Am Kongress der europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC) in München wurden mehrere Leitlinien vorgestellt, über die wir in diesem Heft berichten: zur Behandlung der Hypertonie (Beitrag Priv.-Doz. Dr. Thomas Weber, Seite 8), zur Betreuung von Schwangeren mit Herzkrankheiten (Beitrag AO. Univ.-Prof. Dr. Johannes Mair, Seite 18), über eine universelle Definition des Myokardinfarktes und Revaskularisation (Beitrag Prim. Priv.-Doz. Dr. Georg Delle Karth, Seite 16, Beitrag Dr. Can Gollmann-Tepeköylü und Priv.-Doz. Dr. Johannes Holfeld, Seite 28). Es ist zu hoffen, dass diese Leitlinien unsere Arbeit erleichtern und Therapieentscheidungen transparenter machen werden! So sind zum Beispiel die Leitlinien der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) zur Behandlung der Hypertonie ein Schritt in Richtung Individualisierung und Personalisierung über antihypertensive Therapie und deren Ziele. Maßnahmen zur Lebensstil-Modifikation nehmen in diesen Leitlinien eine zentrale Rolle ein. Die Leitlinien für die Betreuung von Schwangeren sind für den klinischen Alltag besonders nützlich, findet sich doch im Anhang die bislang umfangreichste Tabelle zur Bewertung des Einsatzes von Medikamenten bei Schwangeren oder während der Stillperiode.
Betreuung und Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz wird auch in den kommenden Jahren eine wichtige Aufgabe bleiben, denn die Zahl dieser Patienten ist weltweit im Zunehmen. Inwieweit uns dabei die Telemedizin helfen kann, wurde in der TIM-HF2-Studie in Deutschland untersucht, die Ihnen Univ.-Prof. Dr. Uta Hoppe vorstellt (Seite 14). Welche Chancen und neue Herausforderungen Digital Health und E-Cardiology mit sich bringen, können Sie im Beitrag von Priv.-Doz. DDr. Wolfgang Dichtl lesen (Seite 22).
Auch andere interessante Aspekte in der Therapie der systolischen und diastolischen Herzinsuffizienz wurden beim ESC-Kongress diskutiert. Ob eine interventionelle Sanierung der relativen Mitralinsuffizienz mittels MitraClip bei Patienten mit systolischer Dysfunktion die Prognose verbessern kann, wird von 2 Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen beurteilt – MITRA-FR und COAPT (Seite 14 Beiträge Hoppe und Seite 28 Beitrag Gollmann/Holfeld).
Fürchten Sie sich nicht vor der Grundlagenforschung! Im Beitrag von Assoz.-Prof. Priv.-Doz. DDr. Peter Rainer (Seite 30) finden Sie Ein- und Ausblicke über interessante Vorträge beim ESC zu diesem Themenkomplex. Mein besonderer Dank gilt dem Autor, dass er darüber in verständlicher Form berichtet!
Können wir uns nun entspannt zurücklehnen und zufrieden sein, dass alles gut geregelt und organisiert ist? Leider ist das nicht der Fall, ganz im Gegenteil! Lesen Sie den Beitrag von Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek (Seite 6), aus dem hervorgeht, dass groß angelegte epidemiologische Studien einen Anstieg der Häufigkeit kardiovaskulärer Risikofaktoren in Europa zeigen: In den EUROASPIRE-IV- und -V-Kohorten, die Patienten mit bekannter koronarer Herzkrankheit umfassen, fand sich eine Zunahme des Anteils an Rauchern von 16 auf 19 %, an Diabetikern von 26 auf 30 % und eine Abnahme eines ausreichenden körperlichen Aktivitätslevels von 44 auf 34 % der Patienten. Weiter sind nach wie vor 37 % der befragten Personen adipös, bei 50 % ist der Blutdruck ungenügend eingestellt, und noch immer erreichen nur 30 % der Patienten ihren individuellen Lipidzielwert. Eine medikamentöse Primärprävention mittels Acetylsalicylsäure dürfte mehr schaden als nützen, auch Fischöl, „Low-Carb“-Diät und Senkung der Harnsäurespiegel mittels Febuxostat haben keinen protektiven Effekt auf das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse.
Wenn wir für die Gesundheit unserer Patienten aktiv sein wollen, dann gibt es also genug zu tun. Und es scheint so, als sei die Ermunterung zu Bewegung das Allerwichtigste. Bewegungsmangel wird bereits als die gefährlichste Epidemie des 21. Jahrhunderts erachtet. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Patienten einen „bewegten Herbst“ und viel Kreativität für Vergnügungen wie Tanzen oder Gymnastik, die auch an nebeligen Abenden möglich sind.
Univ.-Prof. Dr. Claudia Stöllberger