Die Krankenkassen bilanzieren wieder positiv und die Ärztekammerwahlen sind geschlagen. In dieser Reihenfolge gingen im Mai/Juni wichtige Weichenstellungen in der Gesundheitspolitik über die Bühne. Für Dr. Lothar Fiedler, Obmann der Fachgruppe Innere Medizin in der Österreichischen Ärztekammer, ist nun der Zeitpunkt gekommen, wieder nach vorne zu schauen: „Jetzt ist es Zeit, sich neue Gedanken um eine positive Entwicklung zu machen.“ Er sieht die Chance, dass für die niedergelassenen Kollegen und für die Kassenpatienten der eng geschnallte Gürtel wieder etwas gelockert wird.
Alle Kassen meldeten für das Jahr 2011 positive Ergebnisse. Das gemeinsame Plus betrug 291 Millionen Euro. Freilich haben sie noch immer an einem Schuldenberg zu tragen. Aber von mehr als einer Milliarde im Jahr 2010 ist der Schuldenstand mittlerweile so gesunken, dass es möglich erscheint, dass die Kassen bis 2013 schuldenfrei sind. Nur mit Sparen allein lässt sich aber keine Zukunftsvorsorge betreiben. Versetzt man die niedergelassenen Ärzte in die Lage, ihre Patienten rechtzeitig umfassend zu betreuen, spart man spätere Behandlungskosten und übermäßige Beanspruchung der Spitäler „Wir müssen der niedergelassenen Ärzteschaft helfen, mehr Leistungen als bisher extramural durchführen zu können“, ist Fiedler überzeugt. Auch der Vorsitzende des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger, Dr. Hans Jörg Schelling, ist der gleichen Ansicht, meint Fiedler. Dazu einige Zahlen: Die Gesamtausgaben Gesundheit betragen pro Jahr aktuell ca. 28 Mrd. Euro, davon 22 Mrd. seitens der öffentlichen Hand (SV-Beiträge und Steuern), für die Spitäler werden jährlich ca. 11 Mrd. Euro ausgegeben. Steigerung zuletzt 4,5 % pro Jahr. Die Zahlungen der SV an die Spitäler betragen ca. 4,6 Mrd. Euro, ihre Ausgaben für Medikamente betragen ca. 3 Milliarden, aber die Ausgaben für ärztliche Hilfe im niedergelassenen Bereich betragen nur rund 2 Milliarden Euro!
In den vergangen Jahren wurde von den Ärzten zahlreiche solche sinnvollen Ausweitungen vorgeschlagen, kaum eine davon hat es in den Leistungskatalog geschafft: „Von vielen notwendigen Adaptierungen wurde höchstens über eine konkreter gesprochen“, beschreibt Fiedler viele Kassengespräche der letzten 10 Jahre.
„Wir müssen auch über eine Erweiterung der Stellenpläne für innere Medizin sprechen“, wird Fiedler konkret. Seit mehr als 5 Jahren, so gibt der Obmann der Fachgruppe Innere Medizin zu bedenken, seien die Stellenpläne mit „minimalen Ausnahmen“ nicht erhöht worden. Geht man davon aus, dass die Behandlungskosten im niedergelassenen Bereich günstiger sind als im Spital, wäre Erweiterung die logische Konsequenz. Dazu ist es nötig, die Gruppenpraxen auszubauen. „Wir brauchen mehr Leistungsabdeckung, auch die Möglichkeit, Ärzte bei Ärzten anzustellen.“ Längere Öffnungszeiten und eine optimale elektronische Vernetzung gehören dazu. Die meisten etablierten Kollegen, so weiß Fiedler, sind kaum zu motivieren, eine Gruppenpraxis zu gründen. Aber junge Kollegen, so seine Einschätzung, wären durchaus ansprechbar: „Man könnte die Stellen schon von vorneherein als solche ausschreiben.“ Für das Fach Interne hielte er z. B. den Zusammenschluss von Kolleginnen und Kollegen mit dem Schwerpunkt Kardiologie und Stoffwechsel mit Spezialisten für Endoskopie für äußerst sinnvoll. Für die immer größere werdende Zahl von Wahlärzten wären zusätzliche Fächerkombinationen frei wählbar: „Das hätte Vorbildwirkung.“ Das Kassensystem, so Fiedler, könnte davon lernen. Als dringend notwendig aufzunehmende Leistungen nennt Fiedler das Schlafapnoescreening, das 24-Stunden-EKG (gibt es nach wie vor nicht bei allen Kassen) und das ambulante Blutdruckmonitoring.
In den Spitälern ist die Behandlung seiner Meinung nach vor allem deswegen teurer, weil dort große Vorhaltekosten für einen aufwändigen technischen Apparat zu finanzieren sind. Zudem bedingen die Strukturen im Spital fast zwangsläufig Überdiagnostik, manchmal auch Überbehandlung. Der einzelne Arzt steht in der Spitalshierarchie unter großem Rechtfertigungsdruck. „Wir treten dem Patienten mit Verantwortung, aber auch mit Selbstvertrauen gegenüber“, beschreibt Fiedler die unterschiedlichen Bedingungen für Niedergelasse und Spitalsärzte. Für den niedergelassenen Arzt ist es leichter, sich mit den Patienten auf einen Diagnose- und Behandlungsweg über einige Wochen hindurch zu begeben. Im Spital muss möglichst alles gleichzeitig entschieden und dokumentiert werden. Auch akute Beschwerden immer sofort im Spital abklären zu lassen, so Fiedler, schießt leicht übers Ziel hinaus. „Man muss in die ambulante Medizin investieren!“, fordert Fiedler die Kassen zum Handeln auf.