Seit dem Ersteinsatz von Melphalan als myelomspezifische Therapie im Jahr 1962 hat sich die Therapielandschaft beim multiplen Myelom wie bei kaum einer anderen hämatologischen Krankheit verändert und diversifiziert. Nach Erprobung von Alkylanzien wie Cyclophosphamid in den 1970er-Jahren sowie dem Einsatz der autologen Stammzelltransplantation in den 1980ern begann mit der Einführung von Thalidomid 1999 und Bortezomib 2003 ein beispielloser Innovationsschub, der schließlich im „Superjahr“ 2015 mit der Zulassung von nicht weniger als vier neuen Substanzen (Daratumumab, Elotuzumab, Panobinostat und Ixazomib) seinen bisherigen Höhepunkt gefunden hat.1
Die langjährige Standardtherapie des behandlungsbedürftigen multiplen Myeloms mit Vincristin, Adriamycin und Dexamethason ist obsolet, die zum Großteil völlig chemotherapiefreie Behandlung des multiplen Myeloms mittlerweile Realität und Behandlungsstandard. Die bessere Verträglichkeit der neuen Therapien wie auch vertieftes Wissen über den Verlauf und die Biologie der Erkrankung hat dazu geführt, dass ein früher Behandlungsbeginn vorteilhaft erscheint. Deshalb wurden bei der Revision der diagnostischen Kriterien 2014 durch die International Myeloma Working Group zusätzliche Diagnosekriterien eingeführt.2 Damit soll erreicht werden, dass Patienten, die die traditionellen CRAB-Kriterien (noch) nicht erfüllen, jedoch ein sehr hohes Risiko für eine baldige Transformation haben, frühzeitig identifiziert und ggf. therapiert werden können, bevor es zum Auftreten von permanenten Schäden kommt. Davon abzugrenzen ist das Smoldering („schwelende“) multiple Myeloma (SMM), welches keine der genannten Kriterien erfüllt, gleichzeitig aber ein hohes Risiko für die Entwicklung eines behandlungsbedürftigen multiplen Myeloms aufweist (10 %/Jahr). Hier gibt es erste Ansätze, durch frühzeitige Therapieeinleitung bei High-Risk-SMM-Patienten, den Ausbruch der Erkrankung zu verzögern.3 Dieses Vorgehen muss noch in weiteren großen Phase-III-Studien geprüft werden, da es unklar ist, welche Subgruppen von einer frühen Therapieeinleitung profitieren und ob sich ein signifikanter Einfluss auf das Gesamtüberleben zeigen lässt.
Die nunmehrige Fülle von Therapieoptionen bringt neue Herausforderungen mit sich. Bisher gibt es kaum direkte Head-to-Head-Vergleiche der neuen Substanzen im Rahmen von randomisierten Studien, weshalb sich die Wahl der Therapie zum einen am Nebenwirkungsprofil und zum anderen am Design der verfügbaren Studien orientieren muss. Gleichzeitig hält der Zulassungsstatus der einzelnen Substanzen teilweise nicht mit dem Innovationstempo Schritt. Die veränderte Therapielandschaft hat außerdem zu einer Kostenexplosion geführt, welche mittelfristig Ressourcendiskussionen unausweichlich erscheinen lässt.
Anzumerken ist, dass sich die positiven Daten der neuen Therapeutika im Setting des relapsierten/refraktären Myelom auch auf die 1. Linie zu übertragen scheinen. Dadurch ist z. B. der CD38-Antikörper Daratumumab bereits in Österreich bei transplantungeeigneten Patienten in der Erstlinientherapie verfügbar.4 Daten vom ASH 2018 lassen eine Zulassungserweiterung erwarten.5 Zudem gibt es bereits vielversprechende Daten für den Proteasomeninhibitor Carfilzomib in der 1. Therapielinie bei für eine autologe Stammzelltransplantation (ASCT) geeigneten Patienten.6 Ebenso laufen Studien für den SLAMF7-Antikörper Elotuzumab und den Proteasomeninhibitor Ixazomib. Der Histon-Deacetylase-Inhibitor Panobinostat ist gegenwärtig nach 2 vorangegangene Therapielinien zugelassen, eine Phase-II-Studie (PANORAMA4) wurde aufgrund geringer Rekrutierungszahlen und nur geringem Effektivitätsnachweis beendet. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl an aktiven Studien, die sich mit noch neueren Therapiekonzepten und Substanzen wie z. B. CAR-T-Zellen, Checkpoint-Inhibitoren sowie Small Molecules wie dem BCL2-Inhibitor Venetoclax beschäftigen.
Seit der Erprobung in den 1980er-Jahren hat die ASCT einen fixen Platz in der Behandlung des multiplen Myeloms bei jungen (bis 75 oder älter, abhängig von zusätzlichen Erkrankungen) Patienten, sowohl in der Erstlinien- als auch in der Rezidivtherapie, eingenommen.
Der richtige Zeitpunkt der ASCT bleibt eine wichtige Fragestellung, auch hinsichtlich der optimalen Induktionskombinationstherapie und deren Anzahl, die aktuell Gegenstand großer Phase-III-Studien ist.7 Die aktuelle Datenlage für eine Tandem-ASCT deutet derzeit daraufhin, dass es einen klaren Vorteil im PFS für MM-Patienten gibt, der sich insbesondere auf die Hochrisiko-Zytogenetik-Patienten bezieht.8 Der Stellenwert der allogenen Stammzelltransplantation bleibt umstritten. Hohe Transplantmortalität und GVHD-Raten sind schwierig zu überwinden, zudem scheint eine Überlebensverbesserung möglicherweise nur bei zytogenetisch High-Risk-Patienten erreicht werden zu können, weshalb derzeit eine Allo-SZT nur im Individualfall eine Ultima-Ratio-Option darstellt.9
Durch steigende Erfahrung der transplantierenden Zentren, aber auch zunehmende Fitness der Patienten ist die früher geltende Altersgrenze von 65 Jahren für ASCT fast schon als überholt anzusehen. Rezente Daten zeigen einen signifikanten Überlebensvorteil auch für ältere Patienten, wobei sich vor allem die Morbidität wie auch die Zeit bis zur nächsten Therapie im Vergleich zu jüngeren Patienten kaum unterscheiden.10, 11 Dadurch stellt die ASCT bei richtiger Vorauswahl eine mögliche und vor allem sichere Behandlungsstrategie mit klarem Benefit auch für ältere Patienten dar.
Die Messung der minimalen Resterkrankung (Minimal Residual Disease, MRD) hat an Wichtigkeit zugenommen und ist derzeit Gegenstand großer Studien. MRD-Messungen mittels Next-Generation Sequencing, hochauflösender Durchflusszytometrie oder auch hochsensitiver bildgebender Verfahren (z. B. PET-CT) werden allerdings aufgrund der Kosten und der Verfügbarkeit/Expertise derzeit nur im Rahmen von Studien durchgeführt. Die Datenlage lässt aber keinen Zweifel daran, dass die MRD-Messung mittelfristig zumindest bei neudiagnostizierten Patienten eine zentrale Rolle spielen wird. Eine Publikation aus dem Jahr 2017 hat das progressionsfreie wie auch Gesamtüberleben bei Patienten mit einer MRD von 10–4 bis 10–5 (also Patienten, bei denen eine von 10.000 bis 100.000 aspirierten Knochenmarkszellen eine Myelomzelle war) nach ASCT oder Induktionstherapie mit Patienten mit einem Response nach konventionellen Kriterien verglichen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Lediglich MRD-Negativität eignet sich als Prädiktor für ein längeres Gesamtüberleben. Somit stellt sich die Frage nach dem Wert konventioneller Remissionskriterien für die langfristige Behandlungsstrategie.12
Die sich rapide verändernden Therapieoptionen und das zunehmende Wissen um die prognostische Bedeutung der Zytogenetik und anderer Biomarker wie der MRD werfen eine entscheidende Frage auf: Wird das Myelom heilbar? Die Antwort auf diese Frage wird zweifellos noch länger auf sich warten lassen, jedoch sind bereits jetzt folgende Überlegungen zu beachten.
Wenn hochsensitive MRD-Messmethoden (bis zu 10–7) standardisiert und etabliert sind, können möglicherweise in Zukunft Patienten identifiziert werden, die langdauernde, tiefe Remissionen haben und unter Umständen kein weiteres Rezidiv mehr erleiden. Um solche „ultratiefen“ Remissionen zu erreichen, muss allerdings noch die optimale Induktions-/Kombinationstherapie gefunden werden, die möglicherweise aus einer Vielfach-Kombination besteht. Das wiederum wirft dann die Frage auf: Was soll mit Patienten geschehen, die nach dieser „neuen“ „total therapy“ diese Remission nicht erreichen? Wird man diesen Patienten danach noch wirksame Therapien bieten können?
Auch bleibt die Frage nach der richtigen Sequenz der Therapien, welche mit zunehmender Anzahl von zur Verfügung stehenden Medikamenten in Erst- und Zweitlinie nicht einfacher werden wird. Eines steht jedoch fest: Die Zukunft der Myelomtherapie war noch nie so vielversprechend.