Prävention nimmt in der Kardiologie einen wichtigen Stellenwert ein. Auf dem diesjährigen ESC-Kongress wurden dazu wissenswerte neue Studien vorgestellt.
Ein Vergleich der EUROASPIRE-IV- und -V-Kohorten zeigt eine ungünstige Entwicklung vieler kardiovaskulärer Risikofaktoren in Europa. Verglichen wurden 2 Patientengruppen mit koronarer Herzerkrankung aus 2013 bis 2015 und 2016 bis 2018. Dabei zeigte sich eine Zunahme des Anteils an Rauchern von 16 auf 19 %, an Diabetikern von 26 auf 30 % und eine Abnahme eines ausreichenden körperlichen Aktivitätslevels von 44 auf 34 % der Patienten. Weiter sind nach wie vor 37 % der befragten Personen adipös, bei 50 % ist der Blutdruck ungenügend eingestellt, und noch immer erreichen nur 30 % der Patienten ihren individuellen Lipidzielwert. Auch die Teilnahme an Rehabilitationsprogrammen hat eher abgenommen.
Nachdem am letztjährigen ESC-Kongress die Ergebnisse der PURE-Studie vorgestellt worden waren, hat die Autorengruppe den daraus abgeleiteten PURE Diet Score nun auch in anderen Studien-Populationen (ONTARGET, INTERHEART, INTERSTROKE) untersucht. Der PURE Diet Score bildet die Qualität der Ernährung in Bezug auf verschiedene kardiovaskuläre und nichtkardiovaskuläre Endpunkte ab. Dabei zählen Gemüse, Früchte, Nüsse, Hülsenfrüchte, Fisch, aber auch Milchprodukte und naturbelassenes Fleisch zu den gesunden Lebensmitteln, während konserviertes Fleisch, zuckerhaltige Getränke und generell ein hoher Kohlenhydratanteil als ungesund erachtet werden. Es zeigte sich, dass der Score in allen untersuchten Kohorten prädiktiv für die Gesamtmortalität war. In Bezug auf vaskuläre Endpunkte konnte nur in INTERHEART ein Effekt auf Reinfarkte und in INTERSTROKE ein Effekt auf Schlaganfälle nachgewiesen werden. In Summe bestätigt sich, dass nicht nur eine zu hohe Zufuhr von Fett, sondern auch eine kohlenhydratdominierte Diät ungünstig sein kann.
Umgekehrt wurde aber auch den „Low-Carb-Diäten“ eine Absage erteilt. Daten aus dem US National Health and Nutrition Examination Survey zeigen eine Zunahme von Krebs und kardiovaskulären Erkrankungen bei niedrigerem Kohlenhydratanteil in der Ernährung, mit einer Zunahme der Todesfälle bis 32 %.
Adipositas stellt eine wichtige Ursache für eine metabolische Dysbalance dar. Gewichtsreduktionsprogramme sind schwierig umzusetzen, und verschiedene Appetitzügler waren mit Nebenwirkungen oder ungünstigen kardialen Effekten belastet. In der CAMELLIA-TIMI-61-Studie wurden 12.000 adipöse Patienten mit dem selektiven 5-HT-2C-Agonisten Lorcaserin oder Placebo über 3,3 Jahre behandelt. Hauptziel der Studie war es, die kardiovaskuläre Sicherheit von Lorcaserin nachzuweisen – was auch gelang. Allerdings fiel die Gewichtsreduktion mit durchschnittlich 4,2 kg eher bescheiden aus, und auch die Effekte auf den Blutzucker- und den Fettstoffwechsel waren gering.
Die Rolle von Aspirin in der Sekundärprophylaxe nach Myokardinfarkt oder Schlaganfall ist allgemein anerkannt. Weniger eindeutig sind die Vorteile von niedrig dosiertem Aspirin in der Primärprophylaxe, wo sich in einer großen Metaanalyse lediglich eine geringe Reduktion von kardiovaskulären Endpunkten darstellen ließ.1
Beim diesjährigen ESC-Kongress wurden nun 2 weitere wichtige Studien zur Wertigkeit von Aspirin bei Patienten mit mittlerem kardiovaskulärem Risiko (ARRIVE-Studie) bzw. bei Patienten mit Diabetes (ASCEND-Studie) vorgestellt.
In ARRIVE wurden ca. 12.000 Patienten mit moderatem kardiovaskulärem Risiko (Framingham Risk: 14 %) zu 100 mg Aspirin oder Placebo randomisiert. Nach 5 Jahren zeigte sich kein Benefit von Aspirin im primären kombinierten kardiovaskulären Endpunkt, jedoch eine signifikante Zunahme an nichtfatalen, vor allem gastrointestinalen Blutungen. Für den negativen Ausgang der Studie könnte die geringer als erwartet ausgefallene Eventrate in der Studienpopulation, die niedrige Therapieadhärenz (nur 60 % der Teilnehmer nahmen kontinuierlich Aspirin ein) und eine relative Unterdosierung von Aspirin bei übergewichtigen Patienten eine Rolle gespielt haben. In der Per-Protocol-Analyse zeigte sich zumindest ein positiver Effekt in Hinblick auf das Auftreten von Myokardinfarkten.
In ASCEND wurden ca. 15.500 über 40-jährige Diabetiker ohne bisheriges kardiovaskuläres Ereignis eingeschlossen. Das Risiko war ebenfalls moderat, und die Beobachtungsdauer betrug im Median 7,4 Jahre. Viele der Patienten erhielten eine Statintherapie. Aspirin 100 mg konnte hier zwar den kombinierten kardiovaskulären Endpunkt signifikant um 12 % reduzieren, führte aber auch zu einer Verdopplung der Blutungsrate. Ein Netto-Benefit konnte weder für die Gesamtstudie noch für eine der Subgruppen errechnet werden.
Diese Ergebnisse fügen sich in das Bild ein, das eine gerade erschienene weitere große Primärprophylaxe-Studie (ASPREE) mit Aspirin bei älteren Patienten zeichnet, wo sich ebenfalls kein Benefit in Bezug auf kardiovaskuläre Endpunkte, jedoch ein signifikant erhöhtes Blutungsrisiko unter niedrig dosiertem Aspirin ergab.2 Aspirin sollte daher in der Primärprophylaxe generell nicht mehr zum Einsatz kommen.
Fischölpräparate werden vor allem im angelsächsischen Raum weit verbreitet in verschiedenen Indikationen eingenommen. Frühere Studien in der Primär- und Sekundärprophylaxe erbrachten widersprüchliche Ergebnisse. Die bereits erwähnte ASCEND-Studie untersuchte in derselben Studienpopulation in einem 2×2-faktoriellen Design auch die Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren. Auch hier konnte kein signifikanter Vorteil in der Interventionsgruppe bei einer Dosis von 1 g täglich festgestellt werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese negativen Ergebnisse auch im VITAL Trial (Vorstellung der Daten vermutlich am ACC 2018) sowie in 2 weiteren Studien mit höherer Dosis von Omega-3-Fettsäuren (REDUCE-IT, STRENGTH) bestätigen.
Wie wichtig gezielte präventive Maßnahmen sein können, illustriert dagegen die ebenfalls am Kongress präsentierte und mittlerweile im NEJM erschienene SCOT-HEART-Studie. Untersucht wurden 4.146 Patienten mit stabilen Brustschmerzen, die in 2 Gruppen mit und ohne Durchführung eines Koronar-CT randomisiert wurden. Nach einem Follow-up von knapp 5 Jahren zeigte sich in beiden Gruppen eine vergleichbare Rate an Koronarangiografien (25 %) und Koronardilatationen (13 %). Präventive Therapien wie Plättchenhemmer oder Statine wurden in der CT-Gruppe jedoch wesentlich häufiger verschrieben. Patienten dieser Gruppe erlitten im Verlauf deutlich weniger Todesfälle und auch weniger Myokardinfarkte.
Selbstverständlich spielen präventive Gesichtspunkte auch in den neuen Blutdruckleitlinien eine wichtige Rolle. Eine ausführliche Diskussion der neuen Empfehlungen würde den Umfang dieses Berichts sprengen, und es seien nur einige speziell präventive Aspekte angesprochen: Lebensstilberatung wird unabhängig von der Höhe des Blutdrucks als primäre oder zusätzliche Maßnahme zur Blutdruckreduktion empfohlen. Bei Grad-1-Hypertension und fehlenden Endorganschäden kann der Erfolg der Lebensstilmodifikation für einige Monate abgewartet werden, erst bei ungenügender Blutdruckeinstellung soll zusätzlich medikamentös behandelt werden. Bei Grad-2- und Grad-3-Hypertension oder bei Endorganschäden ist immer zusätzlich eine sofortige medikamentöse Therapie indiziert. Unter den Lebensstilempfehlungen findet sich eine Salzrestriktion unter 5 g/Tag, „zurückhaltender“ Alkoholgenuss (unter 1.750 ml Wein/Woche für Männer, unter 1.000 ml Wein/Woche für Frauen [sic!]), Gewichtsabnahme mit vermehrter Aufnahme von Gemüsen, Früchten, Nüssen und Fisch, Rauchstopp und aerobes Ausdauertraining 5- bis 7-mal 30 min/Woche.
Immer wieder wird die Hyperurikämie mit dem Vorliegen von Hypertonie und kardiovaskulären Ereignissen in Zusammenhang gebracht. Die Wirkung von Febuxostat auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte wurde nun in FREED, einer relativ kleinen japanischen Studie an knapp über 1.000 älteren Risikopatienten mit Hyperurikämie, untersucht. Eine Behandlung mit Febuxostat bzw. eine Senkung der Harnsäure um 2,3 mg/dl zeigte gegenüber einer offenen Kontrollgruppe zwar eine Abnahme der Mikroalbuminurie und renaler Endpunkte, jedoch keinen Vorteil in Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse. Insgesamt erscheinen die Ergebnisse wegen der kleinen Zahl erfasster Events für eine definitive Beurteilung dieses Therapieansatzes nicht ausreichend.
Jüngste Daten aus EUROASPIRE zeigen einen unerfreulichen Trend bei kardiovaskulären Risikofaktoren in Europa: Mehrere negative Studien sprechen gegen den Einsatz von Aspirin in der Primärprophylaxe bei kardiovaskulären Risikopatienten und Diabetikern. Die Senkung der Harnsäurewerte mit Febuxostat brachte ebenfalls keine positiven Ergebnisse. Auch der „Low-Carb-Diät“ wurde eine klare Absage erteilt. Appetitzügler sind entweder mit Nebenwirkungen behaftet oder wenig effektiv. Demgegenüber kann der Einsatz des Koronar-CT zu einem gezielten Einsatz von präventiven Therapien mit konsekutiver Reduktion von kardiovaskulären Endpunkten führen.