Strengere Zielwerte für Hochrisikopatienten sind sinnvoll

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind bei weitem die häufigste Todesursache in Europa und den USA. Lipide spielen eine zentrale Rolle in der Pathogenese der diesen Erkrankungen zugrunde liegenden Atherosklerose. Die Lipidtherapie ist deshalb der Schlüssel zur Verringerung des Risikos kardiovaskulärer Ereignisse.

Die wesentlichste Neuerung der aktuellen Leitlinien zum Lipidmanagement ist die Forderung nach einem LDL-Cholesterin von < 70 mg/dl bei Patienten mit sehr hohem Risiko. In diese Gruppe fallen neben den Patienten mit eta­blierten atherosklerotischen Erkrankungen auch Patienten mit Niereninsuffizienz und – besonders wichtig – Patienten mit Diabetes mellitus.

In der Tat ist das kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit Diabetes extrem hoch. Ganz besonders hoch ist das Risiko für Patienten mit der Kombination von Diabetes und koronarer Herzkrankheit (KHK). Das zeigt etwa eine rezente Publikation unserer Arbeitsgruppe in Feldkirch1: Über 50 % der Patienten mit Typ 2 Diabetes mit angiografisch nachgewiesener KHK erleiden ein schweres kardiovaskuläres Ereignis über einen Zeitraum von 8 Jahren. Für diese Höchstrisiko-Population war deshalb bereits vor den neuen ESC/EAS-Leitlinien im „Österreichischen Cholesterinkonsensus“ ein LDL-Cholesterin von < 70 mg/dl gefordert worden. Neu ist, dass nun auch Patienten mit Diabetes, die noch keine KHK haben, auf ein LDL-Cholesterin < 70 mg/dl gebracht werden sollen. Das erscheint aus mehreren Gründen sehr sinnvoll:

• Das Vorhandensein einer KHK bei ­Diabetes korreliert eng mit der Diabetes­dauer; es ist davon auszugehen, dass im Laufe der Zeit die Mehrzahl der Diabetespatienten eine KHK entwickeln werden und damit ein exorbitant hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ­haben. Dem kann entgegengewirkt ­werden, indem die Entwicklung einer ­relevanten KHK vermieden wird.
• Die Evidenz dafür, dass eine KHK durch eine intensivere Statintherapie vermieden werden kann, ist eindeutig.2 Hochpotente Statine verhindern die KHK besser als Standardstatine.
• Die Statintherapie, im Besonderen auch die hochpotente Statintherapie, ist sicher.2

In Bezug auf die Sicherheit der Statintherapie wurde in den letzten Monaten viel über eine mögliche Zunahme von Diabetesfällen unter Statinen diskutiert, die in Metaanalysen gezeigt wurde. Es ist in diesem Zusammenhang aber zu berücksichtigen, dass zum einen rein quantitativ durch eine Statintherapie wesentlich mehr schwere kardiovaskuläre Ereignisse verhindert werden, als Diabetesfälle neu auftreten, und dass zum anderen qualitativ natürlich ein verhinderter Herzinfarkt oder Schlaganfall viel schwerer wiegt als eine bloße Zunahme der Plasmaglukose.3

Relativ zurückhaltend sind die ESC/EAS-Leitlinien hinsichtlich der Empfehlungen zur Statintherapie bei Menschen mit niedrigerem Risiko. Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang aber, dass seit der Publikation der ESC/EAS-Empfehlungen eine neue Metaanalyse der Cholesterol Treatment Trialists Collaboration4 veröffentlicht worden ist, die zeigt, dass auch viele Menschen mit relativ niedrigem Risiko von einer Statintherapie profitieren. Hier könnten sich Erweiterungen in zukünftigen Empfehlungen ergeben.

Zum aktuellen Zeitpunkt erscheint es aber am wichtigsten, dass die bestehenden Leitlinien in der Praxis umgesetzt werden, dass also unsere Hochrisikopatienten eine hochwirksame Therapie tatsächlich erhalten und so von der vorhandenen Evidenz profitieren.

 

1 Saely C.H. et al., Int J Cardiol 2012 (in press)
2 Baigent C. et al., Lancet 2010; 376:1670-1681
3 Goldfine A.B., N Engl J Med 2012; 366:1752-1755
4 CTT Collaboration, Lancet 2012 (in press)
Abteilung für Innere Medizin und Kardiologie/VIVIT Institut,Akademisches Lehrkrankenhaus Feldkirch