Medikamentenadhärenz wird als „das Ausmaß, in dem das Verhalten der PatientInnen mit den vereinbarten Empfehlungen des Behandlers/der Behandlerin übereinstimmt“, definiert.6 Adhärenzprobleme reichen dabei von der falschen Dosierung oder unregelmäßigen Einnahme verschriebener Medikamente über das selbständige Absetzen bis hin dazu, dass ein Rezept für ein Medikament nie eingelöst wird.7
Die WHO geht von Schätzungen aus, wonach die Nichtadhärenz bei der Langzeittherapie von chronischen Krankheiten bei 50 % liegt.7 Eine rezente Metaanalyse über die Adhärenz bei der Einnahme von DOAK bei Vorhofflimmern zeigte, dass 1/3 der PatientInnen eine < 80%ige Adhärenz aufwies.8
Die Folgen von Nichtadhärenz bei der Einnahme von Medikamenten sind gravierend und stellen sowohl in klinischer als auch in ökonomischer Hinsicht ein großes Problem dar: Die negativen Auswirkungen auf Gesundheitsoutcomes wie insb. den Gesundheitszustand von PatientInnen sind vielfach belegt.7 So stellt mangelhafte Adhärenz beispielsweise die Hauptursache für das Scheitern beim Einstellen der Hypertonie dar.7 Mangelnde PatientInnenadhärenz bei der Einnahme von oraler Antikoagulation bei Vorhofflimmern geht in vielen Fällen mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher.8 Die jährlichen Kosten von Nichtadhärenz bei der Einnahme von Medikamenten belaufen sich in Europa auf 1,25 Milliarden Euro.9 Im Bereich kardiovaskulärer Erkrankungen betragen die jährlichen Kosten für die Nichteinhaltung der Medikation pro PatientIn und Jahr umgerechnet bis zu 18.000 Euro.9
Während mit dem alten Begriff „Compliance“ das Befolgen von ärztlichen Anweisungen durch PatientInnen bezeichnet und damit ein traditionelles paternalistisches Modell der Arzt-/Ärztin-PatientInnen-Beziehung aufgerufen wurde, geht der heute verwendete Begriff „Adhärenz“ (oder auch „Konkordanz“) von einem partnerschaftlichem Modell aus, in dem PatientInnen als aktive PartnerInnen bei ihrer Versorgung gemeinsam mit ihren Ärztinnen und Ärzten selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Der Mehrwert eines solchen partnerschaftlichen Vorgehens liegt darin, dass eine stärkere Beteiligung der PatientInnen im Sinne eines Berücksichtigens ihrer jeweiligen Kompetenzen, Erfahrungen, Vorstellungen und Bedenken, ihrer individuellen Möglichkeiten und Präferenzen eher dazu führt, dass sie Entscheidungen dann auch mittragen.7
Adhärenz ist ein multifaktorielles Geschehen mit vielfältigen und komplexen Bedingungsfaktoren. Dabei dürfte die Kommunikation zwischen Gesundheitsberufen und PatientInnen jedenfalls eine wichtige Rolle spielen.7 Metaanalysen haben einen signifikanten Zusammenhang zwischen den ärztlichen kommunikativen Fertigkeiten und der Adhärenz von PatientInnen festgestellt10 und gezeigt, dass die Verbesserung der Arzt-/Ärztin-PatientInnen-Beziehung einen positiven Einfluss auf die Gesundheitsoutcomes bei einer Reihe von chronischen Erkrankungen hat.11, 12
Studien weisen auf Herausforderungen in unterschiedlichen Bereichen der Gesprächsführung hin:
Verständliche Vermittlung von Informationen: Gemäß der europäischen Gesundheitskompetenzerhebung haben 23 % der Befragten in Österreich Schwierigkeiten, zu beurteilen, inwieweit Informationen ihrer Ärztin/ihres Arztes auf sie zutreffen. 22 % haben Schwierigkeiten, zu verstehen, was ihre Ärztin/ihr Arzt sagt (Abb.).13 20 % der PatientInnen beklagen, dass sie von der behandelnden Ärztin/vom behandelnden Arzt bzw. von ApothekerInnen keine bzw. keine ausreichenden Informationen zu den derzeit eingenommenen Medikamenten erhielten.14
Entscheidungsfindung: Eine noch größere Herausforderung stellt laut Studien die Entscheidungsfindung dar. 32 % der Befragten in Österreich haben Schwierigkeiten dabei, mit Hilfe der Information, die sie von ärztlicher Seite erhalten, Entscheidungen bezüglich ihrer Krankheit zu treffen (Abb.).13 Befragungen aus Deutschland zeigen, dass 34 % der PatientInnen „keine ausreichende Einbindung in Entscheidungsprozesse“ bemängeln.15 Dabei scheint sich, wie internationale Studien zeigen, der Grad der Einbindung von PatientInnen in Entscheidungen in dem von ihnen gewünschten Ausmaß im Verlauf der vergangenen 15 Jahre kaum erhöht zu haben.16 Eine Schwierigkeit besteht dabei darin, dass der Grad der Bereitschaft von PatientInnen, Gesundheitsempfehlungen zu befolgen, stark variiert. Eine fehlende Übereinstimmung zwischen dieser Bereitschaft seitens der PatientInnen und den ärztlichen Interventionsversuchen bedeutet, dass häufig Behandlungen an PatientInnen verschrieben werden, die nicht bereit sind, sie zu befolgen.7
Umgang mit Adhärenzproblemen: 83 % der PatientInnen geben an, dass sie einer Ärztin/ einem Arzt nicht sagen würden, wenn sie ein neues Rezept nicht einlösen werden.17 Gleichzeitig fragen viele Ärztinnen/Ärzte nicht nach der Adhärenz, sodass Adhärenzprobleme erst sehr spät erkannt werden.12, 18
Für ein gelingendes und erfolgreiches Arzt-/Ärztin-PatientInnen-Gespräch, welches auf eine partizipative Therapieentscheidung abzielt und den gegenseitigen Informationsfluss entsprechend nützt, braucht man ein gutes Kommunikationsmodell. Dieses sollte eine klare Struktur für das Gespräch bieten und es in seine einzelnen Abschnitte einteilen: von der Vorbereitung des Gesprächs über die Informationssammlung (Was weiß die Patientin oder der Patient bereits? Sind Faktoren, die die Adhärenz stören können, bereits zu erkennen? etc.) bis hin zur Informationsvermittlung und Entscheidungsfindung. Eine gute Struktur ist v. a. unter Zeitdruck und in schwierigen Gesprächssituationen essenziell. Ein solches evidenzbasiertes Modell, das einfach und klar einzusetzen ist, sind die Calgary Cambridge Guides.19 In der Tabelle werden die für die Förderung der Adhärenz wichtigsten Skills der Gesprächsführung für jeden Abschnitt der Calgary Cambridge Guides dargestellt. Die Übergänge zwischen den Abschnitten werden jeweils mit Zusammenfassungen eingeleitet, und nach Einwilligung der Patientin/des Patienten wird im Handlungsablauf fortgesetzt. Skills zur Beziehungsgestaltung und Strukturierung sind im gesamten Gesprächsverlauf hilfreich.
Profiskills zur Adärenzförderung kann man lernen, und sie entlasten den eigenen Arbeitsalltag. Es klingt aufwändiger, als es ist. Aber noch viel aufwändiger sind die Folgen der Nichtadhärenz. Adhärenz verbessert sich durch gute Gesprächsführung, denn diese ermöglicht eine effiziente und effektive Kommunikation von wichtigen Inhalten der Gesundheitsförderung, Prävention und Krankenversorgung. Gleichzeitig wissen wir: PatientInnenzentrierte Gespräche dauern nicht notwendigerweise länger, sondern können diese im Gegenteil sogar effizienter machen. Maßnahmen in diesem Bereich sind nicht als „Nice-to-have“, sondern als unerlässliche – und auch gesundheitsökonomisch sinnvolle – Interventionen zu sehen. Die gute Nachricht: Gute Gesprächsführung ist lehr- und lernbar – lebenslang. Das Trainernetzwerk der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK) bietet Kommunikationstrainings für Gesundheitsberufe auf der Basis von evidenzbasierten Standards an.* Darüber hinaus braucht die Verbesserung der Gesprächsqualität auch eine Adaptierung der Rahmenbedingungen in unseren Gesundheitseinrichtungen und im Gesundheitssystem.