Niereninsuffizienz und die richtige Diät 2020

Den Nieren kommt eine wesentliche Rolle bei der Regulation des Stoffwechsels zu. Wie bereits Claude Bernard richtig erkannte, halten sie das für unser Überleben essenzielle „innere Milieu“ aufrecht, indem sie unter anderem den Elektrolyt-, Säure-Basen- und Wasserhaushalt kontrollieren und den Organismus von unzähligen, vorwiegend stickstoffhaltigen Schadstoffen befreien. Nimmt die Nierenfunktion als Folge von unterschiedlichen Erkrankungen kontinuierlich ab, können diese nierenspezifischen Aufgaben nur noch in eingeschränktem Maße erbracht werden. Es ist daher naheliegend, durch optimale Anpassung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zumindest einen Teil des Funktionsverlustes auszugleichen. Gleichzeitig soll dadurch auch der Schwund an Muskelmasse vermieden werden, der die späten Stadien der Niereninsuffizienz kennzeichnet. Auch die durch eine Unzahl von Urämietoxinen hervorgerufenen Kollateralschäden am Gefäßsystem könnten so verringert werden. Zu guter Letzt stellt auch eine mögliche Verlangsamung der Progression der chronischen Niereninsuffizienz und damit ein Hinauszögern der Nierenersatztherapie (Dialyse, Nierentransplantation) ein wünschenswertes Ziel dar.1

Die „adäquate Nierendiät“ im Wandel der Zeit

Chronisch nierenkranke Patienten klagen häufig über einen gestörten Geschmacks- und Geruchssinn sowie über einen eingeschränkten Appetit. Durch die strengen Vorschriften einer auf „biologisch hochwertiges Eiweiß“ beschränkten Diät, die eine ausreichende Zufuhr von essenziellen Aminosäuren gewährleisten soll, verbunden mit radikaler Kochsalzbeschränkung, gestaltet sich eine adäquate und wohlschmeckende Nahrungszufuhr zusätzlich schwierig. Ausgelöst durch unser umfassenderes Wissen über die je nach Herkunft unterschiedliche Resorption der Nahrungsbestandteile, die Bedeutung des Mikrobioms für die Urämie und die fehlende Relevanz der „biologischen Wertigkeit“ der aus tierischen Quellen stammenden Proteine, ändern sich gerade unsere Vorstellungen von einer adäquaten Nierendiät. In einer Reihe von rezenten Arbeiten wird auf die möglichen positiven Auswirkungen einer pflanzlich basierten Kost auf die Komplikationen der chronischen Niereninsuffizienz hingewiesen.2 Auch wenn es derzeit noch keine prospektiven Interventionsstudien mit harten Endpunkten gibt, so sollten bereits existierende experimentelle Untersuchungen und Assoziationsstudien den Weg zu einem Umdenken in der Nierendiät bahnen.

Pflanzliches Eiweiß und wissenschaftliche Evidenz: Für die Normalbevölkerung wurde in einer Beobachtungsstudie („Atherosclerosis Risk In Communities“-Kohorte) eine negative Assoziation zwischen dem Auftreten einer chronischen Nierenkrankheit und dem Anteil an pflanzlichem Eiweiß in der Nahrung festgestellt.3 Unter Verwendung der NHANES-Daten konnten Chen et al. zeigen, dass bei den Teilnehmern mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) < 60 ml/min, die noch nicht dialysepflichtig waren, ein höherer Eiweißanteil aus pflanzlichen Quellen in der Nahrung mit einer deutlich niedrigeren Mortalität (–23 %) einhergeht.4 Experimentell wurde bei Ratten nachgewiesen, dass ein Überwiegen von pflanzlichem Protein in der Nahrung zu einem ver­zögerten Auftreten und einer langsameren Progression der Nierenschädigung führt.5 Als mögliche Erklärung dafür könnte die unterschiedliche Zusammensetzung von Aminosäuren in tierischem und pflanzlichem Eiweiß eine Rolle spielen. Glycin und Alanin, beide in pflanzlichem Eiweiß reichlich vorhanden, beeinflussen, wie bereits vor langer Zeit festgestellt wurde, die renale Hämodynamik günstig, indem sie den renalen Plasmafluss reduzieren, den renalen Gefäßwiderstand erhöhen und die fraktionelle Ausscheidung von Albumin und IgG vermindern.6

Der Einfluss des Mikrobioms: Neben Monosacchariden wie Glukose und Fruktose enthalten pflanzlich basierte Diäten große Mengen an Polysacchariden (Stärke und Ballaststoffe). Während Stärke durch Amylasen gespalten werden kann, enthalten die sogenannten Ballaststoffe Kohlenhydratpolymere, die weder verdaut noch resorbiert werden können. Sie beeinflussen jedoch die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm, wodurch es zur vermehrten Stickstoffausscheidung über den Stuhl kommt. Saccharolytische Bakterien sind in der Lage, Ballaststoffe zu fermentieren, wodurch kurzkettige Fettsäuren (z. B. Acetat, Butyrat oder Propionat) entstehen, die antiinflammatorische und immunmodulierende Wirkungen haben. Proteolytische Darmbakterien fermentieren Nahrungseiweiß und produzieren dadurch verschiedene Urämietoxine (Indoxylsulfat, Indol-3-Acetoacetat, p-Cresylsulfat, Trimethylamin-N-Oxid), die bei normaler Nierenfunktion renal ausgeschieden werden, bei eingeschränkter Nierenfunktion jedoch zu verschiedenen Urämiesymptomen beitragen und zu einer rascheren Progression der Niereninsuffizienz führen können.7

In einigen kleineren und zumeist nur kurz dauernden Interventionsstudien konnte durch eine ballaststoffreiche Ernährung eine Reduktion verschiedener Urämietoxine und Inflammations­marker im Serum nachgewiesen werden.8, 9 Durch den hohen Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren in pflanzlichem Fett (z. B. Olivenöl, Nüsse) wurde auch ein günstiger Effekt auf das Lipidprofil nachgewiesen.10 Eine pflanzlich basierte Diät hat auch einen niedrigeren Anteil an nichtflüchtigen Säuren, wodurch der Säure-Basen-Haushalt günstig beeinflusst wird. Bekanntermaßen sind eine hohe diätetische Säurezufuhr und eine hohe endogene Säureproduktion mit einer rascheren Abnahme der geschätzten GFR (eGFR) und einem erhöhten Risiko für eine Nierenersatztherapie assoziiert.11, 12 Während rund 40–60 % des an tierisches Eiweiß gebundenen Phosphats resorbiert werden, beträgt dieser Anteil bei an pflanzliches Eiweiß gebundenem Phosphat nur 20–50 %. Im Vergleich dazu wird der in Konservierungsstoffen bei der Nahrungsmittelherstellung verwendetes Phosphat zu fast 100 % resorbiert. Mit einer Kost, die auf pflanzlichem Eiweiß beruht, lässt sich auch der Phosphatspiegel im Blut besser kontrollieren.13

Ähnlich wie beim Phosphat ist auch die Bioverfügbarkeit von Kalium als Bestandteil einer pflanzlich basierten Diät deutlich niedriger als bei Kalium aus einer tierisch basierten Kost, sodass bei Ersterer die Gefahr einer Hyperkaliämie geringer ist.14 In einer Reihe von Beobachtungsstudien konnte außerdem keine überzeugende Assoziation zwischen diätetisch zugeführtem Kalium und dem Serum-Kalium-Spiegel bei chronisch nierenkranken Patienten gezeigt werden.15

Resümee

Die Ernährung stellt einen wichtigen und noch immer vernachlässigten Faktor bei der Behandlung und Betreuung chronisch nierenkranker Patienten dar. Eine hauptsächlich auf pflanzlichen Nahrungsstoffen basierende Diät könnte einen wesentlichen günstigen Einfluss auf eine Reihe urämiebedingter Symptome haben; allerdings fehlen noch prospektive kontrollierte Studien mit harten Endpunkten, wie z. B. dem Hinauszögern der Dialysepflichtigkeit, verringerte Komorbiditäten oder ein längeres Überleben.