Schmerzmedikamente – Was ist wirklich „neu“?


Obwohl international Übersichten dokumentieren, dass Schmerzpatienten in Österreich überdurchschnittlich gut behandelt werden, fokussiert sich die Diskussion auf einige wenige Arzneispezialitäten, die nicht im Erstattungskodex (EKO) angeführt sind. Wie kann das sein? Oberstes Ziel der sozialen Krankenversicherung ist es, kranken Menschen alle Medikamente zur Verfügung zu stellen, die sie nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft benötigen. Dabei ist die Priorität der Schmerzlinderung unbestritten. Dazu stellt der EKO im Grünen Bereich über 40 Wirkstoffe in verschiedenen Darreichungsformen und Stärken ohne Genehmigung oder Dokumentation zur Verfügung. Diese Zahlen beziehen sich auf Analgetika (Opioide und nicht-steroidale Antiphlogistika) sowie Anästhetika. Etwa jede elfte Verordnung, die die Krankenkassen bezahlen, kommt aus diesem Bereich. Dazu kommt eine Vielzahl von Produkten, welche an sich nicht als Schmerzmittel gelistet sind, aber als Komedikation eingesetzt werden. Daher ist es schwierig, die Kosten der Schmerzmedikation exakt zu beziffern. Sie liegen jedenfalls jenseits von 100 Millionen Euro.


Antragstellung: Damit ein neues Medikament in den EKO aufgenommen werden kann, muss das vertriebsberechtigte Unternehmen einen Antrag stellen. In diesem soll es darstellen, welche Vorteile ein neues Produkt bietet. Entsprechend unserer Philosophie muss ein neues Produkt im EKO entweder medizinische oder ökonomische Vorteile bieten. Das bedeutet, dass ein neues Produkt entweder bessere Behandlungsmöglichkeiten als bereits verfügbare Alternativen bieten oder billiger sein muss.
Der Antrag wird evaluiert, die Unterlagen kritisch hinterfragt (sog. „critical appraisal“). Dabei stellt sich heraus, ob die angegebenen Vorteile tatsächlich belegt sind. Vorrangiges Ziel ist die Bewertung des relevanten Patientennutzens im Vergleich zu den vorhandenen therapeutischen Alternativen. Das ist die Grundlage für die ökonomische Beurteilung. Diese besagt, ob der geforderte Preis des Unternehmens fair und gerechtfertigt ist.

Heilmittelevaluierungskommission: Auf Basis dieser Datenlage gibt eine Gruppe unabhängiger Experten – die Heilmittelevaluierungskommission – eine Empfehlung ab. Diese ist dann die Grundlage der Entscheidung des Hauptverbandes, ein Produkt in den EKO aufzunehmen oder eben nicht. Die strenge Prüfung stellt sicher, dass das Geld der Allgemeinheit sinnvoll verwendet wird.


Neu ist nicht „neu“: Bei den neuen Mitteln aus der Gruppe der Analgetika oder Anästhetika, deren Aufnahme in letzter Zeit in den EKO beantragt wurde, handelt es sich nicht um neue Wirkstoffe. Es handelt sich vorwiegend um bekannte Wirkstoffe in neuen Darreichungsformen oder Kombinationen von bekannten Wirkstoffen. Auf die Details kann hier nicht eingegangen werden. Generell ergab die medizinische Bewertung keine wissenschaftlich nachvollziehbare Rechtfertigung für den geforderten Preis.
Daher war es unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben nicht möglich, diese Medikamente zu den vom Unternehmen geforderten Bedingungen in den EKO aufzunehmen. Letztlich muss der Patientennutzen eindeutig und objektivierbar gesichert sein, wenn die begrenzten Mittel der Versichertengemeinschaft ausgegeben werden sollen.
Dennoch stehen auch Medikamente, die nicht im EKO angeführt sind, im Einzelfall, wenn sie zwingend therapeutisch notwendig sind und eine Behandlung mit Medikamenten aus dem EKO nicht möglich ist, nach Bewilligung durch den chef(kontroll-)ärztlichen Dienst für Patienten auf Kosten der sozialen Krankenversicherung zur Verfügung.


Die Lösung liegt aus Sicht des Hauptverbandes nicht im öffentlichen Diskurs über die Finanzierung der Schmerztherapie, sondern in einer realistischen Preisgestaltung durch die Pharmaindustrie, damit es der sozialen Krankenversicherung möglich wird, den Patienten eine noch breitere Palette der Schmerztherapie anzubieten. Denn die Schmerztherapie ist, was die wissenschaftliche Evidenz zum therapeutischen Mehrwert der neuen Arzneimittel betrifft, leider ein Stiefkind der pharmazeutischen Industrie.