Dr. Marco Gerlinger: Unsere Intention war folgende: Wir wollten untersuchen, wie stark sich unterschiedliche Regionen in einem relativ großen Primärtumor, aber auch zwischen Primärtumor und Metastasen, genetisch unterscheiden. Zusätzlich sollte untersucht werden, welche funktionellen Konsequenzen diese genetischen Veränderungen haben. Die Untersuchungen führten wir an vier primären Nierenzellkarzinomen durch. Bei einem Tumor hatten wir zudem zwei und bei einem weiteren Tumor eine zugehörige Metastase zur Verfügung. Diese zwei metastasierten Tumorfälle studierten wir im Detail mit der Sequenzierung aller proteinkodierten Gene. Wir untersuchten auch die chromosomalen Aberrationen und führten zusätzlich Ploidie-Analysen durch.
Die integrierte Sequenzierung ergab, dass sich die genetische Ausstattung des Tumors je nach Stelle der entnommenen Tumorbiopsie stark unterscheidet – und das sehr eindeutig. Weiters stellte sich heraus, dass die unterschiedlichen genetischen Befunde mit der unterschiedlichen Expression einer prognostischen Gensignatur und mit der Signaltransduktion im mTOR-Pathway korrelieren.
Was wir wohl als wesentliche Aussage der Studie erachten, ist die Tatsache, dass eine einzelne Biopsie nicht wirklich repräsentativ für den gesamten Tumor und die damit assoziierten Metastasen ist. Für die gegenwärtigen Versuche, die Behandlung von Krebspatienten durch die Sequenzierung einzelner Biopsien zu personalisieren, ist das problematisch.
Genetische intratumorale Heterogenität wurde bislang vor allem an einer Handvoll individueller Gene untersucht. Zum Beispiel kann die HER2-Amplifikation innerhalb von Brustkrebstumoren sehr heterogen sein. „Next Generation Sequencing“ wurde erst in einer kleinen Anzahl an Studien genutzt, um Veränderungen zwischen Primärtumor und Metastasen zu betrachten. Auch da wurde bereits eine gewisse Heterogenität festgestellt, wenn auch nicht auf der gleichen Detailebene wie unsere Studie. Wir haben mit unserer Studie einen nächsten Schritt unternommen und multiple Regionen eines Primärtumors sequenziert und konnten dadurch zeigen, dass die Unterschiede in diesen Tumoren einfach noch viel größer sind, als man bisher vermutet hat. Wir konnten dann weiter zeigen, dass diese heterogenen genetischen Veränderungen Einfluss auf Genexpressionsprofile und die Aktivität von Signaltransduktionswegen haben. Es ist davon auszugehen, dass es in anderen Tumorentitäten eine ähnliche Heterogenität gibt.
Als interessantes Ergebnis haben wir gesehen, dass einige Gene, von denen wir angenommen haben, dass sie wesentliche Driver im Nierenzellkarzinom sind, gar nicht so früh mutiert werden, wie wir vermutet haben, sondern dass diese Mutationen erst später auftreten, wenn der Tumor schon eine bestimmte Größe erreicht hat. Diese Gene sind dann nicht im ganzen Tumor verändert, sondern nur in einem Unterklon. Das sind vermutlich schlechte molekulare Veränderungen für ein therapeutisches Vorgehen, weil nicht der gesamte Tumor dadurch behandelbar ist. Im Gegensatz dazu sind Gene, die grundsätzlich sehr früh mutieren, wahrscheinlich relativ gute „Drug Targets“. Diesbezüglich werden wir weiter untersuchen, welche Vorgänge beim Nierenzellkarzinom grundsätzlich sehr früh stattfinden und infolgedessen in allen Zellen eines größeren Tumors zu Mutationen führen bzw. was erst später passiert und was nur in einer Untergruppe stattfindet. Wir hoffen, dass diese Strategie dazu führen wird, in Zukunft effektivere Medikamente entwickeln zu können.
Ich denke, die neuen Sequenzierungstechnologien sind noch nicht wirklich in der klinischen Praxis angekommen. Es wurden große Hoffnungen darauf gesetzt, unsere Daten zeigen aber, dass es komplizierter ist, als wir vermutet haben. Es wird eine Entwicklung stattfinden, und die gegenwärtigen Fortschritte bei der Sequenzierung des Tumorgenoms werden extrem wichtig werden, um in Zukunft Therapieentscheidungen zu fällen. Aktuell heißt es weiterzuforschen – im Primärtumor und in den Metastasen – und neue Techniken zu entwickeln, mit denen sich ein kompletteres Bild von der Tumorgenetik aufzeichnen lässt.
Wir sind im Moment dabei, eine größere Anzahl von Tumoren zu untersuchen. Die entscheidenden Fragen, die wir uns stellen wollen, sind sicher: Welche frühen Veränderungen sind ubiquitär in den Tumoren vorhanden? Das wird für die Medikamentenentwicklung wichtig sein. Wir wollen auch untersuchen, wie das Ausmaß der genetischen Heterogenität mit dem klinischen Verhalten von Tumoren korreliert. Sind heterogene Tumoren aggressiver und schwieriger zu behandeln? In weiteren soeben anlaufenden Studien werden wir natürlich auch versuchen, genetische Techniken zu entwickeln, die die Genetik des kompletten Tumors erfassen können, z. B. durch die Analyse von zirkulierenden Tumorzellen im Blut. Diese Technologien sind im Moment in den Kinderschuhen, Ideen dafür haben wir aber bereits, um in Zukunft bessere diagnostische Tests anbieten zu können.
Ja, wir sind daran interessiert, andere Tumoren ebenso zu untersuchen. Wir entwickeln derzeit Projekte, erste haben bereits begonnen.
Ich glaube, es war ein notwendiger Schritt, um die personalisierte Krebsmedizin weiterzuentwickeln. Diese Ergebnisse erklären eventuell viele Rückschläge in der Biomarkerentwicklung, die wir über die letzten Jahre gesehen haben. Viele Marker werden in einer relativ kleinen Kohorte an Patienten gefunden, lassen sich aber nie validieren. Diese Heterogenität kann eventuell die Erklärung dafür sein. Wenn wir ein besseres Verständnis dafür haben, dass Tumoren heterogen sind und wir die Biopsien breiter vornehmen müssen, hoffen wir auf die zukünftige Entwicklung robusterer Marker. Auch wenn dies im ersten Ansatz mit einem größeren zusätzlichen Aufwand verbunden ist, erlaubt es in Richtung personalisierter Medizin einen weiteren Fortschritt.
Ja, wir generieren enorme Datenmengen, und einige Projekte mussten sicher zurückstehen, damit wir unsere Studie abschließen konnten. Ein Problem ist im Moment sicher die extrem aufwändige Datenverarbeitung, da es sich um eine genomweite Studie handelt. In Zukunft wird es wichtig sein, uns auf den wesentlichen Bereich im Genom zu beschränken. Man muss wahrscheinlich kein komplettes Genom sequenzieren, um die wesentlichen Informationen zu erhalten. Damit kann man den Prozess natürlich effizienter machen. Derzeit haben wir einfach noch nicht genügend Daten, um jetzt schon Einschränkungen treffen zu können.