Medikamententoxizität – Antibiotika und Leber

Grundlagen  der Hepatotoxizität 

Präexistente hepatische Komorbiditäten und  extrahepatische Kofaktoren wie Polymedikation,  Adipositas (BMI) und Alter erhöhen die Sensibilität  für die medikamentöse Toxizität  („second hit“) und können den Verlauf ungüns –  tig beeinflussen.  Antibiotika stehen in der Reihenfolge der Medikamentengruppen  mit häufiger Hepatotoxi –  zität gemeinsam mit den NSAR im Vordergrund,  während die „Hitliste“ der Einzelsubstanzen  als Ursache schwerer Leberschäden  von Paracetamol und Phenprocoumon ange –  führt wird.

Nach der Pathogenese werden zwei Formen  der Hepatotoxizität (HT) unterschieden:
• Die intrinsische HT ist dosisabhängig und  damit bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar  (z. B. Paracetamol).
• Die idiosynkratische HT ist nicht dosisabhängig  und damit nicht vorhersehbar. Sie  wird durch andere Faktoren wie Genpolymorphismen  metabolisierender Enzym –  systeme (Cytochrom-P450-Enzym),  HLA-Typ und Medikamenteninteraktionen  beeinflusst. 

Rolle des Cytochrom-P450-Enzymsystems: Die  Leber ist das Organ mit dem höchsten CYPGehalt,  wovon das CYP3A4 der wichtigste  Vertreter ist, etwa 60 % der Arzneimittel  sind Substrat dieser Enzymisoform. Antibiotika  können über das CYP-System metabolisiert  werden, sie können es dabei auch induzie ren  (z. B. Rifampicin, aber auch Alkohol) oder  hemmen (z. B. Makrolide). Aktivität und Kapazität  des CYP-Systems nehmen mit steigendem  Alter ab. Die Enzyminduktion dauert  meist länger (Wochen) und äußert sich häufig  in einem induktiv geprägten Enzymmuster  mit überwiegender Erhöhung der _-GT ohne  klinische Signifikanz und ist Ausdruck einer  adaptiven Reaktion.  Bedeutsam ist der Umstand, dass durch die  Induktion oder Inhibition metabolisierender  Enzymsysteme andere gleichzeitig verabreichte  Arzneimittel und deren Metaboliten beeinflusst  werden können (potenziell erhöhte Isoniazid-  Toxizität durch CYP450-Induktoren wie Rifampicin).

Formen der Antibiotika-induzierten Hepatotoxizität  (nach Zollner): 
• unspezifische Erhöhung von _-GT u. ALT  (50 % bei Clindamycin, bis 20 % bei  Isoniazid, 15 % bei Ciproxin)
• akute/fulminante/chronische Hepatitis
• akute/chronische Cholestase:
– blande Cholestase: Fusidinsäure
– inflammatorische Cholestase:  Flucloxacillin, Erythromycin, AmoxiClav
– Duktopenie (VBDS – Vanishing Bile Duct  Syndrome): Tetrazykline,  Trimethoprim/Sulfamethoxazol
– „Pseudo“-Cholelithiasis: Ceftriaxon

Nach der CIOMS-Klassifikation (Council for  International Organisation of Medical Sciences)  lassen sich anhand der Konstellation von ALT  (GOT) und alkalischer Phosphatase (AP) 3  typische Kategorien der medikamentös  induzierten Hepatotoxizität unterscheiden:  hepatozellulär, gemischt und cholestatisch  (> Tab. 1).

 

Diagnostik: Risikopatienten für eine AB-induzierte  Hepatotoxizität sind vor allem jene mit  vorausgegangener hepatotoxischer Reaktion  auf Antibiotika, ältere Patienten (> 65 J.) mit  Polymedikation (einschließlich alternativer und  herbaler Arzneien), exzessiver Alkoholkosum  sowie Patienten mit präexistierender Lebererkrankung  (Risiko der Dekompensation der  Leberfunktion).
Ein Anstieg der Transaminasen über das Dreifache  des oberen Normwertes (Upper Limit  of Norm – ULN) in Verbindung mit Ikterus  (Bilirubin > 2 x ULN) ist mit einer schlechten  Prognose und mit einer Mortalität von ~10 %  assoziiert („Hy’s Law“, benannt nach dem  Pathologen Hyman Zimmermann).
Da der Leberschaden mit einer beträchtlichen  Latenz auftreten kann (idiosynkratische Toxizität  nach wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten  möglich), kommt der exakten Medikamenten –  anamnese über einen Zeitraum der letzten  6 Monate besondere Bedeutung zu.
Die laborchemische hepatologische Basisdiagnostik  (> Tab. 2) dient vor allem dem differenzialdiagnostischen  Ausschluss anderer Lebererkrankungen  und wird durch die bildgebende  Diagnostik und Leberbiopsie komplettiert.

 

Einzelne Antibiotikagruppen: klinische Besonderheiten 

Betalaktame (Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme  u. Monobaktame): Schwere Leberschäden  sind insgesamt sehr selten und  können sowohl hepatozellulär als auch cholestatisch bzw. gemischt sein. Für Flucloxacillin scheint ein etwas höheres Risiko einer cholestatischen Hepatitis zu bestehen.
• Amoxillin/Clavulansäure: Die Kombination  des Betalaktamaseinhibitors Clavulan- säure mit Amoxicillin erhöht das Risiko  für eine Hepatoxizität erheblich (5–9-fach  höher für die Kombination als für Amoxicillin  allein). AmoxiClav ist für 13–23 %  der medikamenteninduzierten Leberschäden  verantwortlich. Typisch ist das verzögerte  Auftreten der Symptome, was die  frühe Diagnose erschweren kann. Der klinische  Verlauf ist meist benigne und zeigt  üblicherweise ein cholestatisches oder  gemischt hepatozellulär-cholestatisches  Reaktionsmuster.
Bei verlängerten oder wiederholten Therapien  und einem Alter > 65 Jahren ist das  Risiko einer Hepatotoxizität besonders  deutlich erhöht.
Weibliches Geschlecht, Alter und die  Assoziation zu gewissen HLA-Haplotypen  scheinen einen cholestatischen Verlauf zu  begünstigen.
• Ceftriaxon: Erwähnenswert ist die für diese  Substanz spezifische „Pseudocholeli –  thiasis“ durch Ceftriaxon-Bilirubin-Kalzium-  Präzipitate in großen Gallengängen  und der Gallenblase, die manchmal zufällig,  bisweilen auch mit biliären Komplikationen  einhergehen können. Junge Frauen  scheinen von dieser Nebenwirkung besonders  betroffen zu sein.

Makrolide, Ketolide, Lincosamide: Makrolide  (Erythromycin eher als Clarithromycin, Azithromycin  und Roxithromycin) können eine  cholestatische Hepatitis oder ein Vanishing  Bile Duct Syndrome (VBDS) auslösen.
Die Erythromycin-induzierte Hepatotoxizität  beruht vermutlich auf einer intrinsischen Reaktion  und Hypersensitivität. Cholestatische  und gemischte Verläufe wurden beschrieben.  Überdies scheint die Art der chemischen  Verbindung eine Rolle zu spielen (häufigere  Toxizität von Erythromycin-Estolat).  Telithromycin (Ketek®), ein Ketolid, sollte auf  Grund seiner ausgeprägten Hepatotoxizität  nur in Ausnahmefällen verwendet werden.

Chinolone: können moderate Anstiege der  Transaminasen verursachen, schwere Leberschäden  werden auch bei fortgeschrittenen  Lebererkrankungen nur selten berichtet. Da  sie in der Galle hohe Konzentrationen erreichen,  sind sie für die Therapie der bakteriellen Cholezystitis  und Cholangitis geeignet.  Moxifloxacin wird als einziger Vertreter dieser  Substanzklasse über die Leber metabolisiert. 

Tetrazykline, Sulfonamide, Trimethoprim: Frühere  Meldungen über schwere Lebertoxizitäten von  Tetrazyklinen waren durch die hochdosierte  intravenöse Applikation bedingt, während die  orale Therapie in „normaler“ Dosierung nur  selten signifikante Leberschäden verursacht.  Minocyclin kann eine idiosynkratische Sofortreaktion  mit ALT-Anstieg, Eosinophilie und  Dermatitis, aber auch eine Spätreaktion mit  SLE-ähnlichem Syndrom auslösen. Doxycyclin  ist geringer hepatotoxisch als Tetracyclin.  Die Hepatotoxizität der Sulfonamide ist gut  dokumentiert und durch eine cholestatische  oder gemischt cholestatisch-hepatozelluläre  Reaktion geprägt. Das gilt auch für Cotrimoxazol,  die Fixkombination eines Sulfonamids  mit Trimethoprim, das auf Grund des seltenen  aber bedrohlichen Lyell-Syndroms ohnehin nur  mehr für die Prophylaxe und Therapie der  Pneumocystis-Infektion verwendet werden  sollte. 

Einzelsubstanzen: 
• Linezolid: Eine prolongierte Therapie mit  Linezolid wurde mit schweren Leberschäden  und histologischem Nachweis einer  mikrovesikulären Steatose assoziiert, andererseits  zeigten zwei rezente Publikationen  aus Japan, dass die Koexistenz einer  chronischen Lebererkrankung das Risiko  für eine Thrombozytopenie unter Linezolid  (meist bei Therapiedauer > 14 Tage) signifikant  erhöht.
• Clindamycin: Meistens (50 %) treten nur  asymptomatische Anstiege der Transaminasen  und der GGT auf, die sich auch bei  fortgesetzter Therapie normalisieren,  aber es sind auch schwere cholestatische  Hepatitiden beschrieben.

Tuberkulostatika: Da die tuberkulostatische  Therapie (mit Ausnahme der INH-Prophylaxe  bei latenter Tbc und immunsuppressiver Therapie)  eine Kombination mehrerer Substanzen  erfordert, ist die Identifikation der hepatotoxischen  Komponente schwierig. Risikofaktoren  für eine gesteigerte Hepatotoxizität sind Alter  > 60 y, Alkoholabusus, chronische Lebererkrankungen  (bes. Virushepatitis), weibliches  Geschlecht, Malnutrition, HIV-Infektion und  potenziell hepatotoxische Ko-Medikationen  (z. B. Paracetamol).
• Isoniazid, Pyrazinamid: Beide Substanzen  besitzen eine gut dokumentierte Hepatotoxizität,  die sich vor allem in der Kombination  mit Rifampicin manifestiert (Rifampicin  induziert das CYP450-System und  kann dadurch die Produktion von reaktiven  INH-Metaboliten erhöhen).
• Rifampicin: Im Vergleich zu Pyrazinamid  und Isoniazid ist Rifampicin geringer hepatotoxisch,  wobei in einer rezenten Studie  < 2 % der Patienten erhöhte Transaminasen  aufweisen (im Vergleich 4–5 %  für INH und Pyrazinamid).
• Ethambutol und Streptomycin gelten als  nur sehr gering hepatotoxisch.

FACT-BOX 
• In Relation zur Häufigkeit des Einsatzes  von Antibiotika verbleiben relevante  assoziierte Leberschäden selten und  sehr schwere Lebertoxizitäten sehr  selten.
• Das verzögerte Auftreten der Leberdysfunktion  kann die Diagnose erschweren  und erfordert häufig eine umfangreiche  differenzialdiagnostische Abklärung bis  hin zur Leberbiopsie.
• Eine temporäre niedrig dosierte Steroidtherapie  kann bei protrahiertem oder  schwerem Verlauf von Vorteil sein.

Literatur:  – Leitner, Graninger, Thalhammer: Hepatotoxicity of  Antibacterials – Pathomechanisms and Clinical Data;  Infection 2010; 38  – R. Andrade, P. Tulkens: Hepatic safety of antibiotics  used in primary care. J Antimicrob Chemother 5/2011  – Roth, Ganey: Intrinsic vs. Idiosyncratic Drug-induced  Hepatotoxicity. J Pharmacol Exp Ther 3/2010  – Canbay et al.: Acute Liver Failure in a Metropolitan Area  in Germany. Z Gastroenterol 2009; 47:807-813  – Larson A.: Drugs and the Liver – Patterns of druginduced  liver injury. UpToDate 5/2011  – Graninger et al.: Experten-Statement – Hepatotoxizität  von Antibiotika. ÖAZ Supplementum, Juli 2008