger eine Leberwerterhöhung auf, diese ist aber nicht spezifisch für COVID-19. Generell gilt: Je schwerer eine Infektionserkrankung und/oder eine Lungenerkrankung auf der Intensivstation verläuft, desto häufiger tritt auch eine Erhöhung von Leberwerten auf. Ein Hinweis auf eine direkte Infektion der Leber durch SARS-CoV-2 oder Virusvermehrung in der Leber liegt nach aktueller Datenlage nicht vor. Somit dürfte die direkte Auswirkung der SARS-CoV-2-Infektion auf die Leber gering sein.
Daten aus China und Italien, jenen beiden Ländern mit den bisher meisten SARS-CoV-2-Infektionen unter immunsupprimierten Patienten, suggerieren, dass kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Einnahme von Immunsuppressiva und einem erhöhten Infektionsrisiko mit COVID-19 besteht. Somit besteht kein Grund, Immunsuppressiva (z. B. nach einer Lebertransplantation oder zur Behandlung einer Autoimmunhepatitis) prophylaktisch zu beenden. Im Gegenteil, Patienten sollten ihre Medikation keinesfalls eigenständig verändern (weder die Dosis noch die Einnahmehäufigkeit), da ansonsten das Risiko einer Verschlechterung der Lebererkrankung oder einer Organtransplantabstoßung erhöht ist. Im Transplantatationszentrum in Bergamo, Italien, wiesen über 100 lebertransplantierte Patienten unter Immunsuppression eine gesicherte SARS-CoV-2-Infektion auf. Keiner dieser Patienten zeigte jedoch eine schwere Verlaufsform der Lungenentzündung oder musste aufgrund eines Lungenversagens an einer Intensivstation behandelt werden. Indirekt bedeutet dies, dass die immunsuppressive Medikation, auch wenn eine Infektion mit SARS-CoV-2 zustande kommt, wahrscheinlich weitergegeben werden soll.
Handelt es sich „nur“ um eine Virushepatitis, also eine chronische Hepatitis B oder C, ohne fortgeschrittene Zirrhose, ist das Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht erhöht. Wie bereits erwähnt könnten Patienten mit Leberzirrhose ein etwas höheres Infektionsrisiko haben. Patienten mit Hepatitis weisen bedingt durch die Grunderkrankung meistens bereits erhöhte Leberwerte auf, infolge einer COVID-19-Erkrankung könnten diese Werte weiter steigen. Hierbei besteht jedoch kein großer Grund zur Sorge, denn bei einem Großteil der Betroffenen verläuft die SARS-CoV-2-Infektion mild, und die Leberwerte werden nach der Infektion wieder zu den Ausgangswerten zurückkehren. Patienten mit bereits bestehender antiviraler Therapie sollen diese auf jeden Fall fortsetzen; bei Patienten mit neudiagnostizierter Hepatitis B sollte ein Hepatologe kontaktiert werden, um die Therapieindikation zu überprüfen. Bei bestätigter Indikation kann die antivirale Therapie auch während der COVID-19-Maßnahmen gestartet werden.
Nein, Patienten mit Hepatitis C gelten generell nicht als Risikogruppe; eventuell haben Patienten, die eine Leberzirrhose entwickelt haben ein erhöhtes Risiko, aber auch dafür gibt es keine harte Evidenz. In den meisten Fällen kann während dieser COVID-Pandemie, da es bei Hepatitis C zu keinen fulminanten Verläufen kommt, zurückhaltend reagiert werden. Nachdem die Therapiedauer bei Hepatitis-C-Patienten aber relativ kurz und sehr erfolgreich ist, kann eine antivirale Therapie auch während der COVID-19-Maßnahmen begonnen werden. Eine bereits eingenommene antivirale Hepatitis-C-Therapie sollte in jedem Fall fortgesetzt werden. Die Diagnostik (Ultraschall, Fibroscan®) bei Hepatitis C kann, da diese einen direkten Kontakt mit einem Spezialisten in einem Spital oder Radiologiezentrum bedingt, in den meisten Fällen warten.
Mittlerweile ist es möglich, Rezepte telemedizinisch auszustellen und zu bewilligen sowie den Apotheken in elektronischer Form oder per Fax zukommen zu lassen. Somit kann sichergestellt werden, dass auch ohne direkten Patientenkontakt Therapien weitergeführt werden können. Obwohl vieles an Routinekontrollen letztendlich telemedizinisch abgewickelt werden kann, sind nichtsdestotrotz der persönliche Arztkontakt, die physikalische Krankenuntersuchung sowie auch die Bildgebung wichtige Komponenten einer guten Patientenversorgung. Aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation sehen wir im Spital an den Spezialambulanzen deutlich weniger Patienten. In welchem Ausmaß bei Patienten mit hepatologischen Erkrankungen, die derzeit nicht im gleichen Umfang wie vor der Corona-Krise kontrolliert und monitiert werden können, potenzielle Kollateralschäden entstehen, ist noch unklar. Gefordert ist eine engmaschige Kommunikation zwischen Arzt und Patient und eine schrittweise und vernünftige Rückkehr zur „neuen Normalität“ – denn Behandlung findet letztlich immer am Patienten und nicht am Telefon statt.