Prophylaxe und Therapie der venösen Thromboembolie beim palliativen Krebspatienten

Das VTE-Risiko besteht gleichermaßen für Patienten auf chirurgischen und auf nichtchirurgischen Stationen. Gerade für letzte Gruppe von Patienten auf internen Stationen wurden Risikofaktoren identifiziert, zu denen eine mehrtägige Bettlägerigkeit (> 2 Tage) in Verbindung mit einer schweren Infektion, einer Krebserkrankung oder einer vorausgegangenen Thromboembolie zählen. Für diese internistischen Patienten sind deshalb auch spezifische medikamentöse Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe von den entsprechenden Fachgesellschaften empfohlen. Diese Prophylaxe führt zu einer signifikanten Senkung thromboembolischer Ereignisse, erhöht aber nicht die Häufigkeit schwerer Blutungsereignisse.

VTE-Risiko bei weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen: Für Patienten mit Krebserkrankungen, die an Palliativstationen auf – genommen sind, fehlen entsprechende Untersuchungen und Empfehlungen völlig. Prinzipiell ist ihr Risikoprofil aber deckungsgleich mit dem von Krebspatienten auf internen Stationen. Sie sind bettlägerig, haben häufig zusätzlich Infektionen, und bei vielen finden sich auf Grund des engen Zusammenhangs zwischen Tumor und Thrombose auch vorangegangene Thromboembolien. Die Mehrzahl der stationären onkologischen Patienten, die auf Palliativstationen transferiert werden, hat deshalb auch eine laufende primäre Thromboseprophylaxe mit einem NMH oder auch eine wesentlich höher dosierte sekundäre Thromboseprophylaxe nach einer Thromboembolie in der Anamnese. Dennoch ist die Gabe einer Thromboseprophylaxe auf Palliativstationen umstritten, da Daten zu ihrer Wirksamkeit in diesem Umfeld nicht vorliegen und die s. c. Applikationsform doch eine gewisse Belastung für Palliativpatienten darstellt. Zudem wird häufig argumentiert, dass eine derartige Prophylaxe keine Verbesserung der Lebensqualität bringt.

Wie machen es österreichische Experten?

Wir haben deshalb in den letzten Jahren Studien zu diesem Thema durchgeführt und zu Beginn mit einer fallbasierten Umfrage die Vorgangsweise von klinischen Experten auf den Gebieten von Palliativmedizin, Intensivmedizin, Blutgerinnung und Onkologie abgefragt.
Diesen Ärzten wurde ein grundlegendes Fallbeispiel eines Patienten mit einem metastasierten Bronchialkarzinom übermittelt, das mit verschiedenen klinischen Varianten (Szenarien) ausgerüstet wurde (Szenario 1: primäre VTE-Prophylaxe; Szenario 2: sekundäre Prophylaxe, Szenario 3: primäre Prophylaxe arterieller Embolien). Außerdem wurde der Patient in unterschiedlichen Stadien seiner Erkrankung skizziert: moribund mit einem Karnofsky-Index (KI) von 10, in einem etwas früheren Stadium mit einem KI von 20 und schließlich mit einem KI von 40. Den befragten Ärzten waren außerdem mögliche Formen der Prophylaxe vorgegeben, die von voller Heparinisierung über ein primäre Pro- phylaxedosis bis zu Aspirin oder keiner Prophylaxe reichten.
Die Ergebnisse (> Abb.) zeigen, dass allein der körperliche Zustand – ausgedrückt im Karnofsky-Index (KI) – die Entscheidung zur Thromboseprophylaxe beeinflusst. Bei einem KI von 10 würde keiner der Befragten eine Thromboseprophylaxe verordnen, bei einem KI von 40 und darüber (Patient ist bettlägerig, hat aber keine Therapiebeschränkungen) würden alle eine Thromboseprophylaxe gemäß der üblichen Kriterien verabreichen. Eine Unterscheidung nach der Höhe des thromboembolischen Risikos wurde nicht getroffen: So wurde nicht unterschieden, ob der Patient eine rezente Thrombose in der Anamnese hatte oder nur eine Primärprophylaxe vorlag. Auch gab es keinen Unterschied in der Vorgangsweise zischen den einzelnen Berufsgruppen.
Diese Studienergebnisse1 können sehr einfach in die Praxis umgesetzt werden, weil die Entscheidung nur vom Karnofsky-Index der Patienten abhängt. Auch deshalb ist in den „Clinical Practice Guidelines“, die einen Consensus der wesentlichsten amerikanischen Palliativ- und Hospizgesellschaften darstellen2, diese Publikation als einzige in Hinblick auf Vorgangsweisen bei der Thromboseprophylaxe von Palliativpatienten publiziert.

Wie machen es österreichische Palliativmediziner?

In einer weiteren Arbeit konnten wir nachweisen, dass die Meinung der ärztlichen Leiter von österreichischen Palliativstationen sich vollständig mit der der befragten Experten deckt. So sprechen sich bei einem KI von 20 immerhin noch 38 % der dazu befragten Ärzte für eine Prophylaxe mit einem NMH aus. Die Mehrheit der Befragten (62 %) würde diese aber in diesem Stadium nicht durchführen. Die Frage, ob der Patient eine primäre Prophylaxe (keine VTE in der Anam nese) oder sekundäre Prophylaxe (VTE vor 6 Monaten) hatte, spielt für diese Entscheidung keine Rolle. Bei einem KI von 40, wie er häufig bei Zuweisungen an eine Palliativstation gefunden wird, steigt die Zahl der Befürworter einer Prophylaxe: 85 % würden hier eine Prophylaxe geben, wobei durchaus auch therapeutische Dosierungen Anwendung finden.

Wie häufig wird eine Thromboseprophylaxe bei Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen gegeben? In einer weiteren, rezent publizierten Studie3 sind wir der Frage nachgegangen, wie die Thromboseprophylaxe tatsächlich bei Palliativpatienten in Österreich anwendet wird.
Wir haben dazu im Rahmen der Austrian Palliative Care Study Group (AUPACS-Group) eine prospektive Querschnittstudie durchgeführt. Die AUPACS-Group ist ein Zusammenschluss aller österreichischen Palliativstationen zur Durchführung klinischer Studien in der Palliativmedizin. An zwei Untersuchungsterminen im Abstand von 3 Monaten wurde die Art der Thromboseprophylaxe und eine Reihe von klinischen, anamnestischen und laborchemischen Parametern von allen Patienten aufgenommen, die an den Palliativstationen in Österreich aufgenommen waren. Die Ergebnisse zeigen, dass 46 % aller Patienten, die gemäß etablierter Guidelines – die sich allerdings nicht auf Palliativpatienten im Speziellen, sondern nur auf Patienten mit Krebserkrankungen im Allgemeinen beziehen – eine Thromboseprophylaxe (TP) erhalten sollten auch tatsächlich eine solche hatten. Der Prozentsatz erscheint überraschend gering. Allerdings zeigt sich, dass von den Patienten, die keine TP erhalten hatten, 46 % mindestens eine Kontraindikation gegen eine TP, wie eine Thrombozytopenie (< 50.000/μL), einen NT < 40 %, ein Serumkreatinin < 1,5 mg/dL) oder einen Karnofsky-Index von 20 oder darunter aufgewiesen haben. Insgesamt verbleiben letztlich nur 29 % der Patienten, bei denen nicht klar ersichtlich war, warum sie keine TP erhalten haben.

Zusammenfassung

Unsere Studien zeigen, dass die Orientierung am Karnofsky-Index im Rahmen der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Thromboseprophylaxe bei Palliativpatienten ein praktikabler Weg ist, der nicht nur von Expertenmeinungen unterstützt und von Palliativärzten begangen wird, sondern auch Eingang in ein internationales Consensuspapier gefunden hat. Dies bedeutet, dass Patienten mit einem Karnofsky-Index von 10 (= sterbend) keine Prophylaxe/Therapie mehr erhalten sollten, Patienten mit einem Karnofsky-Index von 40 und darüber keine Einschränkung der Prophylaxe/Therapie erhalten sollten und im Bereich zwischen 10 und 40 individuell entschieden werden muss.

 

1 Kierner KA et al., Am J Hosp Palliat Care 2008; 25(2):127–31
2 www.nationalconsensusproject.org/Guideline.pdf
3 Gartner V et al., For the AUPACS group. Support Care Cancer. 2011 Nov 26 [Epub ahead of print]