Herzinsuffizienz mit erhaltener systolischer Funktion (oder sogenannte „heart failure with preserved ejection“, HFpEF) ist die häufigste Diagnose bei hospitalisierten Patienten im Alter > 65 Jahre. Zurzeit leiden allein in Europa und den USA rund 6 Millionen Menschen unter HFpEF, für die keine evidenzbasierten Therapieoptionen existieren.1 Die Hauptgründe für die stets steigende Prävalenz sind die Alterung der Gesellschaft und andere Risikofaktoren wie beispielsweise arterielle Hypertonie, Adipositas und Diabetes mellitus. Somit stellt diese Krankheit eine der größten Herausforderungen in der kardiovaskulären und geriatrischen Medizin dar.
Auf Grund einer vermehrten linksventrikulären Steifigkeit des Herzens und einer verminderten myokardialen Relaxation kommt es bei HFpEF zu einer eingeschränkten Ventrikelfüllung (diastolische Dysfunktion), die in Ruhe asymptomatisch sein kann, sich jedoch bei körperlicher Belastung äußert, weil der Ventrikel nicht mehr in der Lage ist, das enddiastolische Volumen ausreichend zu erhöhen und an den Bedarf anzupassen. In Folge kommt es zu Kurzatmigkeit und Leistungseinbruch. Die Suche nach wirksamen HFpEF-Pharmakotherapien blieb durch die vielfältige Krankheitssymptomatik2, die zunehmend als altersbedingtes systemisches Syndrom anerkannt wird, bisher erfolglos. Die Komplexität von HFpEF ist weiters durch geschlechtsspezifische Unterschiede gekennzeichnet, denn Frauen mit HFpEF haben eine schlechtere Lebensqualität trotz höherem Gesamtüberleben als Männer mit HFpEF.3
Epidemiologische und experimentelle Studien belegen, dass verschiedene Grunderkrankungen, vor allem Adipositas, metabolisches Syndrom und Hypertonie, zu den häufigsten Ursachen bzw. Risikofaktoren der HFpEF gehören.2 Die aus der jeweiligen Grunderkrankung resultierenden pathophysiologischen Mechanismen, wie beispielsweise chronische, subklinische Entzündungen (Inflammation) und nitrosativer/oxidativer Stress4, die zu HFpEF führen, aber noch unzureichend verstanden sind, können potenziell durch eine stoffwechselbasierte Therapie, die auf das Herz und auf periphere Organe wirkt, präventiv behandelt werden. Klassische Medikamente gegen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF), wie beispielsweise neurohormonale Antagonisten und Nitratderivate, können die Lebensqualität und Überlebenszeit bei Patienten mit HFpEF jedoch nicht verbessern. Bis dato haben sich nur körperliche Aktivität und Kalorienrestriktion als vielversprechende Therapie-/Präventionsansätze erwiesen.* Die aktuell aufkommenden Anti-Aging-Therapien mit pleiotroper Wirkung bilden die vielversprechendsten Ansätze.
In der Klasse der Anti-Aging-Therapien sind Kalorienrestriktion oder Fasten die effektivsten lebensverlängernden Interventionen, die auch linksventrikuläre Hypertrophie und Belastbarkeit bei Männern und Frauen mit HFpEF verbessern.5 Allerdings ist die Implementierung einer Kalorieneinschränkung beim Menschen aufgrund mangelnder Compliance und nachteiliger Auswirkungen auf die Knochendichte und das Immunsystem begrenzt oder sogar kontraindiziert. So wird intensiv an sogenannten Kalorienrestriktionsmimetika („caloric restriction mimetics“; CRM) geforscht, die die gesundheitsfördernden Mechanismen der kalorischen Restriktion zumindest teilweise aktivieren. Diese fastennachahmenden Moleküle wären damit eine der attraktivsten und vielleicht praktikabelsten Interventionen für die tägliche Ernährung – wohl auch, weil damit eine ausgewogene Nahrungsmittelzusammensetzung beibehalten und die Versorgung mit allen Nährstoffen ohne Kalorienreduktion sichergestellt wäre.
Ein vielversprechender Kandidat für ein solches CRM ist Nikotinamid, ein natürlich vorkommender Vorläufer des Koenzyms Nikotinamid-Adenin-Dinukleotids (NAD+). Kalorienrestriktion führt zu einer signifikant erhöhten NAD+-Konzentration, die im Alter und bei Adipositas abnimmt.6 NAD+ spielt als Koenzym im Metabolismus, wie beispielsweise im Zitratzyklus, beim Abbau von Kohlenhydraten oder in der Redox-Homöostase in Mitochondrien, eine zentrale und lebenswichtige Rolle. NAD+ fungiert als Elektronenakzeptor bei der katabolen Oxidation von Energieträgern. Durch die Aktivierung von Enzymen, den sogenannten Sirtuinen, kurbelt NAD+ unter anderem die Fettverbrennung an und reduziert so die Gefahr von Übergewicht. Als NAD+-Vorläufer zeigt daher auch die Gabe von Nikotinamid ähnliche Effekte wie die kalorische Restriktion.
In einer rezenten Studie konnte gezeigt werden, dass die NAD+-Konzentration im Myokard von HFpEF-Patienten reduziert ist.7 Ähnliche Phänotypen wurden auch in übergewichtigen Ratten mit metabolischem Syndrom und diastolischer Dysfunktion beobachtet. Die orale Verabreichung (als Zusatz im Trinkwasser) des natürlichen NAD+-Vorläufers Nikotinamid förderte die Synthese von NAD+ und verbesserte wesentliche HFpEF-Symptome in drei verschiedenen Tiermodellen mit diastolischer Dysfunktion (metabolisches Syndrom, Hypertonie oder fortgeschrittenes Altern) signifikant (Abb.). Der erhöhte oxidative Abbau von Fettsäuren und Gewichtsabnahme zusammen mit einer wiederhergestellten Energiehomöostase in Myokard und Skeletmuskel wurden für viele der positiven Effekte von Nikotinamid verantwortlich gemacht. Die Forscher haben in dieser Studie einen neuen Mechanismus für die Regulierung der Elastizität von Kardiomyozyten identifiziert und entschlüsselt: Im Herzen wirkte Nikotinamid über Induktion einer Titin-Deazetylierung und dadurch einer direkten Reduktion der passiven Steifigkeit von Kardiomyozyten. Da Nikotinamid beim Menschen bereits erfolgreich zur Behandlung von Nieren- und Skelettmuskelerkrankungen verträglich eingesetzt wurde8, 9, könnten diese Befunde auch neue Wege eröffnen, dem Verlust der Herzelastizität bei Patienten mit HFpEF mit zunehmendem Alter entgegenzuwirken.
Um einen direkten Effekt von Nikotinamid auf das Herz nachzuweisen, wurden zwei nicht übergewichtige Tiermodelle herangezogen. Bei alten Mäusen konnte gezeigt werden, dass die Gabe von Nikotinamid die Herzalterung verzögert und dabei gleichzeitig eine häufige altersbedingte Verdickung der Herzwand (Hypertrophie) vermindert und dessen Elastizität fördert. Der Herzmuskel „versteifte“ also weniger als in der Vergleichsgruppe, die kein Nikotinamid erhielt. Letztlich führten diese Effekte zu einer verbesserten linksventrikulären Relaxation und Füllung des Herzens. Bei salzempfindlichen Ratten, die durch eine salzreiche Diät Bluthochdruck und in späterer Folge eine akute Herzinsuffizienz entwickeln, konnte die Gabe von Nikotinamid die Elastizität des Herzmuskels verbessern und die Genese der Herzinsuffizienz verzögern. Diese Erkenntnisse sind klinisch relevant, da bei älteren Menschen Bluthochdruck und Hypertrophie zu den häufigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer diastolischen Dysfunktion zählen, die in weiterer Folge in HFpEF übergehen kann.
Das vom Organismus benötigte NAD+ wird zum Teil aus dem mit der Nahrung aufgenommenen Niacin (NAD+-Vorläufer, bestehend aus Nikotinamid und Nikotinsäure) und zum Teil aus der essenziellen Aminosäure Tryptophan (NAD+-Vorläufer) hergestellt. Daten aus der sogenannten „BRUNECK-Studie“ zeigten, dass Menschen mit einer niacinreichen Ernährung deutlich weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen als Menschen, die weniger Niacin mit der Nahrung zu sich nehmen (Niacin kommt in verschiedensten Lebensmitteln vor, z. B. in tierischen Lebensmitteln wie Huhn, Rind und Fisch, aber auch in pflanzlichen Lebensmitteln wie Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide**).7 In dieser Studie wurden seit 1990 insgesamt 815 Menschen im Raum Bruneck in Südtirol (Italien) begleitet und deren Ernährungsgewohnheiten mit Hilfe von Fragebögen und unter Anleitung von Ernährungsberatern dokumentiert. So konnte die mit der Nahrung aufgenommene Niacin-Menge berechnet werden und in weiterer Folge mit der Krankheitsgeschichte dieser Personen korreliert werden. Erhöhte Mengen an Niacin in der Nahrung waren mit reduziertem Bluthochdruck und erniedrigtem Mortalitätsrisiko auf Grund von Herzkrankheiten assoziiert (Abb.).**
Zusammengefasst liefert diese Studie klinisch hochrelevante Erkenntnisse und eröffnet weitreichende Perspektiven für die Therapie von altersassoziierten Herzerkrankungen wie HFpEF. Möglicherweise stellt eine Erhöhung der NAD+-Bioverfügbarkeit durch die gesteigerte Aufnahme von Nikotinamid oder anderen NAD+-Vorläufer eine erste evidenzbasierte Therapie gegen HFpEF dar.