Pharmakogenetik bei familiären Lipidstoffwechselstörungen

Genetische Veränderungen, welche die Arzneimittelwirkung beeinflussen, stellen eine der Ursachen für die interindividuelle Variabilität in der Arzneimittelwirkung dar. Pharmakogenetisch relevante Varianten modifizieren die Pharmakokinetik (Resorption, Metabolismus, Exkretion) oder die Pharmakodynamik (Wirkung auf den Organismus – Stärke und Qualität, Wirkmechanismus, unerwünschte Wirkung) von Arzneistoffen. Diagnostische Pharmakogenetik-(PG-)Panels untersuchen die wichtigsten zurzeit bekannten und meist häufigeren pharmakogenetischen Varianten. Für eine Vielzahl von Medikamenten – vor allem solche mit geringer therapeutischer Breite – könnten dadurch mit einem individuell angepassten Dosierungsschema mögliche schwere Nebenwirkungen (NW) oder eine etwaige Wirkungslosigkeit verhindert werden. Hilfestellung zur Einschätzung der klinischen Relevanz der identifizierten genetischen Varianten (wissenschaftliche/klinische Evidenz; „level of evidence“ – LoE) sowie genotypbasierte Dosierungsleitlinien können unter https://www.pharmgkb.org nachgelesen werden.1

Fettstoffwechselstörungen gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für Arteriosklerose. Eine lipidsenkende Therapie stellt daher einen zentralen Bestandteil in der Primär- und Sekundär-Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen dar. In der Pharmakotherapie der Hypercholesterinämie spielen Statine eine wesentliche Rolle. Bei Statinintoleranz oder -kontraindikation können z. B. Ezetimib, Bempedoinsäure oder PCSK9-Inhibitoren (inklusive Inclisiran, eine „small interfering RNA“ (siRNA), welche die PCSK9-Produktion hemmt) eine Statintherapie ergänzen bzw. ersetzen.2 Für eine zusätzliche Senkung der Triglyzeride (TG) bei Hypertriglyzeridämie wird Fenofibrat eingesetzt.3
Für Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9-Inhibitoren sind keine nennenswerten pharmakogenetischen Veränderungen beschrieben.

Statine

Generell werden Statine gut toleriert. NW unterschiedlichsten Schweregrades können aber bei jedem der zurzeit verwendeten Statine auftreten – abhängig von den Eigenschaften der einzelnen Statine, der individuellen genetischen Prädisposition oder Komorbiditäten des Patienten sowie von Medikamenteninteraktionen.4–6

Zu den wichtigsten NW zählen: statinassoziierte Muskelsymptome (SAMS) verschiedener Schweregrade bis hin zu Rhabdomyolyse, Dysglykämie und Diabetes mellitus Typ 2 sowie hämorrhagischer Schlaganfall. Muskelschmerzen und/oder Muskelschwäche mit oder ohne CK-Erhöhung werden bei bis zu 15 % der Patienten beschrieben und stellen die häufigste Ursache für einen Therapiewechsel oder -abbruch dar. Möglicherweise beeinflusst allerdings ein „Nocebo-Effekt“ die Wahrnehmung von Muskelbeschwerden.

Substanzspezifische Charakteristika

Statine (Atorvastatin [AS], Fluvastatin [FS], Lovastatin [LS], Pitavastatin [PiS], Pravastatin [PrS], Rosuvastatin [RS], Simvastatin [SS]) unterscheiden sich in Resorption, Bioverfügbarkeit, Halbwertszeit, Plasmaproteinbindung, Lipophilie, Metabolismus und Ausscheidung. Der Transport von Statinen in die Leberzellen erfolgt vor allem durch OATP1B1. MDR1, MRP1 (AS, RS) und BCRP (AS, RS) sind Efflux-Transporter, welche die intestinale Resorption und die hepatische sowie renale Ausscheidung beeinflussen. Sarkolemmale Transporter wie OATP2B1 (AS, FS, PrS, RS), MRP1 (AS, RS), MRP4 (AS, RS) oder MRP5 (RS) ermöglichen die Aufnahme von Statinen in Muskelzellen. Lipophile Statine (SS, LS, PiS, FS, AS) können auch passiv durch die Zellmembran von extrahepatischen (z. B. Muskel-)Geweben diffundieren. Sie kumulieren daher eher im Muskelgewebe als hydrophile Statine (RS, PS) und haben ein höheres Risiko für SAMS. AS, LS und SS werden durch CYP3A4/5 in der Leber, aber auch schon im Darm metabolisiert, FS über CYP2C9. PrS wird in der Leber sulfoniert. PiS und RS werden überwiegend unverändert ausgeschieden.

Wichtigste pharmakogenetische Varianten

Eine Vielzahl von in der Literatur beschriebenen genetischen Veränderungen, die den Metabolismus oder den Transport von Statinen beeinflussen und dadurch erhöhte Statinkonzentrationen verursachen, können das Auftreten von NW begünstigen. Die beiden (derzeit) wichtigsten pharmakogenetischen Varianten sind SLCO1B1 c.521T>C und ABCG2 c.421C>A.7, 8
SLCO1B1 kodiert für OATP1B1. Der Polymorphismus c.521T>C, p.Val174Ala (rs4149056; SLCO1B1*5; C-Allelfrequenz bei Kaukasiern ca. 16 %) ist mit verminderter Aktivität von OATP1B1 und erhöhten Plasmakonzentrationen von Statinen assoziiert. In absteigender Reihenfolge: SS > PiS > AS > PrS > RS (kein Effekt auf FS). Den größten Effekt zeigt SLCO1B1 c.521T>C bei homozygoten (c.521CC) Patienten unter Therapie mit SS. Für SS und AS (LoE 1A – höchste Evidenz; https://www.pharmgkb.org/page/clinAnnLevels) gibt es Therapieempfehlungen für SLCO1B1-c.521C-Träger.ABCG2 kodiert für BCRP, den Haupt-Efflux-Transporter für RS. Er transportiert RS, SS, AS und FS aktiv aus den Zellen wieder hinaus und beeinflusst dadurch deren Resorption, Ausscheidung und Verteilung.
ABCG2 c.421C>A, p.Gln141Lys (rs2231142, A-Allelfrequenz bei Kaukasiern ca. 11 %) ist mit einer ausgeprägten Funktionsverminderung von BCRP verbunden. Homozygote Träger dieser Variante (c.421AA) weisen eine stark reduzierte Transportaktivität (ca. 23 %) und dadurch erhöhte Plasmakonzentrationen, eine verstärkte lipidsenkende Wirkung, aber auch ein erhöhtes Risiko für NW bei Therapie mit RS (LoE 2A), AS, SS und FS (LoE 3) auf.
HMGCR c.2457+117T>G (rs17238540, G-Allelfrequenz ca. 2,5 %), als Beispiel für Varianten, welche die Wirksamkeit von Statinen negativ beeinflussen, vermindert die Expression der HMG-CoA-Reduktase, des Angriffspunktes der Statine. Sie bewirkt daher eine schlechtere lipidsenkende Wirkung und eine höhere CVD-Event-Rate unter AS-, FS-, PS-, RS- und SS-Therapie (LoE 3).9
Alle anderen bei PharmGKB gelisteten Statin-Genvarianten-Paare sind derzeit ebenfalls mit LoE 3 bewertet. Potenzielle additive Effekte mehrerer Polymorphismen werden bei dieser Klassifizierung (noch) nicht berücksichtigt. Das Zusammenwirken von verstärkter Resorption, vermindertem hepatischem Metabolismus, Transport in die Hepatozyten oder Ausscheidung prädisponiert aber ganz klar für potenziell schwere NW, wie in einzelnen Case Reports zur genetischen Ursache einer schweren Statintoxizität berichtet. Elektronische Hilfen, die mehrere pharmakogenetische Varianten in Therapieempfehlungen einbeziehen, stehen für den klinischen Alltag derzeit nicht zur Verfügung.

Fenofibrat

Fenofibrat induziert durch Aktivierung von PPARα die Expression verschiedener Proteine, die am Lipoproteinmetabolismus beteiligt sind (z. B. APOA5, LPL, ABCA1) und reduziert APOC3. Lipoproteinlipase z. B. wandelt vermehrt VLDL und IDL zu LDL um, und die VLDL-Freisetzung aus der Leber wird reduziert. Dadurch senken Fibrate TG und LDL-C und erhöhen HDL (über ABCA1). Fenofibrat interferiert kaum mit dem Statinmetabolismus oder den Transportproteinen. Für verschiedene Polymorphismen in ABCA1, APOA1, APOA5, APOB, APOE, LPL oder PPARα wurde berichtet, dass sie die Wirksamkeit von Fenofibrat beeinflussen können. In der PharmGKB erreicht keine dieser einzeln bewerteten Varianten einen höheren LoE als 3.Pharmakogenetik im erweiterten Sinn könnte auch genetische Analysen, welche die Ursachen einer Hyperlipidämie untersuchen und Therapieentscheidungen beeinflussen, berücksichtigen. Bei heterozygoten Trägern von APOE rs515726148, einer seltenen genetischen Ursache für familiäre Hypercholesterinämie, führt Statintherapie u. a. zu einer verstärkten Expression ihrer funktionell intakten LDL-Rezeptoren. Daher können Statine in geringerer Dosierung als bei Patienten, die z. B. heterozygot für LDLR-Mutationen sind, eingesetzt werden.10 Träger homozygoter funktionsloser LDLR-Varianten werden wenig von einer Statin-Monotherapie profitieren. Patienten mit einer „Gain of function“-Mutation in PCSK9 sprechen besser auf Therapie mit PCSK9-Inhibitoren an.

Zusammenfassung

Auch wenn immer wieder diskutiert wird, ob die unter Statintherapie berichteten Muskelschmerzen real sind oder einen „Nocebo“-Effekt darstellen, verursachen Statine (auch RS) in sehr seltenen Fällen schwere Rhabdomyolysen. Abgesehen von individuellen physiologischen oder pathophysiologischen Konditionen sowie hohen Statindosen stellen Medikamenteninteraktionen und Polymorphismen in z. B. SLCO1B1 wesentliche Risikofaktoren für die beobachteten NW dar. Daher ist SLCO1B1 c.521T>C in den meisten PG-Screening-Panels (zusammen mit u. a. ABCG2, CYP3A4/5), aber auch in für die In-vitro-Diagnostik zugelassenen Genpanels für die Abklärung einer familiären Hypercholesterinämie bereits enthalten.


  1. Abdullah-Koolmees et al., Front Pharmacol 2021; 11:595219
  2. Ahangari et al., Ann Med 2020; 52(8):462–70
  3. House et al., Pharmacogenomics 2020; 21(4):293–306
  4. Ward et al., Circ Res 2019; 124(2):328–50
  5. Guan et al., Clin Pharm Ther 2019; 44(6):858–67
  6. Damiani et al., Expert Opin Drug Metab Toxicol 2020; 16(12):1133–45
  7. Oshiro et al., Pharmacogenet Genomics 2010; 20(3):211–6
  8. Fohner et al., Pharmacogenet Genomics 2017; 27(11):420–7
  9. Medina et al., Pharmacogenet Genomics 2011; 21(2):98–101
  10. Bea et al., Atherosclerosis 2019; 282:143–7