Opioidtherapie ohne Atemdepression


Die Atemdepression ist eine seltene, dennoch sehr schwerwiegende und mitunter lebensbedrohliche Nebenwirkung der Opioide. Bei Schmerztherapie mit Opioiden tritt in der Regel keine klinisch relevante Atemdepression auf, solange sich die Opioiddosierung an dem Ausmaß der Schmerzreduktion orientiert und eine Überdosierung vermieden wird. Die Atemdepression – als verminderte Ansprechbarkeit des Atemzentrums auf Atemantrieb – wird durch eine verminderte CO2-Empfindlichkeit des Atemzentrums über die µ-Opiatrezeptoren ausgelöst. Das heißt, dass der µ-Rezeptor-Agonismus der Opioide die Reaktion auf erhöhtes pCO2 vermindert und so eine Atemdepression hervorruft. Sie ist direkt proportional zur analgetischen Potenz des Opioids. 



Diagnose: Eine Atemdepression wird diagnostiziert, wenn es zu seltenen (weniger als 8 Atemzüge pro Minute) und tiefen Atemzügen in Rahmen einer Opioidtherapie kommt. Als milde Form tritt eine Hypoventilation mit wenigen Atemzügen pro Minute (AF < 10/min) auf. Charakteristisch für diesen Zustand ist das Faktum, dass der betroffene Patient einer Aufforderung zum aktiven Atmen nachkommt. Man spricht von einer so genannten Kommandoatmung. Bei höherer Opioiddosierung kommt es zur kompletten Sistierung der Atmung, also zum Atemstillstand.
Die Atemfrequenz ist nicht immer ausreichend zur Diagnostik der Hypoventilation bzw. der Atemdepression geeignet, deswegen sollte man auch den Sedierungszustand (Vigilanz) des Patienten beachten. Vor allem die starke oder zunehmende Sedierung weist auf inadäquate Ventilation hin. Aber auch die Pupillen (stecknadeleng), Herzfrequenz (Bradykardie) sowie der Abfall der peripheren Sauerstoffsättigung via Pulsoxymetrie geben einen Hinweis auf die mögliche Überdosierung und die drohende Atemdepression.

Erhöhtes Risiko bei starken Opioiden

Die berichtete Inzidenz der opioidinduzierten Atemdepression variiert von 0,05–1 %, wobei diese bei jedem Verabreichungsmodus – oral, parenteral, via PCA-Pumpe oder neuroaxial (epidural/spinal) – und bei allen Substanzen vorkommen kann. Allerdings ist die Atemdepression direkt proportional zur analgetischen Potenz des Opioids. Daher ist die Gefahr einer Atemdepression bei Anwendung von schwachen Opioiden (wie Tramadol) in adäquater (entsprechend der Schmerzstärke und dem allgemeinen Zustand des Patienten) Dosierung minimal, d. h. in klinischen Dosen ist Tramadol diesbezüglich fast unbedenklich. Anders verhält es sich mit starken Opioiden. Abhängig vom Verabreichungsmodus und der Substanz kann im Fall einer Überdosierung die Atemdepression sehr bald (z. B. nach i. v. Gabe des starken Opioids) oder aber auch mit einer großen Latenz – bis 24 h nach epiduralen Gabe von hydrophilen Morphin – auftreten. Man muss aber betonen, dass nur opioidnaive Patienten der Gefahr einer schwerwiegenden Atemdepression ausgesetzt sind. Patienten, die auf ihre notwendige Dosis hinauftitriert wurden, sind (unter normalen Bedingungen und Beibehaltung der Therapieregeln) kaum gefährdet.


Naloxon: Eine manifeste Atemdepression kann man mit einer i. v. Gabe niedriger Dosen von Naloxon (ein Opioid-Rezeptor-Antagonist) aufheben, ohne die analgetische Wirkung wesentlich abzuschwächen. Allerdings müssen die Patienten dann entsprechend lang überwacht werden, da die Wirkdauer von Naloxon kürzer ist als die der meisten Opioide. Es könnte also zu einem Rebound-Effekt kommen, der eine weitere Gabe von Naloxon notwendig macht.

Regeln zur Risikominimierung: Um die Gefahr der Atemdepression bei Therapie mit Opioiden zu minimieren, soll man folgende Regeln beachten und befolgen: Die wichtigste Regel zur Vermeidung einer Atemdepression ist die Verabreichung einer Opioiddosis, die individuell zur Schmerzlinderung des jeweiligen Patienten notwendig ist. Vor allem bei der parenteralen bzw. neuroaxialen Administration soll der Patient adäquat monitiert sein. Auch die Verabreichung von Opioiden gemeinsam mit anderen Medikamenten, die das ZNS-System unterdrücken (z. B. Benzodiazepine, Tranquilizer oder Neuroleptika) sollte vermieden werden. Diese Medikamente, die die Funktion des aktivierenden Teils der Formatio reticularis dämpfen und damit eine Weckreaktion unterdrücken, erhöhen das Risiko einer Atemdepression durch ein Opioid, da die Empfindlichkeit des Atemzentrums auch vom Wachzustand abhängt. Besondere Vorsicht ist auch bei Patienten mit Lungenproblemen, Leber- und/oder Niereninsuffizienz angesagt. Hier muss die Dosierung entsprechend reduziert werden. Es gilt auch zu beachten, dass bei geriatrischen Patienten und bei Patienten in einem sehr reduzierten Allgemeinzustand die Schmerzlinderung mit geringeren Dosen als üblich zu erreichen ist. Daher sollten initial ein Drittel bis die Hälfte der üblichen Dosis und/oder längere Intervalle gewählt werden, um eine Sedierung oder Atemdepression zu vermeiden. Bei einer der Schmerzintensität angepassten Dosierung von Opioiden ist mit keiner klinisch relevanten Atemdepression zu rechnen. Schmerz stimuliert die Atmung und lässt sich daher als ein physiologischer Antagonist der atemdepressiven Wirkung der Opioide auffassen (Hanks und Twycross, 1984). Erst wenn das Opioid absolut oder relativ überdosiert wird, kann eine fatale Atemdepression auftreten. Zu einer relativen Überdosierung kann es kommen, wenn zusätzlich zu einem Opioid andere schmerzlindernde Maßnahmen durchgeführt werden wie z. B. Nervenblockaden, denn dann fällt eine schmerzbedingte Atemstimulation aus. Daher müssen die Patienten nach einer solchen Blockade überwacht und die Opioiddosis reduziert werden, gegebenenfalls Naloxon verabreicht werden.
Bei Beachtung und Befolgung der erwähnten Regeln kann mit Opioiden eine erfolgreiche und sichere Schmerztherapie erzielt werden.