Der Tod von Kindern und Jugendlichen ist in unserer Gesellschaft noch immer ein großes Tabuthema, da es wohl eine der schmerzlichsten Erfahrungen ist, sein Kind zu verlieren. Die Art und Weise der intrapsychischen und intrafamiliären Auseinandersetzung mit den Themen „Krankheit“, „Sterben“ und „Tod von Kindern“ sowie die Trauer der gesamten Familie unterscheiden sich sehr von jener der erwachsenen Palliative Care. So verlangt die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit lebenslimitierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen besonderes Fingerspitzengefühl. Eine lebensbedrohliche Erkrankung eines jungen Menschen stellt das ganze Leben der betroffenen Familie auf den Kopf. Umso wichtiger ist es, in diesen Fällen multiprofessionelle Begleitung prompt und verlässlich über den Tod hinaus anzubieten und alle Mitarbeiter in der intra- und extramuralen Versorgung so gut wie möglich auf den Umgang mit jungen Patienten und deren schweren Schicksalen vorzubereiten. Dieser Balanceakt setzt höchste Professionalität voraus.
Spezialisierte Versorgungsangebote sind:
Weitere Institutionen bieten diverse Entlastungs- und Trauerbegleitungsangebote, die einen wesentlichen Teil der Hospiz- und Palliativbegleitung darstellen.
Primäres Ziel der pädiatrischen Palliativversorgung ist die Sicherstellung von möglichst hoher Lebensqualität des Kindes und seiner Familie. Landläufig wird der Begriff „palliativ“ oftmals mit raschem Sterben in Verbindung gebracht. Dem ist in der Pädiatrie keinesfalls so. Es geht um einen andauernden Prozess der Begleitung eines Kindes, für dessen Erkrankung es keine Heilung gibt. Hier gilt es, zu sensibilisieren. Bei jungen Menschen wechseln sich Perioden relativer Normalität mit unvorhersehbaren kritischen Phasen und dramatischen Symptomkrisen ab. Je nach Krankheitsbild kann sich dieser Verlauf – beginnend bei der Diagnose bis zum vorzeitigen Versterben – über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken. Im Erwachsenenbereich hingegen spricht man im Zusammenhang mit Palliative Care meist von Wochen oder Monaten und nur in Ausnahmefällen von Jahren. Das Lenkungskomitee der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care (EAPC) „Task Force for Palliative Care for Children and Adolescents“ (IMPaCCT) erstellte im Jahr 2006 beim International Meeting for Palliative Care in Children in Trento eine Definition von pädiatrischer Palliativversorgung und vereinbarte Mindeststandards für Europa (siehe auch: www.eapcnet.eu).Ein Charakteristikum der pädiatrischen Palliativversorgung ist dabei die Vielfältigkeit an Erkrankungen. Laut EAPC/IMPaCCT zählen hier vier Gruppen dazu:
Gruppe 1: Lebensbedrohliche Krankheiten, für die zwar Therapien vorhanden sind, eine Heilung allerdings als unwahrscheinlich gilt. Beispiele dafür sind Krebserkrankungen oder irreversible Organversagen von Herz, Leber oder Nieren.
Gruppe 2: Erkrankungen, bei denen ein frühzeitiger Tod unvermeidlich ist (beispielsweise Cystische Fibrose).
Gruppe 3: Krankheiten, für deren Behandlung es keine adäquaten Therapiemöglichkeiten gibt und für die aus diesem Grund jahrelange palliative Betreuung vonnöten ist, wie etwa bei Mukopolysaccharidosen.
Gruppe 4: Erkrankungen mit schweren neurologischen Behinderungen, die oft anfällig für gesundheitliche Komplikationen machen und sich unvorhergesehen verschlechtern können (z. B. Hirn- oder Rückenmarkserkrankungen und schwere Zerebralparese).
Das Sterben um die Geburt – pre-, peri- und postpartal – benötigt noch mehr Aufmerksamkeit im palliativen Kontext. Auch die sehr schweren chronifizierten psychischen Erkrankungen, die sich lebensverkürzend auswirken können, finden in der Palliativmedizin noch wenig Beachtung (beispielsweise Anorexia nervosa, Selbstbeschädigung).
Trotz mannigfaltiger Herausforderungen innerhalb der Pädiatrie, gab es lange Zeit keine adäquate Aus- und Weiterbildung, um Fachpersonal darauf vorzubereiten, wie diese Kinder und deren Familien optimal begleitet werden können. Sowohl fachliche wie auch soziale Kompetenzen sind Grundvoraussetzungen in diesem Wirkungsbereich. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind aufgrund der umfangreichen Zusammenarbeit mit verschiedensten Berufsgruppen von großer Relevanz. Daraus ergeben sich die jeweiligen Kompetenzen und die daraus folgende Eigenverantwortung für das individuelle Handeln – immer mit dem Fokus auf den jeweiligen Menschen mit seiner Würde, Integrität und Individualität.
Mit dem Schweizer Paar- und Familientherapeuten Peter Fässler-Weibel, der schon zu Lebzeiten als Pionier im Bereich Palliative Care galt, initiierten wir 2006/2007 zusammen mit Renate Hlauschek, MMS, Geschäftsführende Vorsitzende der Mobilen Kinderkrankenpflege Niederösterreich (MOKI NÖ), den allerersten Lehrgang „Palliative Care in der Pädiatrie“. Ebenfalls mit an Bord war von Beginn an Prim. Univ.-Doz. Dr. Erwin Hauser, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Landesklinikum Baden-Mödling. Hier gibt es auch österreichweit die ersten Kinderpalliativbetten, die eine Versorgung auf höchstem Niveau sicherstellen.
Die Ausbildung „Palliative Care in der Pädiatrie“ richtet sich seit Beginn vor allem an den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege, Ärzte der Pädiatrie und Allgemeinmedizin, Absolventen eines Lehrgangs für Palliativmedizin oder Palliativpflege, Mitarbeiter in Hospiz- und Palliativeinrichtungen und diverse Therapeuten. Die Ausbildung umfasst zwei Semester mit 160 Unterrichtseinheiten sowie 40 Stunden Praktikum in einer auf Kinder spezialisierten Einrichtung. Außerdem gilt der Lehrgang als Teil des Universitätslehrgangs für Palliative Care an der Paracelsus Medizinischen Universität, Salzburg (Abschlussmöglichkeit Master).
Es ist wichtig, dass das medizinische Personal nicht nur lernt, wie junge Patienten in lebensbedrohlichen Situationen umfassend zu versorgen sind. Die Mitarbeiter müssen auch verstehen, was es für einen jungen Menschen bedeutet, nie wieder gesund zu werden. Den Absolventen werden neben wissenschaftlichem, theoretischem Wissen auch psychodynamische Zusammenhänge vermittelt. Anhand von Rollenspielen wird die Gesprächsführung geübt und analysiert. Dies ist eine einzigartige Gelegenheit der Selbstreflexion und um sich in einen Kranken, seine Angehörigen und in Berufskollegen einzufühlen. Im Rollenspiel wird Zuhören und Sprechen geübt. Es wird ausprobiert, reflektiert und analysiert. Ziel ist es, einen angstfreien, natürlichen und verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema „Sterben, Tod und Trauer bei Kindern, Jugendlichen und deren Familien“ zu finden. Es hilft außerdem, sich an seinem Arbeitsplatz zu positionieren und multiprofessionelle Zusammenarbeit zu suchen und zu etablieren.
Über den Tod und das Sterben von Kindern und Jugendlichen zu sprechen, ist nicht einfach. Weder für Ärzte noch für Angehörige. Nur die offene Kommunikation ermöglicht den betroffenen Familien, sich mit dem leidvollen Thema auseinanderzusetzen. Ziel ist es, bis zum Schluss die bestmögliche Lebensqualität aller Familienmitglieder sicherzustellen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass das Fachpersonal ausgezeichnet und umfassend geschult wird, um dabei zu helfen, ein leider noch immer tabuisiertes Thema – nämlich den Tod im Kindesalter – offen anzusprechen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Familien mit einem lebensbedrohlich erkrankten Kind im höchsten Maße gefordert sind. Deshalb muss der uneingeschränkte Zugang zur Palliativversorgung im Kinder- und Jugendlichenbereich für jeden Menschen – unabhängig von Nationalität, sozialem Status oder Religionszugehörigkeit – selbstverständlich sein. Alle Mitarbeiter, die professionell an pädiatrischer Palliativversorgung mitwirken, benötigen laufende und umfassende Schulungen und Supervision. Deshalb sollte künftig Palliative Care als integraler Bestandteil in sämtlichen pädiatrischen Curricula mit europäischem Charakter angestrebt werden.