Entscheidungsfindung nach Krankheitsphasen – Infusionsmanagement bei Palliativpatienten

Grundsätzlich liegt die Schwierigkeit bereits in der Definition des Krankheitszustandes, der Phase der palliativen Situation, die für eine Entscheidung, ob und wie viele Infusionen überhaupt sinnvoll erscheinen, ganz ausschlaggebend wäre. Auch Sterben als natürlichen Prozess mit zusehends weniger Verlangen nach Aufnahme von Flüssigkeit oder Nahrung zu betrachten ist noch nicht generell akzeptiert.

Verhungern und verdursten lassen – eine vielfach bemühte Phrase, unterlegt von der eigenen Angst vor dem Ende und dem Wunsch “da muss doch etwas dagegen getan werden”, erschwert die Entscheidungsfindung für angebrachte Maßnahmen in der palliativen Betreuung.
Das Gefühl des trockenen Mundes, als Durstgefühl interpretiert, scheint weitgehend unabhängig von Flüssigkeitsaufnahme zu sein. Sowohl in der Literatur beschrieben als auch durch eigene Beobachtungen bestätigt, bessert sich dieses Symptom vor allem durch adäquate Mundpflege und wenn möglich, Änderung der bestehenden Medikation.

Grundsätzliche Überlegungen

Wie kann eine Entscheidung getroffen werden: Die Entscheidungen für Infusionsgaben sollten immer in Abhängigkeit davon, in welcher Krankheitsphase der Patient sich befindet, getroffen werden. Gemäß Jonen-Thielemann und Pichlmaier (1994 und 1995) gibt es eine Unterteilung des Krankheitsverlaufs in 4 Stadien: Rehabilitationsphase (Monate, manchmal Jahre), Präterminalphase (mehrere Wochen bis Monate), Terminalphase (wenige Tage bis zu einer Woche, der Kranke befindet sich an der Grenze seines Lebens) und Finalphase (einige Stunden bis ein Tag). In die Entscheidungsfindung im Sinne eines “Shared Consent” sollten auch bestehende Wünsche des Patienten, jedoch frei gemacht von falschen Illusionen, sowie Patientenverfügungen und die Angaben von Vorsorgebevollmächtigten oder vertraut wirkenden Angehörigen einbezogen werden. Erst muss geklärt werden, ob es sich um eine aktive Entscheidung des Patienten handelt, die Nahrungsaufnahme oder das Trinken einzustellen, die es zu respektieren gilt, oder ob es durch den natürlichen Verlauf der Sterbephase zu diesen Veränderungen kommt.

Phasenabhängig: Klar zu sein scheint, dass in einer rehabilitativen oder frühen Präterminalphase Infusionen, sei es Flüssigkeit, Ernährung, Antibiotika, Antiemetika und vieles andere mehr, zur Verbesserung des Befindens und Stabilisierung des Allgemeinzustandes beitragen können. Auch Demenzkranke profitieren in frühen Krankheitsphasen von supportiven Maßnahmen, dem Ausgleich des Flüssigkeitshaushaltes und der Behandlung von Infektionen.
Anders stellt sich die Situation in der terminalen und finalen Phase dar, wo Therapiereduktion, Begrenzung und Verzicht auf Übertherapie und Diagnostik angebracht sind. Oft ist das mengenmäßig zu intensive und gelegentlich unbilanzierte Verabreichen von Infusionen mehr belastend oder gar schadend. Es sollte in diesen Fällen nicht versucht werden, die natürliche Situation der verminderten oralen Aufnahme von Mahlzeiten oder Flüssigkeiten durch artifizielle Maßnahmen umzukehren, sondern das Augenmerk auf die optimale Begleitung und Symptomkontrolle gelegt werden. Aus den wenigen Arbeiten zu diesem Thema ist erkennbar, dass Patienten, die auf Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme verzichteten, friedvoll und wenig leidend wirkten. In die Entscheidung sollte aber auch der Ort der Verabreichung und die damit vorhandenen Gegebenheiten einbezogen werden. Dies vor allem in Hinblick auf den möglichen Weg der Verabreichung.

Fragen zur notwendigen/sinnvollen Infusionstherapie/Hydratation: Allen Entscheidungen muss die Überlegung vorausgehen, was die mögliche Ursache für die Notwendigkeit einer Infusionstherapie sein kann und ob eine reversible oder irreversible Situation besteht. Häufig finden sich Symptome wie genereller Appetitverlust, Schwäche, Fatigue, Übelkeit Erbrechen, eine maligne Obstruktion des Gastrointestinaltraktes oder Veränderungen der Kognition wie z.B. ein organisches Psychosyndrom oder Delir.
Einerseits bestehen Beobachtungen, dass Dehydratation zu einer Verbesserung einiger Symptome führen kann, wie weniger Husten, geringere Harnmenge (Verzicht auf Katheterismus), milder ausgeprägte Ödeme, niedrigere Frequenz des Erbrechens, von Diarrhö, fehlendes Hunger- oder Durstgefühl sowie geringere Schmerzäußerungen. Anderseits kann Volumenmangel auch so manches Symptom offenbar aggravieren, wie Fatigue, Eintrübung, Sedierung, Halluzinationen oder Myoklonien, sodass die Einleitung einer Infusionstherapie erwägenswert erscheint. Viele dieser Symptome sind aber nicht ausschließlich auf Flüssigkeitsmangel zurückzuführen. In der Literatur gibt es diesbezüglich doch divergierende Aussagen, ob hier der Hydratationsstatus eine maßgebliche Rolle spielt. Über die zu verabreichende Menge wird häufig diskutiert, da auch hier bislang keine Richtlinie erarbeitet wurde. Man kann wohl voraussetzen, dass im Sterbeprozess für die Flüssigkeitshomöostase nicht mehr genau die gleichen Gesetze wie bei Gesunden und vorübergehend Kranken herrschen. Die bei Sterbenden auftretenden Flüssigkeitsdefizite sind wahrscheinlich als Summe von zahlreichen im Sterben natürlichen Veränderungen zu betrachten.

Applikationsformen

Intravenöse Verabreichung: Vom einfachen Venflon über PICC (peripher implantierte Zentralvenenkatheter), ZVKs oder Ports bieten diese Systeme zwar die Möglichkeit der Verabreichung einer Vielzahl von Substanzen, sind aber auch von einer nicht unbeträchtlichen Nebenwirkungsrate und auch möglichen Belastungen für den Patienten durch die Implantation behaftet. Infektionen, Dislokationen oder auch der Verschluss solcher Zugänge stellen immer wieder Probleme dar. Von Seiten der Verabreichung kann auch das theoretisch mögliche hohe Volumen innerhalb kurzer Zeit eine erhebliche Belastung darstellen.

Enterale Verabreichung: Nasogastrale Sonden, PEG oder Jejunalsonde sind typischerweise Patienten vorbehalten, die ein Schluckunvermögen, passager oder auch dauerhaft bei funktionell ungestörtem Gastrointestinaltrakt, aufweisen. Ab der terminalen Krankheitsphase erscheint der Einsatz dieser Applikationswege nicht indiziert zu sein.

Hypodermoclysis: Die Verabreichung von Flüssigkeiten über subkutane Zugänge stellt eine einfache, relativ nebenwirkungsarme Lösung dar. Auch Laien können rasch das Setzen dieser Zugänge erlernen, sodass sich diese Technik vor allem für die palliative Betreuung im häuslichen Umfeld anbietet. Aber auch im stationären Bereich stellt dieser Zugang eine wenig belastende und kostengünstige Form dar, insbesondere ab dem terminalem Stadium oder bei hochbetagten geriatrischen Patienten.

Proctoclysis: Die rektale Verabreichung von Flüssigkeiten bietet sich als relativ gut tolerable Möglichkeit bei Patienten an, bei denen keine andere Zugangsform einsetzbar ist (z.B. bei generalisierten Ödem, gastrointestinalen Funktionsstörungen).

Von der richtigen Menge und dem richtigen Zeitpunkt: Die entscheidende Frage ist, wie viel Flüssigkeit benötigt ein Patient in der palliativen Situation. Auch hier bestehen große Auffassungsunterschiede, dennoch gibt es zumindest anwendbare Überlegungen. Infusionsmanagement bedeutet nicht nur die Verabreichung von Flüssigkeiten, sondern vielmehr stete authentische Informationsweitergabe und durch intensive Kommunikation des Tuns eine hohe Form der Zuwendung zum Patienten und den betroffenen Angehörigen. Eine besondere Problematik ergibt sich beim nicht zustimmungsfähigen oder demenzkranken Patienten. “Die Dosis macht das Gift” gilt auch für die Infusionstherapien bei palliativen Patienten und eine besonders vorsichtige Herangehensweise, um noch zusätzliches Leiden durch ein Zuviel oder Zuwenig an Flüssigkeit möglichst zu vermeiden, ist angeraten.

Die Terminalphase

Die Verwendung von Zeitbegriffen, die jeweils einen bestimmten Zeitraum vor Versterben eines Patienten definieren, erfolgt in der Literatur relativ uneinheitlich: Gemäß Twycross und Lichter (1993) kann der auch in dieser Studie verwendete Begriff “Terminalphase” so verstanden werden, dass der Tod innerhalb von Tagen eintritt. Der Begriff “terminal disease” bei Saunders (1984) hingegen umfasst einen Zeitraum von einigen Stunden bis Wochen oder sogar Monaten. Bei Kranken im fortgeschrittenen Stadium einer Erkrankung verwendet Nauck (2001) wiederum den Begriff “Finalphase” für den Zeitraum der letzten 72 Stunden, dehnt jedoch wiederum den Begriff der Terminalphase auf Wochen bis Monate aus. In dieser Studie wird der Begriff Terminalphase so definiert, dass er die letzten 48 Stunden umfasst. Es soll angemerkt werden, dass dieser zeitliche Bezug – trotz der zuvor kommentierten uneinheitlichen Verwendung der Begriffe in der Literatur – mit der Definition der Terminalphase einiger wichtiger und viel beachteter Studien konform geht (z.B. Lichter und Hunt, 1990; Hall, Schroder und Weaver, 2002).