Neue Medikamente gegen Obstipation

Enttabuisierung der Obstipation: Schätzungen zufolge leiden etwa 15 % der weiblichen und 5 % der männlichen Bevölkerung dauerhaft unter Verstopfung – die wahrscheinlich hohe Dunkelziffer ist dabei noch nicht berücksichtigt. So gesehen müsste Verstopfung ein Thema von großer Relevanz für Arzt und Patient sein, doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Das Thema wird gemieden. Patienten schämen sich oft, ihre Verdauungsbeschwerden aktiv anzusprechen und fühlen sich gehemmt, die Art der Symptome genauer zu beschreiben.
Ärzte werden bei vielen chronischen Erkrankungen mit Obstipation konfrontiert. Dennoch schenken sie dem Thema zu wenig Beachtung, sodass gezielte Fragen, wenn überhaupt, meist nur beiläufig gestellt werden. Dabei liegt eine chronische Obstipation in vielen Fällen als Begleiterscheinung der zugrunde liegenden Erkrankungen oder der medikamentösen Therapie vor.
Die chronische Obstipation ist weit mehr als nur eine Befindlichkeitsstörung – gerade wegen möglicher Komplikationen, die rasch zu einem ernsthaften medizinischen Problem anwachsen können, wie Koprostase, sterkorale Ulzera, Darmblutung oder Perforation. Obstipation kann die Lebensqualität der Betroffenen massiv einschränken. Für die Behandlung der Obstipation wird ein stufenweises Vorgehen empfohlen (Abb. 1). Zusätzlich zu den klassischen therapeutischen Möglichkeiten wurden in den letzen Jahren neue Therapieansätze (Prokinetikum Prucaloprid, Sekretagoga Linaclotid und Lubiproston) entwickelt, wobei nur Prucaloprid gegenwärtig in der EU am Markt ist.

 

 

Prucaloprid

Prucaloprid ist ein Prokinetikum aus der Gruppe der Serotonin(5-HT4)-Rezeptoragonisten, das nach Versagen der Therapieschritte der Stufen 1 und 2 zur Behandlung der idiopathischen chronischen Verstopfung bei Frauen zugelassen ist. Prucaloprid fördert die Motilität des Darms und die Darmentleerung (Abb. 2). Signifikant mehr Patienten, die mit Prucaloprid behandelt wurden, er­zielten eine Normalisierung der Stuhlgänge (im Mittel ≥ 3 SVSE/Woche über 12 Wochen) vs. Placebo in drei Phase-III-Studien. Mit der Obstipation werden viele andere Begleitsymptome der Obstipation verbessert. In der EU wurde Prucaloprid im Jänner 2010 zugelassen.

 

 

Prucaloprid fördert die Darmbewegungen und die Darmentleerung. Die Effekte beruhen auf dem selektiven und hochaffinen Agonismus an Serotonin(5-HT4)-Rezeptoren im Darm. In Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass Prucaloprid nicht proarrhythmisch ist und den HERG-Kaliumkanal in therapeutischen Dosen nicht hemmt. Bei Männern liegen bisher keine ausreichenden Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit vor. Das Potenzial für Arzneimittelwechselwirkungen wird als gering angesehen, weil Prucaloprid nicht mit CYP450 interagiert. Prucaloprid ist ein schwaches Substrat für P-Glykoprotein, was klinisch nicht relevant zu sein scheint. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Bauchschmerzen. Die Nebenwirkungen treten vorwiegend zu Beginn der Behandlung auf und verschwinden im Allgemeinen innerhalb weniger Tage.

Sekretagoga

Diese induzieren Wasser- und Chloridsekretion in das intestinale Lumen. Dies führt zu Reduktion der Stuhlkonsistenz, Erhöhung des Stuhlvolumens, Verbesserung des Stuhltransits und Linderung von Obstipationssymptomen. Untersuchte Substanzen sind Lubiproston (stimuliert die Chloridsekretion) und Linaclotid, welches zusätzliche Effekte auf die Darmsensorik hat.

Lubiproston ist ein Chloridkanal-Aktivator, der in der Schweiz im November 2009 zur Behandlung der chronisch-idiopathischen Verstopfung bei Erwachsenen zugelassen wurde. In der EU ist es noch nicht zugelassen. Zu den am häufigsten beobachteten unerwünschten Wirkungen gehören Übelkeit, Durchfall, Bauch- und Kopfschmerzen. Übelkeit tritt häufig auf und kann durch die Einnahme mit dem Essen reduziert werden. Die Wirksamkeit wurde in großen klinischen Studien untersucht. Es aktiviert den spannungsabhängigen ClC-2-Chloridkanal in Dünn- und Dickdarm. Die Kanäle sind an der apikalen Zellmembran der Epithelzellen der Schleimhaut lokalisiert und vermitteln den Transport von Chloridionen in das Darmlumen. Dies führt zu einem parazellulären Ausstrom von Natrium und Wasser und erhöht so die Sekretion von Flüssigkeit in den Darm. Die Darmbewegungen nehmen zu, die Transitzeit wird verkürzt, der Stuhl wird weicher und das zusätzliche Volumen löst den Defäkationsreflex aus. Lubiproston ist selektiv und aktiviert keine anderen Chloridkanäle wie beispielsweise CFTR („cystic fibrosis transmembrane conductance regulator“). Die Aktivierung ist unabhängig von der Proteinkinase A. Auch die Serumelektrolytwerte von Chlorid, Natrium und Kalium bleiben unbeeinflusst.

Linaclotid ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Guanylatzyklase-C-Agonisten. In der EU ist es seit Kurzem für die symptomatische Behanldung von mäßigem bis schwerem Reizdarmsyndrom mit Obstipation (RDS-O) bei Erwachsenen zugelassen, aber noch nicht am Markt. Die Wirkungen beruhen auf der Bindung an die Guanylatzyklase-C auf Darmepithelzellen. Linaclotid wirkt lokal im Darm und erhöht die Konzentration von cGMP (zyklisches Guanosinmonophosphat). Dadurch wird der CFTR-Ionenkanal aktiviert, was zu einer Erhöhung der Sekretion von Chlorid, Bikarbonat und Wasser in das Lumen des Verdauungstrakts führt. Es hat auch lokal schmerzlindernde Eigenschaften. Zu den häufigsten möglichen unerwünschten Wirkungen gehören Durchfall, Bauchschmerzen, Flatulenz und ein Blähbauch. Beim Auftreten eines schweren Durchfalls soll die Behandlung abgebrochen werden.

Zusammenfassung: Fachkreise und die breite Öffentlichkeit müssen über das Tabuthema Obstipation aufgeklärt werden, damit durch ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis die Lebensumstände für Patienten verbessert werden können.

In der Therapie der chronischen Obstipation …

  • gilt ein mehrstufiges Therapieschema, welches von Allgemeinmaßnahmen bis zu chirurgischen Therapien reicht.
  • werden Entleerungsstörungen durch Biofeedback und Klistiere therapiert.
  • ist eine Laxanzientherapie dauerhaft möglich und sinnvoll, aber oft nicht gut verträglich oder effektiv.
  • können Ballaststoffe eine leichte Obstipation bessern.
  • ist das Prokinetikum Prucaloprid eine erweiterte Therapieoption.
  • sind weitere medikamentöse Therapien in der Entwicklung.