Modelle zur VTE-Risikostratifizierung – Ist jeder Krebspatient gleich gefährdet?

Es hat sich deutlich gezeigt, dass das VTERisiko bei Krebspatienten unterschiedlich verteilt ist und von verschiedenen exogenen und endogenen Faktoren abhängt. Grob kann man zwischen tumor-, therapie- und patientenassoziierten Risikofaktoren unterscheiden.

Tumorassoziierte Risikofaktoren

Die Art der Krebserkrankung ist der stärkste einzelne Risikofaktor für das Auftreten von VTE. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit Pankreaskarzinomen, Magenkarzinomen und Hirntumoren ein besonders hohes VTE-Risiko von 10–20 % aufweisen. Weiters hat man auch bei Patienten mit Ovarial-, Lungen-, Uterus- und Kolonkarzinomen sowie verschiedenen hämatologischen Malignomen eine starke Assoziation mit dem Auftreten von VTE gefunden. Eine niedrige VTE-Inzidenz hat sich bei Brust- und Prostatakarzinomen gezeigt.
Einen weiteren etablierten tumorassoziierten Risikofaktor stellt das Tumorstadium dar. Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass Patienten mit Fernmetastasen ein etwa doppelt so hohes Risiko für das Auftreten von VTE aufweisen als Patienten mit lokalisierten Tumoren, aber auch bei regionalem Lymphknotenbefall steigt das Thromboserisiko an. Die Tumorhistologie scheint ebenfalls eine wichtige Rolle zu spielen. So konnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass Lungenkrebspatienten mit Adenokarzinomen ein doppelt so hohes VTE-Risiko aufweisen als jene mit Plattenepithelkarzinomen.

Therapieassoziierte Risikofaktoren

Chirurgische sowie nichtchirurgische Interventionen erhöhen das VTE-Risiko von Krebspatienten. Krebspatienten haben ein circa 3- bis 5-fach höheres Risiko, postoperativ eine VTE zu entwickeln als Patienten ohne Krebs. Weiters waren VTE in einer Registerstudie die häufigste Todesursache in den ersten 30 postoperativen Tagen bei Krebspatienten. Auch bestimmte Krebstherapeutika erhöhten das Thrombose- und Embolierisiko. Dies scheint besonders für die Angiogeneseinhibitoren Thalidomid, Lenalidomid und Bevacizumab zuzutreffen. So konnte in einer randomisierten kontrollierten Studie bei Patienten mit multiplem Myelom, die mit Thalidomid behandelt wurden, ein 3-fach erhöhtes VTERisiko von 15 % gezeigt werden. Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) empfiehlt die Verabreichung einer Thromboseprophylaxe (mit niedermolekularem Heparin oder Cumarinen) bei Krebspatienten, die Thalidomid oder Lenalidomid in Kombination mit Chemotherapie oder Dexamethason erhalten. Bevazicumab, ein monoklonaler Antikörper gegen Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF), ist zur Behandlung von verschiedenen fortgeschrittenen soliden Tumoren zugelassen. In einer Metaanlyse, die 15 randomisierte kontrollierte Studien umfasst, war die Gabe von Bevazicumab mit einem erhöhten VTE-Risiko verbunden. Auch Brustkrebspatientinnen, die eine Hormontherapie zusammen mit einer Chemotherapie erhalten, haben ein erhöhtes VTE-Risiko. So wurde in Studien von einem 3- bis 7-fach erhöhtem VTE-Risiko durch die Einnahme des selektiven Östrogenrezeptormodulators Tamoxifen (im Vergleich zu Placebo oder keiner Behandlung) berichtet. Die Einnahme von rekombinantem humanem Erythropoetin scheint auch das VTE-Risiko von Krebspatienten zu erhöhen.
Einen weiteren etablierten therapieassoziierten Risikofaktor stellen zentralvenöse Katheter (ZVK) dar, vor allem wenn sie längere Zeit liegen. Die Rate der damit assoziierten VTE schwankt in verschieden Studien stark und reicht von 4 % bis 66 %. Daten von neueren prospektiven placebokontrollierten Doppelblindstudien, die den Nutzen der Thromboseprophylaxe bei Patienten mit ZVK untersucht haben, deuten allerdings darauf hin, dass symptomatische ZVK-assoziierte VTE selten sind. Weiters hat sich kein Nutzen von primärer Thromboseprophylaxe zur Prävention der ZVK-assoziierten VTE gezeigt, welche daher momentan nicht für alle Patienten mit zentralvenösem Katheter empfohlen wird.

Patientenassoziierte Risikofaktoren

Da es sich bei der VTE um ein multifaktorielles Geschehen handelt, bei dem einzelne Risikofaktoren einen additiven Effekt ausüben, sollten immer auch klassische Risikofaktoren (die auch Patienten ohne Krebs betreffen) in Betracht gezogen werden. Hier ist wohl als wichtigster Risikofaktor das Vorhandensein einer früheren VTE zu nennen. So wurde berichtet, dass Krebspatienten mit einer früheren VTE ein Rezidivrisiko von circa 20 % aufweisen. Weitere wichtige allgemeine Risikofaktoren, die allerdings bei Krebspatienten noch nicht ausreichend untersucht wurden, sind Alter, Übergewicht, Immobilität, Schwangerschaft, Einnahme oraler Kontrazeptiva, Herzinsuffizienz, Verletzungen des Rückenmarks, Becken- oder Hüftfrakturen, akute Infektionen, multiple Traumen und hereditäre Risikofaktoren. Weiters ist anzumerken, dass bei Krebspatienten die Hospitalisierung an sich schon mit einem erhöhten VTE-Risiko verbunden ist.

VTE-Risikostratifizierung bei Krebspatienten

Die Überlegung, dass die Kombination mehrerer Risikofaktoren in ein insgesamt stark erhöhtes VTE-Risiko bei Krebspatienten resultiert, hat zur Prüfung erster Modelle geführt, die mehrere Parameter zur VTE-Risikostratifizierung kombinieren. Khorana et al. haben als Erste fünf klinische Parameter/Laborparameter (Tumorentität, Plättchenanzahl, Leukozytenanzahl, Hämoglobin und/ oder Verabreichung von erythropoesestimulierenden Faktoren sowie Body Mass Index) zur Prädiktion von VTEs bei ambulanten Krebspatienten kombiniert. Je nach Parameter wurden bestimmte Zahlenwerte vergeben. Während einer relativ kurzen Beobachtungszeit von 2,5 Monaten hat sich gezeigt, dass Patienten mit einem niedrigen Zahlenwert (entsprechend dem Vorhandensein weniger oder keiner Risikofaktoren) eine niedrige VTE-Rate von 0,8 bis 2 % hatten und jene mit einem hohen Zahlenwert eine signifikant höhere VTERate von circa 7 %.
Dieses Risikostatifizierungsmodell konnte vor kurzem von Ay et al. in einer prospektiven Studie, der Vienna Cancer and Thrombosis Study (CATS), bestätigt werden. Weiters wurde in dieser Studie das Khorana-Modell um 2 prädiktive Faktoren (D-Dimer und P-Selektin) erweitert und die positive Voraussagekraft für VTE dadurch gesteigert.

Zusammenfassung

Krebspatienten weisen generell ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von VTE auf. Das Risiko ist allerdings unterschiedlich verteilt und hängt stark von tumor-, therapie- und patientenassoziierten Faktoren ab. Es scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Kombination verschiedener Risikofaktoren das Gesamt-VTE-Risiko bei Krebspatienten determiniert. Jüngste Studien zeigen, dass die Prädiktion von VTE bei Krebspatienten durch Risikostratifizierungsmodelle möglich ist. Als wahrscheinlich wichtigste Einzelfaktoren sind Tumor – art, Tumorstadium und bestimmte therapeutische Maßnahmen zu nennen. Weiters sollten bei der VTE als multifaktorieller Erkrankung immer auch die klassischen, nicht krebsassoziierten Risikofaktoren mit in Betracht gezogen werden.

 

Literatur beim Verfasser