Studiendesign und -analyse
Rivaroxaban 1-mal 20 mg wurde in der ROCKET-AF-Studie1 in der Indikation nichtvalvuläres Vorhofflimmern bei mehr als 14.000 Patient untersucht und gegen einen VKA verglichen. Eine Stärke der Studie ist, dass sowohl Rivaroxaban als auch der VKA verblindet gegeben wurden. Besorgnis hat allerdings die Verwendung einer speziellen Analyse („as treated“) bei der Beurteilung einer möglichen Überlegenheit von Rivaroxaban hervorgerufen, da diese Analyse die zufällige Zuteilung der Patienten in Behandlungsgruppen durch selektive Herausnahme von Endpunkten während der Studie teilweise aufhebt und außerdem dazu neigt, den Effekt des Studienmedikaments in der Praxis zu überschätzen (siehe dazu auch Niessner, N Engl J Med 2011; 365:2333). Daher wird in diesem Artikel nur über die in einem internationalen Statement empfohlene Intention-to- Treat-Analyse dieser Studie berichtet. Eine weitere in der Literatur diskutierte Schwachstelle ist die im Vergleich zu anderen Studien geringere Zeit (median 57,8 %) der Kontrollpatienten im therapeutischen Bereich der VKA. Eine mögliche Ursache dafür ist eine für Vorhofflimmerpopulationen ungewöhnlich hohe Anzahl von Patienten mit Herzinsuffizienz, die potenziell schwieriger auf VKA einzustellen sind. Insgesamt sind die Studienteilnehmer mit einem medianen CHADS2- Score von 3,0 eine Hochrisikopopulation für thromboembolische Ereignisse.
Wirksamkeit
Die Studie erreichte den primären Wirksamkeitsendpunkt, nämlich eine Gleichwertigkeit von Rivaroxaban bei der Verhinderung des primären Endpunktes Schlaganfall und systemische Embolien im Vergleich zu einem VKA. Der primäre Endpunkt wurde in der Rivaroxaban- Gruppe um 12 % (von 2,4 % auf 2,1 % Ereignisse pro Jahr) gesenkt, ohne eine Signifikanz in der Intention-to-Treat-Analyse zu erreichen (p = 0,12). Bei den sekundären Endpunkten zeigte sich eine deutliche und signifikante Reduktion der hämorrhagischen Insulte um 42 %. Die anderen sekundären Wirksamkeitsendpunkte unterschieden sich nicht zwischen den beiden Behandlungsgruppen. Die Gesamtmortalität zeigte eine relative Reduktion um 8 %, ohne eine Signifikanz zu erreichen (p = 0,15).
Sicherheit
Die Gesamtblutungsrate bei Patienten mit Rivaroxaban (14,9 % pro Jahr) war vergleichbar mit der bei Patienten mit VKA (14,5 % pro Jahr). Inkonsistente Ergebnisse zeigten sich bei den sekundären Sicherheitsendpunkten. Die fatalen Blutungen, die kritischen Organblutungen und die intrakraniellen Blutungen konnten mit Rivaroxaban signifikant um 30–50 % gesenkt werden. Andererseits stieg die Anzahl der Blutungen, die eine Transfusion erforderlich machten oder zu einem Hämoglobinabfall um mehr als 2 g/dl führten, in der Rivaroxaban-Gruppe signifikant an.
Zusammenfassung: Die ROCKET-AF-Studie ist mittlerweile eine von drei publizierten Studien, die eines der neuen oralen Antikoagulantien in der Indikation nicht-vavuläres Vorhofflimmern untersucht hat. Alle drei bisher untersuchten Substanzen haben zu einer deutlichen Reduktion der intrakraniellen Blutungen geführt, einer seltenen, aber gefürchteten Komplikation einer Antikoagulantientherapie. Ein weiterer Vorteil ist, dass die neuen oralen Antikoagulantien mit einer Fixdosis gegeben werden können und keiner Laborkontrollen bedürfen. Im Vergleich zu den anderen getesteten Substanzen Dabigatran und Apixaban wurde Rivaroxaban nur ein 1-mal täglich gegeben. Damit konnte eine Gleichwertigkeit bezüglich des primären Sicherheits- und Wirksamkeitsendpunktes im Vergleich zu einer Therapie mit einem VKA erreicht werden. Ein möglicher Vorteil könnte sein, dass die Verlängerung der Prothrombinzeit durch Rivaroxaban in einer rezenten Studie in gesunden Probanden durch Gabe von Prothrombinkomplexkonzentraten aufgehoben werden konnte (Eerenberg et al., Circulation 2011; 124:1579). Allerdings sind weitere klinische Daten notwendig, um zu zeigen, ob damit auch eine Blutungsneigung von Patienten im Fall einer akuten Blutung oder der Notwendigkeit einer Akutoperation aufgehoben werden kann.
Studiendesign und -analyse
Die ATLAS-ACS-2-TIMI-51 Studie2 untersuchte den additiven Effekt einer verlängerten Antikoagulation mit Rivaroxaban bei Patienten mit AKS (einschließlich 50 % STEMI, 26 % NSTEMI und 24 % instabile Angina pectoris) bei mehr als 15.000 Patienten im Vergleich zu Placebo. Nur Patienten ohne Hinweis für ein erhöhtes Blutungsrisiko wurden eingeschlossen. Fast alle Patienten erhielten eine duale Plättchenaggregationshemmung mit Aspirin (99 %) und Thienopyridinen (93 %). Dazu wurde Rivaroxaban mit einer im Vergleich zur ROCKET AF niedrigeren und aufgeteilten Tagesdosis von 2-mal 2,5 mg oder 2-mal 5 mg für eine mittlere Behandlungsdauer von 31 Monaten gegeben. In der Patientenpopulation war nur ein relativ geringer Anteil an Hochrisikopatienten vertreten (9 % über 75 Jahre, 25 % mit eingeschränkter Nierenfunktion) und auch der Anteil an Frauen betrug lediglich 25 %. Bei 60 % der Studienpatienten wurde eine perkutane koronare Intervention oder eine Bypassoperation durchgeführt.
Wirksamkeit
Der primäre kombinierte Wirksamkeitsendpunkt kardiovaskuläre Mortalität, Myokardinfarkt und Schlaganfall wurde signifikant um 16 % (von 10,7 % auf 8,9 % in 24 Monaten) reduziert. Es zeigte sich ein konsistenter Effekt unabhängig von relevanten klinischen Variablen. Lediglich bei Patienten mit einem stattgehabten Insult/TIA zeigte sich ein Trend für eine schlechtere Wirksamkeit von Rivaroxaban (p für Interaktion = 0,1). Auch der sekundäre Endpunkt Stentthrombose, eine gefürchtete Komplikation einer Stentimplantatation, wurde signifikant um 31 % (von 2,9 % auf 2,3 %) reduziert. Bei einer separaten Analyse der beiden Rivaroxaban-Dosierungen zeigte sich eine zusätzliche signifikante Reduktion der sekundären Endpunkte kardiovaskuläre Mortalität (p = 0,002) und Gesamtmortalität (p = 0,002) mit der niedrigeren Dosierung (2-mal 2,5 mg).
Sicherheit
Die additive Gabe von Rivaroxaban bei Patienten mit AKS führte zu einer Vervierfachung der schweren Blutungen entsprechend der TIMI-Definition im Vergleich zu Placebo (von 0,6 % auf 2,1 %). Dieser Anstieg des Blutungsrisikos hat beide Dosierungen betroffen. Auch die Rate der intrazerebralen Blutungen verdreifachte sich (von 0,2 % auf 0,6 %, p = 0,009). Die Rate der fatalen Blutungen war allerdings nicht signifikant höher in der Rivaroxaban-Gruppe (von 0,2 % auf 0,3 %, p = 0,66).
Zusammenfassung: Die zusätzliche und verlängerte Gabe des neuen oralen Antikoagulans Rivaroxaban über 2 Jahre nach einem akutem Koronarsyndrom zeigte eine erhöhte Wirksamkeit im Vergleich zur Standardtherapie mit dualer Plättchenaggregationshemmung. Diese verbesserte Wirksamkeit reduzierte auch den wichtigsten Endpunkt Mortalität mit der niedrigeren Dosierung. Diese verbesserte Wirksamkeit war allerdings mit einer Vervierfachung der schweren Blutungen verbunden. Eine zweite Studie mit dem neuen oralen Antikoagulans Apixaban, ebenfalls ein direkter Faktor-Xa-Antagonist, bei AKS musste aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos bei gleichzeitig fehlender verbesserter Wirksamkeit frühzeitig beendet werden (APPRAISE-2, Alexander et al., N Engl J Med 2011; 365:699). Bei dieser Studie wurde die Dosierung im Vergleich zur Indikation Vorhofflimmern allerdings nicht reduziert. Eine potenzielle zukünftige klinische Anwendung des neuen oralen Antikoa – gulans Rivaroxaban in einer Dosierung von 2- mal 2,5 mg bei AKS setzt eine sorgfältige Auswahl von Patienten voraus, bei denen die erhöhte Wirksamkeit eine deutlich erhöhte Blutungsneigung rechtfertigt. Diese additive Therapie könnte insbesondere eine therapeutische Ergänzung für junge und relativ gesunde AKS-Patienten ohne vorbestehende zerebrovaskuläre Erkrankung sein, die gleich – zeitig ein erhöhtes Risiko für sekundäre kardiovaskuläre Ereignisse wie z. B. eine Stentthrombose haben. Eine weitere Analyse der interventionellen Daten von ATLAS ACS 2-TIMI 51 z. B. über Risikofaktoren einer Stentthrombose und die Art der Plättchenaggregationshemmung ist notwendig, um eine gezielte Anwendung von Rivaroxaban in der klinischen Routine zu ermöglichen.
Die Anwendung von neuen oralen Antikoagulantien wie z. B. Rivaroxaban in der klinischen Routine: Die Wahlmöglichkeit unter verschiedenen neuen oralen Antikoagulantien stellt eine enorme Herausforderung an die Aus- und Fortbildung der potenziellen Anwender, also Internisten und Kardiologen, dar. Wie erste Postmarketinganalysen vermuten lassen, ist die unselektive, nicht den Studiendaten entsprechende langfristige Anwendung dieser sehr potenten Medikamentenklasse mit entsprechenden Nebenwirkungen assoziiert. Die Auswahl einer dem Patientenprofil entsprechenden Antikoagulation bedarf daher eines entsprechenden Fachwissens. Eine weitere Herausforderung stellt die parallele Entwicklung neuer Plättchenaggregationshemmer dar. Dadurch steht eine große Zahl von theoretischen Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung, für die es aber keine Studiendaten gibt. Zuletzt ist auch die Entwicklung von Standard Operating Procedures bei akuten Blutungen bzw. bei der Notwendigkeit einer Akutoperation unter neuen oralen Antikoagulantien notwendig.
1 Rivaroxaban versus Warfarin in Nonvalvular Atrial Fibrillation, ROCKET AF Investigators, N Engl J Med 2011; 365:883-91
2 Rivaroxaban in Patients with a Recent Acute Coronary Syndrome, ATLAS ACS 2–TIMI 51 Investigators, N Engl J Med 2012; 366:9-19