Opioidinduzierte Obstipation

Opioide sind ein fester und wertvoller Bestandteil des Therapiemanagements akuter und chronischer Schmerzen sowohl maligner als auch nichtmaligner Genese. Mit ihrer Einnahme sind jedoch häufig gastrointestinale Nebenwirkungen verbunden, wobei insbesondere die opioidinduzierte Obstipation (Opioidinduced Constipation, OIC) häufig unterschätzte Auswirkungen auf das Befinden von Schmerzpatienten hat. Ihr angemessenes Management ist wesentlich für Compliance und Patientenzufriedenheit im Rahmen der Schmerztherapie.

Häufigste unerwünschte Opioidwirkung

Patienten mit chronischen Schmerzen werden häufig aufgrund der begrenzten analgetischen Potenz und der Organtoxizität von Analgetika der WHO-Stufe 1 mit Opioiden der WHO-Stufe 2 (schwache Opioide) oder 3 (starke Opioide) behandelt. Damit verbunden sind nicht selten opioidinduzierte gastrointestinale Komplikationen (Opioid-induced Bowel Dysfunction; OIBD), allen voran die opioidinduzierte Obstipation (Opioid-induced Constipation; OIC). Diese kann prinzipiell unter allen niedrigund hochpotenten Opioidanalgetika der WHO-Stufen 2 und 3 auftreten, unabhängig vom Applikationsweg, also auch bei transdermaler Gabe. OIC ist mit 40–90 % die häufigste unerwünschte Opioidwirkung, wobei diese bei palliativmedizinischen Patienten häufiger auftritt als bei ambulanten Tumorpatienten oder Patienten mit chronischen Schmerzen anderer Genese. Mit mehr als 11 % ist die OIC auch ein nicht zu vernachlässigender Grund für die Hospitalisierung von Palliativpatienten. Bei ambulanten Tumorpatienten ist sie ähnlich hoch wie bei Patienten mit chronischen Schmerzen nichtmaligner Genese.

Hohe Krankheitslast und Gesundheitskosten

Eine chronische OIC ist für die Mehrzahl der Patienten mit einer signifikanten Einschränkungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens, der Funktionalität und Lebensqualität verbunden. Aufgrund des daraus resultierenden hohen Leidensdrucks brechen nicht wenige Patienten ihre an sich wirksame Opioidtherapie aufgrund der OIC-Belastung ab. Neben der gravierend verminderten Lebensqualität verursacht eine OIC jedoch auch höhere Kosten für das Gesundheitssystem. So ist bei Krebspatienten mit einer OIC eine doppelt so häufige Hospitalisierung im Vergleich zu jenen ohne Obstipation notwendig.

Definition und Symptome der OIC

Gastrointestinale Motilitätsstörungen können den gesamten Gastrointestinaltrakt oder auch nur einzelne Bereiche betreffen. Anzeichen für Störungen im oberen Trakt (Magen und Dünndarm) sind beispielsweise Übelkeit, Erbrechen, frühzeitiges Sättigungsgefühl, typische Symptome für den unteren Trakt (Kolon) das fehlende Abgehen von Winden sowie das fehlende Absetzen von Stuhl für mehr als drei Tage. Die OIC ist nach aktuell geltendem Verständnis als eine Änderung des Stuhlgangs unter einer Opioid-Therapie definiert, die mindestens einen der folgenden Aspekte betrifft:

  • Verminderung der Stuhlfrequenz
  • härtere Stuhlkonsistenz
  • Auftreten oder Verschlechterung der Notwendigkeit des starken Pressens, um den Stuhl zu entleeren
  • Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung

Beurteilung der Darmfunktion

In der Praxis stehen drei einfache Screening- Methoden zur Verfügung:

1. Als einfaches Diagnose- und Kontrollinstrument hat sich der BFI (Bowel Function Index) erwiesen, der als einziger speziell für die OIC-Diagnose validiert wurde. Diese Methode ist für Arzt und Patient schnell erlernbar und gut anwendbar und kann zuhause durchgeführt werden. Es werden drei Aspekte erfasst:

  • Leichtigkeit der Defäkation/Stuhlgangentleerung (NAS: 0 = einfach bis 100 = mit größter Schwierigkeit)
  • Gefühl der inkompletten Entleerung (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark)
  • persönliche Einschätzung der Obstipation (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark)

2. Praktische Obstipationsskala: wenn das objektive Kriterium „kein Stuhlgang > 72 Stunden“ erfüllt ist und mindestens ein subjektives Kriterium (z. B. Pressen, Defäkationsprobleme, Gefühl der unvollständigen Entleerung mit NRS > 5) bejaht wird und/oder eine harte Stuhlkonsistenz vorliegt, kann von einer OIC ausgegangen werden.

3. Als dritte Alternative kann, insbesondere bei geriatrischen oder Pflegeheim-Patienten, die „Bristol Stool Form Scale” angewendet werden, welche die Stuhlform bildlich darstellt.

Fallbeispiele

Wir konnten mit Naloxegol bei Tumor und Nicht-Tumor-Patienten über den Zeitraum Erfahrung sammeln:

Patient D. L. geboren 1963

Diagnosen:

  • chronisch unbeeinflussbarer Schmerz
  • chronisches Schmerzsyndrom
  • Osteochondrose mit Spinalkanalstenose HWK 6/7
  • Neuroforamenstenose HWK 6/7
  • ventrale Dekompression HWK 6/7 + Cage am 08. 02. 2016
  • Status post 2 x SCS-Sonde

Der Patient nahm hochdosiert Fentanyl transdermal, Amitriptylin, Metamizol, Gabapentin ein. Es wurde beim Patienten eine Austestung mit der Implantation einer Schmerzpumpe durchgeführt. Derzeit hat der Patient in der Schmerzpumpe Morphin mit einer Tagesdosis von 2,65 mg pro Tag. Zusätzlich zur intrathekalen Therapie erfolgt die Therapie mit Amitriptylin 25 mg abends und Pregabalin 150 mg 2-mal 1 Tablette. Der Patient klagt immer wieder über auftretende opioidinduzierte Obstipation, hatte als Therapie bereits Marcrogol und Natriumpicosulfat ohne ausreichende Wirkung. Der Patient wurde im Juli 2018 auf Naloxegol 25 mg eingestellt und hat diese zu Beginn regelmäßig eingenommen. Aktuell erfolgt die Naloxegol-Gabe bei Bedarf, alle 2–3 Tage 25 mg. Nebenwirkungen keine.

Die Beurteilung der Darmfunktion nach Bowel Function Index:

  • Leichtigkeit der Defäkation/Stuhlgangentleerung (NAS: 0 = einfach bis 100 = mit größter Schwierigkeit) zu Beginn 100 jetzt 30
  • Gefühl der inkompletten Entleerung (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) Beginn 80 jetzt 30
  • persönliche Einschätzung der Obstipation (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) Beginn 100 jetzt 40.

Fazit: Naloxegol brachte eine Verbesserung der Lebensqualität, und auch die opioidinduzierte Obstipation konnte behoben werden.

 

Patient S. W., geboren 1942

Diagnosen:

  • massive chronische Unterbauchschmerzen
  • massive PAVK
  • St. p. Carotis-Operation
  • St. p. PTA und Lyse
  • Mesenterica-inferior-Verschluss mit einer hochgradigen Stenose

Der Patient klagt über massive viszerale Schmerzen, ziehende Schmerzen im Bereich der rechten Leistengegend, verträgt Opioide schlecht und klagt über eine massive Obstipation. Es erfolgte eine Therapie mit Hydromorphon 2,6 mg bei Schmerzspitzen. Der Patient war auf Cannabidiol 5-5-2,5 mg eingestellt worden. Aufgrund einer therapieresistenten opioidbedingten Obstipation und Nichtansprechen auf Laxanzien (Macrogol, Natriumpicosulfat) wurde der Patient auf Naloxegol 25 mg 1-mal täglich eingestellt. Es traten keine Nebenwirkungen auf.

Beurteilung nach Bowel Function Index:

  • Leichtigkeit der Stuhlgangentleerung (NAS: 0 = einfach bis 100 = mit größter Schwierigkeit) zu Beginn 100 jetzt 10
  • Gefühl der inkompletten Entleerung (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) zu Beginn 90 jetzt 10
  • persönliche Einschätzung der Obstipation (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) zu Beginn 90 jetzt 40.

 

Patient S.F. geboren 1952

Diagnose:

• N. Bronchi mit Metastasierung in die Brustwirbelsäule

Der Patient leidet unter tumorbedingten Schmerzen. Schmerztyp: nozizeptiver Schmerz mit neuropathischer Schmerzkomponente. Die Therapie erfolgt mit Norgesic, transdermalem Buprenorphin 105 μg, Buprenorphin sublingual 0,4 mg bei Schmerzattacken, Tetrahydrocannabinol 3-mal 2,5 mg, dem Antiemetikum Ondansetron. Für Durchbruchschmerzen bekommt der Patient Temgesic sublingual bis zu 4-mal täglich. Der Patient klagt über massive Obstipation, die er trotz herkömmlicher Relaxanzien nicht in den Griff bekommt. Eingestellt wird der Patient auf Naloxegol 25 mg 1-mal täglich. Es treten keine Nebenwirkungen auf.

Einschätzung des Opioid-Patienten von Naloxegol über drei Monate:

  • Leichtigkeit der Stuhlgangentleerung (NAS: 0 = einfach bis 100 = mit größter Schwierigkeit) zu Beginn 100, d.h. mit größter Schwierigkeit, jetzt 30
  • Gefühl der inkompletten Entleerung (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) zu Beginn 30 jetzt 10
  • persönliche Einschätzung der Obstipation (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) zu Beginn 40–50 jetzt 10.

Zusammenfassung

Die Fallbeispiele zeigen, dass Naloxegol 25 mg 1-mal täglich sowohl bei Patienten mit Nicht- Tumor-Schmerzen als auch bei Patienten mit Tumorschmerzen bei opioidbedingter Obstipation angewendet werden kann. Die Therapie bewirkt eine deutliche Verbesserung der Darmfunktion beurteilt nach Bowel Function Index. Die Wirkung bleibt selbst bei einer Anwendung von Naloxegol über mehrere Monate ohne Nebenwirkungen bestehen.