Sexuelle Funktionsstörungen: keine Frage des Geschlechts

Unter sexuellen Funktionsstörungen versteht man Störungen im sexuellen Verlangen sowie psycho- und physiologische Veränderungen, die ein Problem für die eigene Sexualität und für die Partnerschaft darstellen. Sexuelle Funktionsstörungen treten bei beiden Geschlechtern gehäuft mit zunehmendem Alter auf.

Erektile Dysfunktion (ED)

ED bezeichnet die dauerhafte Unfähigkeit, eine Erektion aufzubauen, um einen zufrieden stellenden Geschlechtsverkehr durchzuführen. Die Diagnose wird dann gestellt, wenn eine ED über 6 Monate dauert. Der Terminus der Impotenz sollte aufgrund der negativen Behaftung nicht verwendet werden. Die ED ist eine häufige Erkrankung, die auf das psychosoziale Umfeld des Betroffenen einen Einfluss hat. Die Entstehung und Aufrechterhaltung der Erektion unterliegt neurogenen, hormonellen, vaskulären, myogenen und psychogenen Faktoren. Diese bieten somit eine breite Basis als möglichen Ursprung der ED. Man geht davon aus, dass 80 % der ED organischen Ursprungs hat, jedoch deutlichen Einfluss auf die Psyche und Partnerschaft hat. Die „Massachusetts Male Aging“-Studie zeigt bei einem Kollektiv von 1.290 Männern einen 52%igen Anteil an Männern mit ED. Dabei ist ein 10%iger Anteil einer schweren, 25 % einer mittelgradigen und 17 % einer leichten ED angegeben.

Neurogene Störung: Der Entstehungs- und Übertragungsmechanismus zeigt auf verschiedenen Ebenen auf den Ansatzpunkt der ED. Traumen, multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Apoplex, Epilepsie und die Alzheimer-Erkrankung beeinflussen die Sexualfunktionen. Neurogene Störungen können auch durch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Dyslipoproteinämie und Alkoholabusus ausgelöst werden.

Vaskuläre Störungen: Da die Penisarterien sehr geringe Innendurchmesser haben, manifestieren sich hier bereits frühzeitig arteriosklerotische Veränderungen. Dies erklärt auch den Nahebezug zu den koronaren Herzerkrankungen. Ebenso kann es auf der Basis des venösen Gefäßschenkels zu einer Dysfunktion kommen, da der Abstrom den zweiten Funktionsmechanismus der Erektion darstellt. Es handelt sich meist um eine Insuffizienz der Venen bzw. um eine funktionelle Störung im kavernösen Verschlussmechanismus.

Morphologische Veränderungen: Auch Traumen (Unfall oder Operationen) und Gefäßfisteln oder Bindegewebsveränderungen, wie zum Beispiel die Induratio penis plastica können negativen Einfluss auf die Erektion haben.

Hormonelle Störungen: Androgene beeinflussen neben der Libido auch die Erektion, spielen aber keine signifikante Rolle im Rahmen der ED.

Ursachen: Das zunehmende Alter und damit auch die Zunahme der altersphysiologischen Veränderungen spiegelt sich im steigenden Anteil der ED von ca. 40 % bei 40-Jährigen auf 67 % der 70-Jährigen und zusätzlich auch die Ausprägung der Dysfunktion wider. Neben dem Altern hat auch der Lebensstil einen signifikanten Einfluss. Bewegungsarmut, Stress, Übergewicht, falsche Ernährung, Nikotin- und Alkoholabusus. Basierend auf diesen Faktoren entwickeln sich arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämien, die wiederum ursächlich für die ED sein können. Aber auch neurologische Erkrankungen können Einfluss auf Erektion und Libido haben (s. o). Chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen, die möglicherweise durch eine Hypoxie den auslösenden Faktor einer ED darstellen, sowie Leber- und Niereninsuffizienz, die im Rahmen der dadurch bedingten Stoffwechselveränderungen und aus den Folgekrankheiten resultierende Therapien mit Antihypertensiva, Antiarrhythmika, Antidepressiva, Neuroleptika und Lipidsenkern können eine ED verursachen oder verstärken. Hypogonadismus und Testosteronmangel stellen ebenso einen Faktor der Erkrankung dar, jedoch hängt der Testosteronmangel auch häufig mit metabolischen Erkrankungen und Atherosklerose zusammen. Traumen, ob unfallbedingt oder iatrogen im Rahmen z. B. von Prostatatherapien (TUR-Prostata, radikale Prostatektomien) oder Operationen im kleinen Becken sind häufige Ursachen für eine ED.

Diagnostik: Primär gilt es eine genau Anamnese zu erheben. Da dieses Thema eine Hemmschwelle für viele Patienten darstellt, bieten sich dafür Fragebögen an, die dem Patienten helfen sollen, seine Probleme zu thematisieren. Zusätzlich ist die Erfragung von Eingriffen oder laufenden Therapien von großer Bedeutung. Ebenso gilt es über sexuelle Vorlieben, Abneigungen und Wünsche mit dem Patienten zu sprechen, vorzugsweise mit dem/der Partner/-in. Die klinisch urologische Untersuchung hat den Schwerpunkt im äußeren Genitale und der Prostata, aber auch auf periphere Anzeichen eines Hypogonadismus und sekundäre Geschlechtsmerkmale ist zu achten. Das Erfassen des BMI, Palpation der Pulse und eine kardiologische Abklärung ist im Rahmen der Abklärung zu empfehlen. Weitere Schritte umfassen Laboruntersuchungen, Bildgebung und eventuell Erektionsmessungen (RigiScan®). Die bestimmenswerten Laborparameter beinhalten den Langzeitblutzuckerwert (HbA1c), Nüchtern-Blutfette, das Gesamttestosteron (zw. 7.00 und 11.00 Uhr), SHBG (sexualhormonbindendes Globulin) und in Fällen eines nachgewiesenen Testosteronmangels zusätzlich LH (luteinisierendes Hormon), FSH (follikelstimulierendes Hormon) und Prolaktin aus dem Serum. Im Rahmen der Diagnostik ist auch der PSA-Wert zu bestimmen und die Analyse des Harns sollte obligat sein. Die Bildgebung schließt den Ultraschall sowie den Dopplerultraschall und in inkonklusiven Fällen eine Kavernosometrie und Kavernosografie bzw. eine Penisangiografie ein. Des Weiteren kann auch Prostaglandin E1 zu diagnostischen Zwecken herangezogen werden.

Therapie: Die Behandlung der ED zeigt 4 Therapiearme: 1. den nicht-medikamentösen, 2. den medikamentösen, 3. den chirurgischen und 4. mechanische Hilfsmittel. Die nicht-medikamentöse Therapie bei psychogener ED stellt die psychosexuelle Behandlung dar. Die medikamentöse Therapie mit PDE-5-Hemmern ist derzeit Therapie der Wahl in der Behandlung der ED. Die Substanzen, die zur Verfügung stehen, sind Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil und sollten erst nach kardiologischer Begutachtung verschrieben werden. Um die Ansprechrate der PDE-5-Hemmer zu verbessern, kann im Falle eines zusätzlichen Hypogonadismus additiv Testosteron substituiert werden. Eine weitere Möglichkeit ist die intrakavernöse Injektion von Prostaglandin E1 oder die intraurethrale Applikation von Prostaglandin E1 (MUSE). Die operative Behandlung im Rahmen der Drittlinientherapie ist die Implantation von Penisprothesen (semirigid und hydraulisch). Die Anwendung mechanischer Hilfsmittel wie Penisringe und Vakuumpumpen ist die Zweitlinientherapie, sie werden vor allem von älteren Patienten angewendet.

Female Sexual Dysfunction (FSD)

Viele Frauen haben zumindest einmal im Leben ein sexuelles Problem. Die FSD tritt gehäuft bei Frauen nach dem 40. Lebensjahr auf, kann aber auch bei jüngeren Frauen auftreten oder aber aus einer anderen Erkrankung resultieren. International wird die FSD klassifiziert unter Störungen der sexuellen Appetenz, sexuelle Aversion, sexuelle Erregungsstörungen, Orgasmusstörungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie). Genaue Zahlen zur sexuellen Unzufriedenheit zu erhalten ist schwierig, da unterschiedliche Definitionen Verwendung finden. Die häufigste Beanstandung bei Frauen mit FSD sind Libidoverlust und Orgasmusstörungen. Vom Behandler ist eine subjektive Beurteilung, ob die FSD einer wirklichen Dysfunktion entspricht und ob sie Bedeutung im Rahmen einer sexuellen Beeinträchtigung der Betroffenen hat, durchzuführen. Sexualität hat im täglichen Leben einen zentralen Stellenwert. Jeder wird in seinem soziokulturellen Umfeld mit Sexualität konfrontiert. Oft werden erfüllte Liebesleben und Mehrfachorgasmen medial als Standard ausgegeben und damit Betroffenen suggeriert, dass mit dem eigenen Sexualleben etwas nicht stimmt. Dies kann zu Vermeidungsverhalten führen und damit die FSD noch verstärkten.

Ursachen: Die Ursachen der FSD sind, wie bei der ED, in psychologische und physiologische unterteilt. Die psychologischen Ursachen können auf schlechter sexueller Erfahrung oder aber auch auf Missbrauch beruhen. Daher ist eine vorsichtige und eventuell psychologisch gestützte Anamnese von besonderer Wichtigkeit. Wie bei der ED können neurologische, psychogene, vaskuläre, morphologische und hormonelle Veränderungen Einfluss auf die Betroffenen haben. Beim Geschlechtsverkehr der Frau sind Vagina, Klitoris, Labien, Bartholinische Drüsen (Lubrikation), Bulbus vestibuli, der Uterus und die Beckenbodenmuskulatur beteiligt. Im Rahmen der sexuellen Erregung kommt es zu einer Steigerung der Durchblutung und einer Erhöhung der Sensibilität. In jeder dieser Funktionseinheiten kann ein pathologischer Prozess eine Funktionsstörung auslösen. Die Ursache der weiblichen sexuellen Funktionsstörung kann vielfältig sein. Zu nennen sind erhöhter Blutdruck, Stoffwechselveränderungen wie zum Beispiel Adipositas, Diabetes mellitus oder Hypercholesterinämie, Östrogenmangel, Menopause, Unverträglichkeit des Verhütungsmittels, Nikotinabusus, neurologische Erkrankungen wie z. B. multiple Sklerose aber auch maligne Erkrankungen, Endometriose, Depressio, Versagensängste und negative sexuelle Erfahrungen oder Missbrauch. Ebenso kann ein unerfüllter Kinderwunsch, die Beziehungsdauer und auch der Beziehungsstatus auf die weibliche sexuelle Funktionsstörung, aber auch auf die ED, zusätzlich negativen Einfluss haben. Auch verschiedene Medikamente können die sexuelle Funktion negativ beeinflussen (Tab.).

 

 

Diagnostik: Jede Abklärung einer FSD soll eine präzise Anamnese, die physikalische Untersuchung und weitere Diagnoseschritte wie Hormonstatus (Östrogen, Testosteron, SHBG, Prolaktin, LH, FSH), Vaginalabstrich, pH-Bestimmung und die Bestimmung metabolischer Parameter (HDL, LDL, HbA1c, TSH etc.) be­inhalten. Die Sexualanamnese sollte offene und konkrete Fragen beinhalten. Scham und Verniedlichung der Problematik sollten strikt vermieden werden, da sie in der Beratung und Behandlung kontraproduktiv sind. Standardisierte Fragebögen wie der so genannte Female Sexual Function Index (FSFI) können bei der Diagnostik hilfreich sein. Es ist von großer Wichtigkeit, in die Anamnese den Partner mit einzuschließen, denn im Rahmen der FSD zeigt sich als einer der wesentlichsten Risikofaktoren die männliche sexuelle Funktionsstörung. Frauen, deren Partner an einer ED leiden, haben ein 30-fach höheres Risiko für Libidostörungen und bei Ejaculatio tarda (verzögerter Samenerguss) beinahe 26-fach öfter Erregungsstörungen. Bei Ejaculatio praecox (frühzeitiger Samenerguss) berichten Frauen über ein 4-fach gesteigertes Risiko für Orgasmusstörungen.

Therapie: Da die weibliche Sexualität multifaktoriell und -systemisch ist, sollte auch die Therapie in den meisten Fällen multifaktoriell sein. Primär steht das ärztliche Gespräch als Kernkompetenz der Patientin zur Verfügung. Es soll der Betroffenen den Druck nehmen und Klarheit verschaffen. Bei Einfluss von Medikamenten oder Auftreten der Beschwerden nach Medikamentenwechsel sollte eine Modifizierung der entsprechenden Medikamenteneinnahme nach Konsultation des jeweiligen Fachkollegen durchgeführt werden. Stärkung der Beckenbodenmuskulatur durch Beckenbodengymnastik und Sport kann zu einer Verbesserung der Symptomatik führen, vor allem bei Dyspareunie. Ein Hormonersatz mit Östrogenen und Androgenen kann ebenso zu einer deutlichen Verbesserung in der Behandlung der FSD führen. Man weiß um den positiven Effekt von lokaler Behandlung mit Östrogenen bei postmenopausalen Frauen. Die gesteigerte Lubrikation wirkt sich positiv auf Erregungsstörungen und eine vorhandene Dyspareunie aus. Der Einsatz von niedrig dosierten Androgenen als Therapie bei Libidostörung kommt immer mehr mit erfolgversprechenden Ergebnissen zum Einsatz, vor allem bei Frauen nach Ovarektomie und mit Nebennierenrindeninsuffizienz. Testosteron sollte immer mit der niedrigst möglichen Dosierung verwendet werden. Bei Testosteronersatztherapie muss auf die Möglichkeiten der Nebenwirkungen geachtet und hingewiesen werden. Es kann zum Hirsutismus, Akne, Stoffwechselveränderungen, Veränderungen der Stimme und im Falle von gebärfähigen Frauen zu einer Virilisierung eines weiblichen Feten kommen. Tibolon ist ein synthetisches Präparat mit östrogener, gestagener und androgener Wirkung, das bei postmenopausalen Patientinnen angewendet wird. Frauen mit sexuellen Dysfunktionen, urogenitalen Beschwerden oder Brustschmerzen nach klassischen Hormonersatztherapien berichten über eine Verbesserung der Symptomatik. Bei lang anhaltenden Sexualstörungen sollte eine Zuweisung an einen Sexualtherapeuten oder an eine spezielle ­Ambulanz für FSD (z. B. im Hanusch Krankenhaus, Abteilung für Urologie, Tel.: 01/91021-86050) erfolgen.