Warum gibt es gerade bei Impfstoffen immer wieder heftige und kontroversielle Diskussionen ob deren Wirksamkeit und Sicherheit? Im Folgenden werden mögliche Gründe für diese Verunsicherungen und Ängste beleuchtet und es wird versucht, Lösungsansätze im Umgang mit diesen aufzuzeigen.
Nicht nur der Laie, auch medizinisches Fachpersonal ist zunehmend verunsichert durch die Flut von mitunter sehr negativ gefärbter Berichterstattung aus den Medien. Das Problem ist vor allem, dass die Glaubwürdigkeit, insbesondere des Internets, so gut wie nicht überprüft werden kann. Was und vor allem wem soll man nun glauben?
Hinzu kommt meist der Vorwurf des einzigen Interesses der „Geschäftemacherei“ der Pharmaindustrie als Totschlagargument. Geschürt werden Ängste mit Berichten von angeblichen Todesfällen und irreversiblen Schäden nach Impfungen. Andererseits erschien kürzlich auch ein Bericht über den tragischen Tod eines Mädchens, das nur über einen unzureichenden Impfschutz vor FSME verfügte.
Das führt zu der Frage, warum gerade bei Impfstoffen verglichen mit anderen Arzneimitteln die Diskussion so kontroversiell geführt wird und die Befürchtungen so groß sind.
Einige Gründe für die Vorbehalte sind zunächst im nicht-medizinischen Bereich angesiedelt.
Verbesserungswürdige Kommunikation: Als unbestritten gilt, dass Aufklärung der Impfadressaten durch Ärzte, Behörden und auch Medien in transparenter und verständlicher Weise als ein permanenter Prozess zu verstehen ist. Gerade in einer Zeit, in der Krankheiten durch Impfprophylaxe erfolgreich bekämpft werden und möglichen Impfreaktionen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wird, gilt es Aufklärungsarbeit zu betreiben, denn …
… der Erfolg ist zugleich größter Feind: Je erfolgreicher Impfmaßnahmen sind, umso mehr tritt die eigentliche Bedrohung durch die Krankheit in den Hintergrund und umso häufiger sind befürchtete, behauptete oder tatsächliche Nebenwirkungen im Fokus der Wahrnehmung.
Wer hat heute noch die verheerenden individuellen und auch volkswirtschaftlichen Konsequenzen von Kinderlähmung, Tetanus und der Spanischen Grippe vor Augen?
Besonders Laien, allen voran Eltern, tun sich daher in der Einschätzung des individuellen Nutzen-Risiko-Profils besonders schwer.
Impfen ist „nur“ Prävention: Im Vergleich zu einem therapeutischen Arzneimittel ist jede Impfung eine Vorbeugemaßnahme. Deshalb fällt dem Arzt bei der Beratung des Patienten hinsichtlich der individuellen Nutzen-Risiko-Einschätzung eine wichtige Rolle zu. Auch die Verdeutlichung der vorbeugenden Sinnhaftigkeit einer Impfung stellt dabei einen wesentlichen Bestandteil dar.
Das Ziel sollte sein, Vorbehalten gegen Impfungen mit medizinisch fundierten Argumenten zu begegnen.
Arzneimittelüberwachung und Kausalitätsbewertung: Aufgabe der Behörden ist die generelle Nutzen-Risiko-Bewertung sämtlicher Impfstoffe im Rahmen der Zulassungsverfahren.
PASS: Weniger bekannt ist vielleicht, dass auch nach der Zulassung ein umfangreiches Netzwerk von nationalen und internationalen Überwachungsmaßnahmen durch die Behörden zur Anwendung gelangt. Bestandteil dieser Überwachung ist nicht nur die lückenlose Erfassung gemeldeter Ereignisse (im Fachjargon „vermuteter unerwünschter Wirkungen“) nach der Impfung, sondern auch die penible Evaluierung eines möglichen Kausalzusammenhangs. So genannte Post-Authorisation-Safety-Studies (PASS) sind ein weiteres Instrument, um vertiefende Informationen zum Sicherheitsprofil zu erhalten.
Alles, was an medizinischen Auffälligkeiten im zeitlichen Zusammenhang nach einer Impfung auftritt, kann – muss aber nicht – mit dieser in Verbindung stehen.
Koinzidierend oder kausal: Wichtig ist zu vermitteln, dass koinzidierenden Ereignisse nicht zwangsweise kausal bedingt sein müssen. Die Zuordnung von Kausalitäten ist jedoch eine der schwierigsten Aufgabenstellungen bei der Bewertung des Sicherheitsprofils von Arzneimitteln (inklusive Impfstoffen).
Es ist daher auch auf die Hintergrundinzidenzen dieser Ereignisse, gestaffelt nach Land, Alter und Geschlecht zu achten.
Dieser meist nicht einfachen Kausalitätsbewertung kommt daher enorme Bedeutung zu. Unter anderem basierend auf den schon von Sir Austin Bradford Hill aufgestellten Indizien für einen Kausalzusammenhang werden im Fall einer vermuteten Impfnebenwirkung zuerst der zeitliche Zusammenhang und dann mögliche Risikofaktoren wie Komedikation, externe Faktoren und Grunderkrankungen überprüft sowie nach Evidenz vorangegangener Fälle bzw. bekanntem Ereignis der jeweiligen Wirkstoffklasse recherchiert. Eine so genannte positive Rechallenge, d. h. ein erneutes Auftreten vergleichbarer Symptome nach wiederholter Impfung, ist ebenfalls ein starker Hinweis auf einen Kausalzusammenhang.
Relationen berücksichtigen: Betrachtet man die Nebenwirkungen, müssen diese unbedingt in Relation zur Anzahl an verimpften Dosen gesehen werden. Dies wird oft in der Kommunikation von den Medien verabsäumt und führt daher nicht selten zu Fehleinschätzungen und Missinterpretationen.
Konsequenzen der Pharmakovigilanzmaßnahmen: Ergibt die Überwachung zugelassener Impfstoffe Hinweise auf eine kausal bedingte Nebenwirkung, verordnen Behörden definierte Maßnahmen, die von einer verstärkten Überwachung mittels intensivierter Berichtspflichten der Zulassungsinhaber, einer Aktualisierung der Produktinformation über neue Sicherheitsstudien bis hin zur Suspendierung oder Aufhebung der Zulassung reichen können.
Auch hier gilt folgender Grundsatz: Die Wahl der verordneten Maßnahme(n) hat ausschließlich die Sicherstellung eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses für den Patienten als obersten Maßstab.
Besondere Maßstäbe in der Risikobeurteilung: Die Begutachtung im Rahmen des Zulassungsverfahrens stellt daher immer höchste Sicherheitsanforderungen an neue Impfstoffe. Der Grund hierfür ist, dass einerseits die meistgeimpfte Population, nämlich Säuglinge und Kleinkinder, besonders vulnerabel ist, aber andererseits die Verabreichung von Arzneimitteln an Gesunde stets ein besonders günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis verlangt. Auch die eventuell über Jahrzehnte anhaltende Wirkung nach einer nur kurzen Exposition gegenüber einem Vakzin erfordert eine besonders genaue Begutachtung.
Kein Impfstoff verspricht 100-prozentige Wirksamkeit. Auch bei anderen Arzneimitteln kann kein einziges allen Patienten absolute Wirksamkeit garantieren, da bei jeder Therapie oder Prophylaxe sehr viele individuelle interne und externe Faktoren eine Rolle spielen.
Genauso kann das Auftreten von Nebenwirkungen bei Impfstoffen – wie bei anderen Arzneimitteln – niemals mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden.
Um Mythen und Ängsten, seien sie begründet oder nicht, besser zu begegnen, ist die bereits erwähnte, verständliche Kommunikation aller Beteiligten ständig zu verbessern.
Evidenzbasierte Informationsquellen: Die Fachinformation jedes Arzneimittels wird von der Behörde geprüft und stellt die relevante Informationsgrundlage für Ärzte dar; die Gebrauchsinformation richtet sich hingegen direkt an den Patienten. Fach- und Gebrauchsinformation (abrufbar unter AGES) werden regelmäßig, auch hinsichtlich aktueller Sicherheitsdaten, an den Wissensstand angepasst.
Als weitere wichtige Informationsquelle sei auf den jährlich adaptierten Österreichischen Impfplan verwiesen, der evidenzbasierte Empfehlungen für die Impfungen aller Altersgruppen beinhaltet (BMG).
Qualifizierte Aufklärung: Negativ besetzte Berichterstattung bis hin zu Anti-Impfkampagnen, die nicht auf wissenschaftlicher Evidenz, sondern auf Ideologie basieren, werden sich auch in Zukunft nicht vermeiden lassen.
Es soll jedoch die Verpflichtung von uns allen, von Ärzten, Behörden und auch Medien sein, evidenzbasierte Informationen in transparenter und verständlicher Weise zu vermitteln.
Es heißt nicht umsonst: Wer nichts weiß, muss alles glauben. Daher kommt der fachlich qualifizierten Aufklärung eine besondere Bedeutung in jedem modernen Gesundheitswesen zu.
Nicht zuletzt deshalb werden Impfungen, neben der Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser, von der WHO als die zwei Gesundheitsinterventionen mit größtem Effekt auf die Volksgesundheit eingestuft.