Weltweit sind in etwa 10–20 Millionen Menschen mit dem Hepatitis-D-Virus (HDV) infiziert. Die HDV-Infektion gilt als die schwerwiegendste Form der Virushepatitis und ist bisher am schwierigsten zu behandeln.
Beim Hepatitis-D-Virus handelt es sich um ein inkomplettes Virus, das sich zwar in den Wirtszellen replizieren kann, zur Bildung von infektiösen Viruspartikeln jedoch die Hüllproteine des Hepatitis-B-Virus (HBV) benötigt. Eine HDV-Infektion tritt deshalb nur in Kombination mit einer HBV-Infektion auf – entweder als Simultaninfektion mit HBV und HDV oder bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion als HDV-Superinfektion. Die Superinfektion führt in fast 90 % der Fälle zu einem chronisch aktiven Verlauf mit frühzeitig auftretender Leberzirrhose und einem hohen Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom.
Stehen für die Behandlung der chronischen HBV-Infektion seit vielen Jahren verschiedene hochwirksame antivirale Medikamente zur Verfügung, gibt es jedoch zur Behandlung der HDV-Infektion derzeit keine zugelassenen direkt antiviral wirkenden Medikamente. Eine antivirale Therapie mit pegIFNα für 48 Wochen führt lediglich bei ca. 20 % der chronisch HDV-/HBV-infizierten Patienten zu einer dauerhaften Heilung. Die Suche nach neuen Therapiemöglichkeiten läuft auf Hochtouren; derzeit befinden sich drei verschiedene Klassen von antiviralen Substanzen in der klinischen Entwicklung: der Eintrittsinhibitor Myrcludex-B, der Prenylierungsinhibitor Lonafarnib sowie REP 2139 mit unbekanntem Wirkmechanismus. Zu den beiden letzten Substanzen wurden am diesjährigen International Liver Congress (ILC 2019) keine neuen Daten präsentiert.
Myrcludex-B ist ein lineares Peptid, das als „entry inhibitor“ für HBV und HDV entwickelt wurde. Es blockiert den Viruseintritt in die Zelle, indem es an Natrium-Taurocholat-kotransportierendes Polypeptid (NTCP) bindet und so eine Infektion der Leberzellen mit HBV und HDV verhindert. Vor kurzem wurde eine Phase-IIb-Studie zur Behandlung der chronischen HDV-Infektion mit Myrcludex-B abgeschlossen. In einer Phase-Ib/IIa-Studie1 wurde bei insgesamt 24 Patienten, eingeteilt in drei Gruppen, eine konsekutive Gabe von pegIFNα und Myrcludex-B über jeweils 24 Wochen mit einer pegIFNα-Monotherapie über 48 Wochen und einer kombinierten Gabe von Myrcludex-B und pegIFNα für die ersten 14 Wochen gefolgt von 24 Wochen pegIFNα-Monotherapie verglichen. Dabei zeigte sich eine deutliche Überlegenheit der kombinierten Gabe von Myrcludex-B + pegIFNα (bei 5 von 8 Patienten war nach 24 Wochen keine HDV-RNA mehr nachweisbar, auch die HBV-DNA war nach 24 Wochen signifikant niedriger) gegenüber der konsekutiven Gabe und der Interferon-Monotherapie; es war jedoch in allen drei Gruppen ein signifikanter Abfall der HDV-RNA zu sehen. Insgesamt wurde die subkutane Gabe von Myrcludex-B von den Patienten gut vertragen, und es konnten keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse beobachtet werden. Diese Studie zeigte erstmals, dass die 24-wöchige Behandlung mit Myrcludex-B zu einem Abfall der HDV-RNA bei Patienten mit chronischer HDV-Infektion führt. Auch die ALT-Werte, als Marker für die entzündliche Aktivität in der Leber, waren nach der Therapie signifikant niedriger.2 In der Phase-II-Folgestudie MYR 202 wurden 120 Patienten mit chronischer HBV-/HDV-Infektion mit Myrcludex-B und/oder Tenofovir behandelt. Auch hier zeigte sich der dosisabhängige antivirale Effekt von Myrcludex-B gegen HDV, Myrcludex-B führte zudem gleichzeitig zur Verbesserung der entzündlichen Aktivität in der Leber.3
Am ILC 2019 präsentierte Prof. Wedemeyer die Endergebnisse einer weiteren Phase-II-Studie (MYR 203), bei der in 4 Armen einerseits 2 verschiedene Dosen von Myrcludex-B (2 mg vs. 5 mg täglich s. c.) in Kombination mit pegIFNα für 48 Wochen (Arme B und C) mit pegIFNα-Monotherapie (Arm A) oder Myrcludex-B (Arm D) für 48 Wochen verglichen wurden.4 Der primäre Endpunkt war die Suppression der HDV-RNA zu Woche 72, also 24 Wochen nach Therapieende. Wie erwartet führte die Kombinationstherapie zu einem signifikanten Abfall der HDV-RNA, zu Woche 72 war bei 12/30 Patienten (40 %) erfreulicherweise keine HDV-RNA im Serum nachweisbar. Interessanterweise war die niedrigere Dosis von Myrcludex-B (2 mg täglich s. c.) deutlich wirksamer. Bei 40 % der Patienten kam es außerdem zu einer Normalisierung des Leberenzyms Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT). Zudem zeigte sich ein signifikanter Effekt der 2-mg-Dosis von Myrcludex-B in Kombination mit Interferon auf die HBS-Antigen-Konzentration: In 27 % der Fälle kam es zu einem HBS-Antigen-Verlust, und 20 % serokonvertierten.4
Fazit: Aus den vorliegenden Daten kann geschlossen werden, dass Myrcludex-B in Kombination mit pegIFNα sowohl für Hepatitis B als auch für Hepatitis D eine Therapieoption der Zukunft darstellen dürfte.